Hamburg . Jenisch, Sieveking, Petersen – diese Namen kennt fast jeder in der Stadt. Teil 13 der Serie über große hanseatische Traditionen.

Eine dieser Petroleumlampen blieb in ausgezeichnetem Zustand – trotz der Turbulenzen der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte. Andreas Siemers hält die geschichtsträchtige Leuchte mit dem schwarzen Korpus und dem tropfenförmigen Glasaufsatz in Ehren. Schließlich steht das Erinnerungsstück für den wirtschaftlichen Aufstieg seines Urgroßvaters Edmund Siemers zu einem der angesehensten Hanseaten. Ein ­wahrhaft leuchtendes Symbol. Nicht nur das Hauptgebäude der Universität und die mehrspurige Allee davor zeugen vom Wirken eines anpackenden Unternehmers und freigebigen Stifters.

Petroleum Lampe Siemers
Petroleum Lampe Siemers © Andreas Siemers

Bevor wir ein spannendes Kapitel Hamburger Wirtschaftsgeschichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts aufschlagen, blicken wir noch weiter zurück. Der weit verzweigte Stammbaum reicht bis ins Jahr 1444 zurück, als die Familie noch Symerx hieß. Ein Nachfahr erhielt anno 1652 das Bürgerrecht in Lübeck. Sein Urenkel Hinrich Christoph Siemers erwarb diese Urkunde 1747 in der Freien Hansestadt Hamburg. Der Kaufmann wohnte mit seiner Familie im Haus Nummer 71 am Kehrwieder, nahe der heutigen Elbphilharmonie.

Wie die meisten seiner Verwandten verfügte er bei seinen Geschäften über ein geschicktes Händchen. Famos beherzigte er das Credo der Pfeffersäcke: Riskiere maßvoll, verdiene anständig, doch übertreibe weder das eine noch das andere. Denn bei schwarzen und roten Zahlen im Umsatzbuch sei es wie mit Ebbe und Flut. Es galt, finanziell immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel zu haben. Wie der 1840 in Hamburg geborene Edmund Julius Arnold Siemers überzeugend dokumentierte.

Daheim in den Elbvororten

Kurzes Atemholen. Willkommen in der Neuzeit und auf der Terrasse eines sehr grün gelegenen Grundstücks unweit des Falkensteins in den Elbvororten. Trotz einer frischen Brise setzen wir uns an den Holztisch mit Gartenblick. Gastgeberin Sabine Siemers, die zuvor noch Laub gefegt hat, überrascht mit frischem Obst und kleinen Himbeertörtchen. So kann’s weitergehen.

Sabine und Andreas Siemers, beide gebürtige Hamburger, sind seit 35 Jahren verheiratet. Sie kennen sich viel länger, noch aus der Schulzeit, etwa mit 15 Jahren war das. Bei einer Faschingsfeier im Golfclub sprang der Funke über. Ein Ergebnis sind vier gemeinsame Kinder zwischen 21 und 39 Jahren. Diese stellen die achte Generation der Siemers-Sippschaft in Hamburg. Drei Enkelinnen zählen schon zur neunten Generation in unserer Stadt.

Kinder und Enkel tragen zum höchstlebendigen Familienleben bei. „Wir sind uns der Geschichte durchaus bewusst“, sagt Andreas Siemers, „bilden uns darauf jedoch absolut nichts ein.“ Dass Tradition gepflegt und gelebt wird, steht auf einem anderen Blatt.

Jeder sei seines eigenen Glückes Schmied, und von einer großen Vergangenheit könne man sich nichts kaufen – weder handfest noch im übertragenen Sinne. „Von jeher basiert die Erziehung der Siemers darauf, dass niemandem Gold in den Schoß fallen soll“, ergänzt Sabine Siemers. Ein Auto nach dem Abi und anderer Luxus, nein, das gebe es bei ihnen nicht.

Edmund Siemers hinterließ ein beträchtliches Vermögen

Die praktizierte Erbregelung passt ins Bild. Edmund Siemers hinterließ ein beträchtliches Vermögen. Um es geschickt und dauerhaft an künftige Generationen zu übertragen, organisierte er eine Familienstiftung, die Hans-Edmund Siemers gemeinsam mit Axel Kausch, einem Urenkel Edmund Siemers, erfolgreich in die Neuzeit führte. Andreas Siemers, der heutige Gastgeber, verwaltet dieses Vermögen heute gemeinsam mit seinem Cousin Andreas Graf Wass von Czege. Da sich viele Siemers nicht nur durch Unternehmergeist, sondern auch durch Kinderreichtum auszeichneten, ist der erwähnte und real auf Papier existierende Stammbaum nicht leicht zu entschlüsseln.

Machen wir es also kurz und knapp und vor allem verständlich. Edmund ­Siemers hatte drei Kinder: Thekla, Kurt, Hans. Der Sohn von Hans hieß, ­irgendwie logisch, Hans-Edmund. Eines seiner insgesamt fünf Kinder ist der Gastgeber des heutigen Treffens. ­Andreas Siemers, ein 61 Jahre alter Jurist, ist Partner einer namhaften Anwaltssozietät an den Alsterarkaden. Der sportliche Typ spielte früher als Rechtsaußen Hockey im Team des Rissener SV. Heute ist er beim Freizeit-Eishockey an der Uni Hamburg aktiv.

Bauleiter für die Familienstiftung

Seinen bodenständigen Charakter verdankt Andreas Siemers auch einem Nebenjob in jungen Jahren. Nach Abitur und Wehrdienst arbeitete er im väterlichen Bauunternehmen. Und während des Referendariats war er eineinhalb Jahre als Bauleiter für die Familienstiftung im Einsatz. Damals ging es um die Restaurierung historischer Dorfhäuser. Der Umgang nicht nur mit Paragrafen, sondern auch mit Rohrzange und Zollstock hilft heute sehr praktisch – zu Hause, vor allem aber bei der handfesten Verwaltung des gemeinsamen Besitzes der Großfamilie. Mietwohnungen gehören dazu. Körperlicher Einsatz schadet keineswegs.

Was keiner besser wusste als Edmund Siemers selbst. Womit wir beim fröhlichen Flankenwechsel durch Hamburgs Historie ins Jahr 1861 zurückgekehrt sind. Der Hansestadt geht es glänzend: Die Einwohnerzahl wächst enorm, die Wirtschaft boomt. Goldgräberzeit für Kaufleute, Höker, Spediteure und Reeder.

In der modernen Welt macht Petroleum Furore. Es ist preiswerter, praktischer und heller als das bisher verwendete Öl. Auf Order von Edmund Siemers, der die anno 1811 von seinem Großvater gegründete Firma G. J. H. Siemers & Co. erfolgreich führt, treffen 16 Fass Petroleum von der Westküste der USA im Hamburger Hafen ein. Siemers wittert ein grandioses Geschäft. Pro­blem nur: Mit konventionellen Lampen funktioniert der neuartige Brennstoff nicht.

Geschäfte mit Petroleum

Siemers hat eine der zündendsten Ideen seines Geschäftslebens. Er organisiert Petroleumlampen und verschenkt sie an lokale Klempner. Sein Kalkül: Nach und nach wird so immer mehr Bedarf an Petroleum geweckt. Unterm Strich geht die Rechnung auf. Siemers entwickelt sich zum größten deutschen Petroleumhändler. Gelagert werden die bald in Massen importierten Fässer auf dem gesicherten Teerhof, von 1879 an im neu errichteten Petroleumhafen auf dem Kleinen Grasbrook. Drei Tankdampfer pendeln unter Siemers’ Flagge über den Atlantik. Einer von ihnen heißt „Hans und Kurt“, so wie seine Söhne. Die Umsätze explodieren. Glücklicherweise nur diese.

Nicht nur ein Buch beschäftigt sich mit dem Wirken Edmund Siemers’. Später importierte der Vollblutkaufmann Guano sowie Salpeter aus Übersee. Im damaligen Vorort Langenhorn erwarb der mittlerweile in die Bürgerschaft gewählte Visionär Zug um Zug mehr als sechs Millionen Quadratmeter Land. 1911 war er an der Gründung der Luftschiffhallen GmbH beteiligt. Daraus ging später der Flughafen in Fuhlsbüttel hervor.

Weitverzweigte Familie

Nehmen und Geben standen seinem Verständnis nach in Harmonie. Als Mäzen förderte Wirtschaftskapitän Edmund Siemers Wissenschaft und Forschung. Der Universität schenkte er ein Vorlesungsgebäude, das heutige Hauptgebäude. Ein weiterer Schwerpunkt war der soziale Wohnungsbau. Heute wohnen in Hamburg rund 15 Familienmitglieder. Acht von ihnen gehören zu Sabine und Andreas Siemers, den „Kronzeugen“ dieser Folge. Hinzu kommen Andreas’ Bruder Edmund mit Anhang sowie die drei Schwestern Juliane, Christiane und Anna. Weitere Angehörige leben im Rheinland und in den USA. Ungefähr einmal im Jahr versammelt sich die Hamburger Sippe; alle drei oder vier Jahre wird ein großes Familienfest mit 30 bis 40 Teilnehmern organisiert. Die nächste Runde steigt 2019 auf dem Hof der Familie in der Nordheide. Diesen Neddernhof, eine Idylle nicht nur für Pferde, erwarb einst Hans-Edmund Siemers. Es ist heute Wohnsitz seiner Tochter Anna.

Ein besonderer Nachmittag klingt aus. Doch halt, da fällt dem Ehepaar Siemers noch etwas ein. Es sind sieben Bücher, die Hans-Edmund Siemers, der Enkel des Petroleumpioniers, verfasst und mit vielen Bildern angereichert hat. Frau Siemers holt sie aus dem Haus. Es ist ein einmaliges historisches Vermächtnis. Es schildert ein Hamburger Leben im Spiegel der Geschichte.

Kompass für Geschäfte

Der Autor beschreibt seine ungarische Mutter, eine Gräfin Wass de Czege, die Kriegszeit, den Untergang, einen Wiederaufbau mit bescheidensten Mitteln. Zweimal in der Vergangenheit mussten die Siemers ihre Flotte und andere Güter an Besatzungsmächte übergeben. Ebbe und Flut. Siehe oben.

Edmund Siemers vererbte seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln nicht nur die anfangs beschriebene Petroleumlampe, sondern auch einen uralten Kompass. Dieser gab die Richtung vor – für die Handelsflotte der Familie. Edmund Siemers wusste stets genau, wo’s langging. Dafür besaß er so etwas wie einen „inneren Kompass“.

Der Mäzen und die Hauptstraße

Dass nicht nur Kenner Hamburger Geschichte und Autofahrer, sondern auch Studenten eine Menge mit dem Namen Siemers anfangen können, liegt an einer großzügigen Tat. 1911 schenkte der erfolg­reiche Kaufmann und Reeder Edmund Siemers (Foto) der Universität einen Neubau für Vorlesungen, das heu­tige Hauptgebäude. Dem Mäzen zu Ehren trägt die mehrspurige Straße zwischen Grindel und Dammtor seinen Namen.

Siemers stiftete zudem das Grundkapital für die Lungenheilanstalt Edmundsthal-Siemerswalde bei Geesthacht. Dort befindet sich heute ein Krankenhaus, die Heide Klinik.
Im Hamburger Rathaus erinnert ein Gemälde an den namhaften Hanseaten. Und auf den Zeigern der Turmuhr der Hauptkirche St. Jacobi in der Innenstadt prangt das Wappen der Familie Siemers.

Teil 14: Familie Amsinck