Der Jude Max Emden war einer der reichsten Hamburger, bis er vor den Nazis flüchten musste – seine Nachkommen wollen endlich Gerechtigkeit.
Er war ein Lebemann erster Klasse, ein Paradiesvogel vom Feinsten, einer der schillerndsten Unternehmer und wohlhabendsten Hamburger des vergangenen Jahrhunderts. Dass Max James Emden dennoch weitgehend in Vergessenheit geriet, hat einen schrecklichen Grund: Der Kaufmann aus den Elbvororten fiel dem Nationalsozialismus zum Opfer – auf Umwegen, aber auch sehr direkt.
Es gibt Angenehmeres, als sich mit offensichtlichem Unrecht in der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Der einen oder anderen namhaften Hanseatenfamilie kam diese historische Verdrängung nach dem Zweiten Weltkrieg zudem nicht ungelegen. Man hatte, ebenfalls direkt oder indirekt, materiell von der Vertreibung des freigiebigen Mäzens und namhaften Kunstsammlers sowie der Auflösung seines stattlichen Vermögens profitiert.
Im Video: Dokumentation über Max Emden
Nach und nach jedoch bröckelt das Fundament kollektiven Schweigens. Zusehends kommt Licht in ein finsteres Kapitel Hamburger Stadtgeschichte. Dazu tragen ein am kommenden Mittwoch im Abaton-Kino uraufgeführter Film ebenso bei wie die Empfehlung einer unabhängigen Kommission, Gemälde aus dem Besitz des Bundes an die Erben zurückzugeben. Hinzu kommen anhaltende Aktivitäten der Emden-Nachkommen. Nach Jahrzehnten in Südamerika hat ein Teil der Familie wieder in der Hansestadt Fuß gefasst. Diese Entwicklung schien lange unmöglich. Dabei sind die Archive voll mit Details über die erfolgreiche jüdische Handelsfamilie. In Hochzeiten besaß Max Emden europaweit fast 40 Kaufhäuser, darunter das damals bekannte, hochmoderne Poetsch am Schulterblatt und Petersen in Wandsbek.
Max Emden war Begründer des KaDeWe in Berlin
Heute würde man sein Geschäftsprinzip „Franchise“ nennen. Der 1940 gestorbene Investor gründete das KaDeWe in Berlin und das berühmte Corvin in Budapest. Zeitweise soll er rund 10.000 Angestellte beschäftigt haben. Emden unterstützte Institutionen wie die Kunsthalle, das Museum für Kunst und Gewerbe und die Universität. Er etablierte den Poloclub in Flottbek sowie Hamburgs ersten Golfverein.
Seine Privatvilla, das Landhaus „Sechslinden“, war so riesig, dass sich darin aktuell das Jenisch-Gymnasium befindet. Das Grundstück umfasste den heutigen Poloplatz und einen Teil des Botanischen Gartens. Max Emden war vornehmes, selbstverständliches Mitglied der hanseatischen Gesellschaft. Bis die Nazis an Macht gewannen.
Das Gros der Kaufhäuser an Karstadt verkauft
Um dieser filmfüllenden Geschichte auf den Grund zu gehen, verabreden wir uns mit Maeva Emden, der Urenkelin des in die Schweiz ausgewanderten Wirtschaftskapitäns. Zuvor hatte Max Emden das Gros seiner Kaufhäuser an den Kaufmann Rudolph Karstadt verkauft – der bekanntlich noch mehr daraus machte. Immobilien, Grundbesitz und Kunstschätze musste er zum Teil weit unter Wert veräußern. Dass er in der Nikolaikirche zum evangelischen Christentum konvertiert war, half ihm letztlich nicht.
Mit enorm viel Geld erkaufte er sich quasi das eigene Leben und das seiner Familie. Während Max Emden kurz nach Ausbruch des Weltkriegs im Alter von 66 Jahren starb, floh sein Sohn Hans Erich nach Übersee. In Chile begründete er eine neue Existenz. Hans Erich Emdens Sohn Juan Carlos (72) wiederum zog mit seiner Frau vier Kinder groß. Zwei von ihnen, Tochter Maeva (44) und ihr Bruder Frederick (30), wohnen im Schanzenviertel beziehungsweise Ottensen. Sie ist Soziologin, er hat im Hotel Louis C. Jacob gelernt.
„Unsere Familie kämpft für Gerechtigkeit“, sagt Maeva Emden bei Cappuccino und Eclair in einem französischen Café nahe dem Kulturzentrum „Fabrik“. Dabei ist ebenfalls Michel Rodzynek aus Duvenstadt, ein Freund und Berater der Emdens. Eine materielle Entschädigung durch die Stadt Hamburg und die Bundesregierung wird angestrebt, stehe indes aber nicht im Vordergrund.
„Entscheidend ist die moralische Wiedergutmachung“
„Die Verletzung unserer Familie geht über Generationen“, sagte die Frau mit chilenischem und deutschem Pass. „Entscheidend ist die moralische Wiedergutmachung.“ Wenn ihre drei Kinder erwachsen sind, soll das Kapitel ad acta gelegt sein. Sie favorisiert Frieden, pocht indes auf das Recht.
Anfang nächster Woche wird ihr Vater Juan Carlos Emden in der Heimatstadt seiner Vorfahren erwartet. Seite an Seite mit seiner Tochter Maeva möchte der Chilene die Premiere des Kinofilms „Auch Leben ist eine Kunst“ betrachten. Der Untertitel dieser 90-minütigen, von Hamburg und Schleswig-Holstein geförderten Dokumentation ist doppeldeutig zu verstehen: „Der Fall Max Emden“.
Angereichert mit bisher nicht veröffentlichten Unterlagen und Aufnahmen erzählt der Film von Eva Gerberding und André Schäfer „den Aufstieg und die Zerstörung einer hanseatischen Familie durch die Propaganda und die Gewalt des NS-Regimes“. Ab 25. April kommt die in Zusammenarbeit mit ZDF, SRF, WDR und Arte entstandene Koproduktion in die Kinos. Später soll sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet werden.
Im September erscheint eine von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung unterstützte Biografie über Max Emden. Der Einsatz für späte Gerechtigkeit wird begleitet von der jüngsten Empfehlung einer laut „Spiegel Online“ „hochrangigen Raubkunst-Kommission der Bundesregierung“ über die Rückgabe zweier Bilder an die Erben.
Die Werke des italienischen Malers Bernado Bellotto sind eine Geschichte für sich. Max Emden hatte sie – wiederum über Umwege – an die Privatsammlung Adolf Hitlers verkaufen müssen. Nachdem die Herkunft Anfang der 2000er-Jahre klar war, ließ der damalige Bundespräsident Horst Köhler eines der Gemälde in seinem Amtssitz abhängen und an den Bund übergeben. Eine offizielle Entscheidung in Berlin steht noch immer aus, doch wird den Empfehlungen der Kommission in der Regel gefolgt.
Max Emden musste Bilder an Adolf Hitler verkaufen
Problem aus Sicht des Finanzministeriums: Ein solcher Beschluss könnte weitere Forderungen von Erben enteigneter oder beraubter Kunstwerke nach sich ziehen. „Diese Entwicklung ist ein erstes Signal“, sagt Maeva Emden. Sie verweist auf eine Liste ihrer Familie, welche bekannten Hamburger Familien vom Untergang Max Emdens profitierten. Es sind Namen, die jeder kennt.
Wie andere Gemälde aus Emdens Besitz, teilweise von Monet oder Renoir, den Besitzer wechselten, ist dagegen nicht bekannt. Zwar musste der promovierte Chemiker Max Emden einen Großteil seines Vermögens weit unter dem eigentlichen Kurs transferieren, dennoch reichte der Erlös nach 1933 zu einem Leben in Saus und Braus in der Schweiz.
Seinen Chauffeur Peter Fette aus Nienstedten und seinen Diener Karl Kreßmann aus Klein Flottbek hatte er mitgenommen. Kreßmanns Enkelin wohnt heute gleichfalls in den Elbvororten. Auch das Dolce Vita im Tessin ist Bestandteil des neuen Kinofilms. Ein Jahr nach Machtergreifung der NSDAP „erwarb“ der Hamburger die Schweizer Staatsbürgerschaft.
Mit 65 Jahren starb er im Schweizer Exil
Im wahrsten Sinn des Wortes zermürbt und erschöpft starb Max Emden im Sommer 1940 nach einem Infarkt. „Man braucht ein starkes Herz, um ohne Wurzeln zu leben“, schrieb fassungslos ein Freund, der Schriftsteller Erich Maria Remarque.
Von diesem Schicksal wollte seine Heimatstadt lange offiziell nichts wissen. Es ist ein Verdienst des promovierten Internisten Joachim Winkelmann aus Osdorf, dass mehr Aufklärung erfolgt. Er forschte in Archiven, Antiquariaten, im Internet. Winkelmann kommt im Kinofilm zu Wort. Am Abend des 10. April will er bei der Premiere im Abaton sitzen. „Ehrensache“, sagt er.
Seine Bilanz: „Es ist ein packendes Stück Hamburger Geschichte – mit glorreichen Zeiten und beschämendem Unrecht.“ Winkelmann überzeugte die Bezirksversammlung Altona vor fünf Jahren, einen bis dahin namenlosen Weg zwischen Botanischem Garten und Poloplatz zu Ehren Max Emdens umzubenennen. Es ist ein kleiner, nur 700 Meter langer Weg, jedoch ein großer Schritt für die Familie.