Hamburg. Hagenbeck, Sieveking, Petersen – diese Namen kennt fast jeder in der Stadt. Elfter Teil der Serie über große hanseatische Familien.
Bei einem der letzten großen Familientreffen der Schröders markierten die Gäste ihren jeweiligen Wohnsitz mit farbigen Nadeln auf einer Weltkarte. Viele stammten aus Hamburg und Norddeutschland, das war zu erwarten; andere waren aus England, Peru oder Namibia angereist. Was der „Tobakspinner“ Berend Schröder im 17. Jahrhundert im Raum Stade begründete, hat sich erstaunlich entwickelt. Die traditionell unternehmungslustige und reisefreudige Sippe fasste in drei Kontinenten Fuß – oft als Bankiers, Handelsleute oder Landwirte.
Berends Sohn, der anno 1697 in Verden an der Aller geborene Anton Schröder, machte sich als Kaufmann in Quakenbrück im Landkreis Osnabrück einen Namen. Zwei seiner fünf Söhne zog es vor rund 250 Jahren nach Hamburg. Christian Matthias Schröder brachte es als Gründer eines nach ihm benannten hanseatischen Handelshauses zu Wohlstand und Einfluss.
Er hökerte ertragreich mit Wein, Zucker, Lachs, Heringen, Gewürzen und Segeltuch. Nach und nach wurden Segelschiffe angeschafft, die Fracht von Hamburg nach Portugal, Frankreich, Russland und England transportierten. 1782 überquerte ein Viermaster der Firma erstmals den Ozean. Die Bark steuerte Westindien an. Erst als Senator, von 1816 an als Bürgermeister hatte er Anteil an der Blüte unserer Stadt. Von 1910 bis 1918 saß sein Nachfahr Carl-August Schröder, ein Rechtsanwalt, als Primus inter Pares im Senat.
Auslandspremiere in England
Seitdem ist eine Menge passiert. Keiner weiß das besser als Lorenz von Schröder aus Blankenese, gemeinsam mit seiner Ehefrau Annette Gastgeber des heutigen Treffens. Der diplomierte Kaufmann, Wirtschaftsprüfer und Vorstand einer IT-Firma in Bahrenfeld engagiert sich seit fünf Jahren als Vorsitzender des Familienverbandes. Der Freiherr, so steht es offiziell im Pass, kümmert sich mit Herzblut und Leidenschaft um den Zusammenhalt der weitverzweigten Dynastie. Mehr als 200 Adressen von Familienangehörigen stehen in seiner Kartei. Zu den Treffen erscheinen in der Regel gut 100 Personen. 2013 versammelte man sich in der Ballinstadt am Elbufer, 2016 bei den von Schröders daheim in den Elbvororten. Und nächstes Jahr steht in England die Auslandspremiere auf dem Programm.
Nicht nur für Charlotte von Schröder wird das eine spannende, generationsübergreifende Zusammenkunft. Die 16-jährige Gymnasiastin, am heutigen Vormittag Dritte im Bunde am einladend gedeckten Frühstückstisch, stellt die achte Generation der geschichtsträchtigen Sippschaft. „Natürlich interessiert es mich, wo wir herkommen“, sagt die plietsche Hanseatin. Ebenso wie ihr zwei Jahre älterer Bruder Clemens absolviert sie derzeit ein Schuljahr in Großbritannien.
Von jeher ließen sich die im Jahr 1868 geadelten Schröders von Gorch Focks Leitmotto inspirieren, mit der Heimat im Herzen die Welt zu umfassen. Es zog sie nach Amsterdam, Triest, St. Petersburg, Riga und anderswo. In London genoss die Schroeder’s Bank als zwischenzeitlich eines der größten privaten Geldhäuser der Insel Weltruf. In Hamburg war die Bank Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. ein Begriff.
Nach dieser kleinen Exkursion zurück nach Blankenese. Der komplizierte Stammbaum des Schröder-Clans ist in einer 160-seitigen Ausgabe des „Hamburger Geschlechterbuchs“ aufgeschlüsselt. Ganz vorne prangt das Wappen der Familie: Aus dem roten Balken auf der Ritterrüstung wachsen drei Rosen. „Wir sind traditionsbewusst, wollen jedoch kein totes Pferd reiten“, wirft Lorenz von Schröder temperamentvoll in die Runde. „Unsere Familie lebt.“ Credo: auf historischem Fundament Kurs Neuzeit. In den Wohnräumen der gediegen eingerichteten Villa steht moderne Kunst markanter im Mittelpunkt als Ölgemälde der Vorfahren.
Dass die Kombination aus geschichtlichem Bewusstsein und zukunftsorientiertem Denken keine Widersprüche sind, dokumentiert die jüngst aufgelegte „Schröder’sche Familiencharta“. Dieser „Wertekompass“ sei „etwas zum Anfassen für Familienmitglieder“, sagt Lorenz von Schröder. Das siebenseitige Heftchen verweist auf Wurzeln, Werte und Kultur des heutzutage in alle Himmelsrichtungen verstreuten, indes im Kern hanseatischen Verbundes.
Herz dieser Broschüre mit dem Wappen auf der Vorderseite ist ein Brief an „meine Kinder“, den Christian Matthias Schröder am Sonntag, 7. November 1779, mit Federkiel verfasste. „Haltet vornehmlich gute Freundschaft und Eintracht“, heißt es darin. Und: „Unterstützt Euch unter einander treulich, so werdet Ihr am besten vor den Verfolgungen Eurer Feinde gesichert sein.“ Schon vor fast 240 Jahren gab es ausreichend Leser, denn der erfolgreiche Pfeffersack und spätere Bürgermeister zog gemeinsam mit seiner Ehefrau Louise Mutzenbecher zwölf Kinder groß.
Eines von ihnen war Johann Heinrich, der später in England als John Henry Schröder Karriere machte. Der Kaufmann und Privatbankier aus Hamburg wurde anno 1864 britischer Staatsbürger, erwarb ein riesiges Anwesen bei Windsor, erhielt von Königin Victoria den Adelstitel Baronet.
Baronet hinterließ zwei Millionen Pfund
Letztlich war John Henry eines jener Mosaiksteinchen, welche die traditionelle Verbundenheit zwischen der Hansestadt und London formte. Bei seinem Tod 1910 hinterließ er ein Vermögen von zwei Millionen Pfund Sterling. Die Kunstsammlung vermachte der Freiherr und Baronet der Hamburger Kunsthalle.
Diese Schröder’sche Historie fasziniert auch Annette von Schröder, die Gastgeberin der heutigen Frühstücksrunde. Sie stammt aus Bremen. In der benachbarten Hansestadt übrigens hatte der frühere Hamburger Bürgermeister Christian Matthias Schröder zwischen 1757 und 1762 eine Ausbildung absolviert – im Unternehmen seines Bruders. Doch das nur am Rande.
„Ich freue mich über unser lebendiges, aktives Familienleben“, sagt Freifrau von Schröder. „Herzhaftes Lachen gehört dazu.“ Der Beweis wird an diesem Vormittag mehrfach angetreten. Sie leistet ihren Anteil mit der Organisation von Jugendreisen der Schröders nach England.
Tochter Charlotte greift diese Steilvorlage lustvoll auf. „Ich mag es, mit anderen Familienangehörigen in Verbindung zu stehen“, sagt sie. Mit Cousins und Cousinen in Berlin und München pflegt sie gerne Kontakte. Zwar handelt es sich um Verwandte sechsten Grades, doch „schweißen die gemeinsamen Wurzeln zusammen“. Unterm Strich, betont sie, „interessiert uns, wo wir herkommen.“
Digitaler Stammbaum
Vor zwei Jahren reisten 16 junge Schröders nach England. 2017 stand eine Radtour durch Schleswig-Holstein auf dem Programm. Und vor ein paar Wochen trafen sich 20 Cousinen und Cousins zu einem fidelen Wochenende. „Altbackene Geschichte sieht anders aus“, meint Charlotte. Es gibt direkte Drähte in sozialen Netzwerken wie Facebook, ein international ausgerichtetes „family internet“, einen digitalen Stammbaum sowie ein in Allianz mit dem Hamburger Staatsarchiv betriebenes Familienarchiv. Und zweimal im Jahr, zuletzt im September, bittet Lorenz von Schröder etwa 20 Gäste zu einem runden Tisch mit Essen und Klönschnack.
„Wir fühlen uns verwandt mit der Hamburger Kaufmannsehre“, bringt der Hausherr seine Einstellung auf den Punkt. „Die Umsetzung kann sehr modern ausfallen“, ergänzt Annette von Schröder. Und Tochter Charlotte meint: „Familiengeschichte kann sehr spannend sein, wenn sie nicht nur auf alten Zöpfen basiert.“
Diese Schlussworte sind Anlass, Kaffee nachzuschenken und nach einem weiteren Brötchen mit Lachs zu greifen. Das schmeckt nicht nur, sondern passt irgendwie. Schließlich handelte Christian Matthias Schröder vor weit mehr als zwei Jahrhunderten auch mit Fisch. Er fuhr nicht schlecht damit.
- Teil 1 – Familie de Chapeaurouge
- Teil 2 – Familie Petersen
- Teil 3 – Familie Hagenbeck
- Teil 4 – Familie Sieveking
- Teil 5 – Familie Schües
- Teil 6 – Familie Baur
- Teil 7 – Familie von Jenisch
- Teil 8 – Familie Sillem
- Teil 9 – Familie von Donner
- Teil 10 – Familie Otto
- Teil 11 – Familie von Schröder
- Teil 12 – Familien Abendroth & Jencquel
- Teil 13 – Familie Siemers
- Teil 14 – Familie Amsinck