Hamburg. Jenisch, Sieveking oder Hagenbeck – ihre Namen kennt fast jeder in der Stadt. Finaler Serienteil über große hanseatische Traditionen.

Wer über die Elbbrücken stadteinwärts Richtung Hamburger Zentrum fährt, passiert in der Regel die mehrspurige Amsinckstraße. Als Teil der Bundesstraße 4 handelt es sich um eine der wichtigsten Verkehrsachsen der Hansestadt. Im übertragenen Sinn war es in der Vergangenheit nicht anders: An den Amsincks kam man kaum vorbei.

Als Bürgermeister, Ratsherren, Kämmereiverordnete und erfolgreiche Kaufleute schrieb die Familie entscheidende Kapitel unserer Stadtgeschichte mit – seit Jahrhunderten. Mithin ist es kein Zufall, dass die Amsincks den Ausklang unserer Serie über namhafte Hamburger Familien darstellen.

Nach wie vor ist die seit fast 450 Jahren in Hamburg ansässige Sippe höchst vital. An der Elbe, in Norddeutschland, in Berlin und darüber hinaus. Insgesamt gibt es mehr als 100 Verwandte weltweit, auch in Dänemark, Südafrika und in den USA. Zu einem Familientreffen Mitte der 1990er-Jahre erschienen annähernd 60 Personen.

Das Wappen der Familie Amsinck
Das Wappen der Familie Amsinck © Andreas Laible | Andreas Laible

Faszinierend ist die frühere Verflechtung der Amsincks mit anderen namhaften Dynastien. Da die Oberschicht einstmals vornehm(lich) unter sich blieb, wurde oft in den eigenen, vermeintlich besseren Kreisen geheiratet. Über mehrere Generationen vermählten sich Amsincks mit Angehörigen der Berenbergs, Gosslers, Jenischs oder Sievekings. Zeitweise war das praktisch, in jedem Fall geschäftstüchtig.

Die Familie startete immer wieder durch

Ein exzellentes Beispiel dieser nicht nur dem Umsatz förderlichen Praxis ist der Bürgermeistersohn Johannes Amsinck. Er erbte das 1757 gegründete, noch heute bestehende Handelshaus Johannes Schu­back & Söhne. Auch bei den Schubacks handelt es sich um eine angesehene, indes heutzutage in direkter Linie ausgestorbene Bürgermeistersippschaft. Mit einem feinem Händchen für schwarze Zahlen, einem ausgeprägten Sinn für internationalen Warenverkehr sowie starkem Akzent auf hanseatisch ehrbares Geschäftsgebaren stellten die Amsincks wirtschaftliche Weichen.

Die Familie war an den Gründungen der Hapag, der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft sowie der Vereinsbank Hamburg beteiligt. Meist brummte es zufriedenstellend. Doch auch Tiefschläge gehörten dazu. Nicht nur einmal verloren die Amsincks einen Großteil ihres Vermögens. Unverzagt starteten sie immer wieder durch. Diese urhanseatische Tugend zeichnet viele Familien aus, die in Hamburg dauerhaft oben blieben.

Die Wurzeln reichen zurück bis 1390

Bevor wir uns zu einer munteren Kaffeerunde in einer gediegenen Villa an den nordöstlichen Stadtrand Hamburgs und damit in die Neuzeit begeben, blicken wir zurück auf die Wurzeln der Familie Amsinck. Urkundlich notiert ist Storijs Amsinck, der als Landwirt anno 1390 in den Niederlanden einen Am­sinckhof betrieb. Rudolph Amsinck (1518–1580) wirkte als Bürgermeister in der holländischen Stadt Zwolle.

Nachfahr Willem Amsinck kam im Alter von 34 Jahren 1576 als Glaubensflüchtling in das liberale, großgeistigere Hamburg. Als Tuchhändler erwarb – und verdiente – er sich einen hervorragenden Ruf. Der Niederländer verfügte über ein in jeder Beziehung gewinnendes Wesen. Von Naturell und Habitus her, privat wie geschäftlich, fügte er sich wunderbar in die Kaufmannschaft im Bannkreis von Rathaus und Börse ein. Es war eine schnörkellose Migration vom Feinsten.

Willems Söhne Rudolf, ein Ratsmitglied, und Arnold, also die zweite an der Elbe präsente Generation der Amsincks, galten bereits nicht mehr als Zuwanderer. Sie gehörten dazu. Beide initiierten zwischen 1620 und 1630 in großem Rahmen Eindeichungen. Stichworte im nordfriesischen Wattenmeer sind der Amsinck-Koog und die unverändert existente Hamburger Hallig, ein Naturparadies.

Nachfahr Wilhelm Amsinck, ein ob seines ausgleichenden Wesens und visionären Engagements für seine Heimatstadt angesehener Richter und Bürgermeister, folgte dem Beispiel der Pioniere. Getreu Hamburger Sitte gab es nach seinem Tod 1831 aus Gold, Silber und Bronze geprägte Bürgermeisterpfennige. Bezahlt wurden sie, typisch Hamburg, aus dem Nachlass des Verstorbenen.

Hausherr in Wohldorf-Ohlstedt ist Peter Amsinck

Einige Exemplare sind prima erhalten. Auf der Vorderseite befindet sich das Wappen der Amsincks, auf der Rückseite eine Inschrift in lateinischer Sprache. Dem Sinn nach steht dort: Maß halten ziert den Bürger und ist des Staates Stärke. Die Amsinckstraße übrigens wurde nicht nach ihm, sondern nach seinem gleichnamigen Sohn benannt, einem für die Hansestadt segensreichen Senatssyndikus.

So, jetzt aber nun wirklich vorwärts in die Gegenwart. Im Wohnzimmer im ländlichen Hamburger Randbezirk Wohldorf-Ohlstedt haben sich zwei Amsinck-Familien in großer, wahrhaftig lebendiger Runde versammelt. Gastgeber und Hausherr ist der Kaufmann Peter Amsinck – an der Seite seiner langjährigen Lebensgefährtin Gabriele Jahnke.

Obwohl aus Berlin-Zehlendorf angereist, hat sein Cousin Christian Amsinck ein Heimspiel: Der diplomierte Volkswirt ist in Bremen wie Hamburg aufgewachsen, mithin Norddeutscher durch und durch. Beruflich fungiert er als Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. Eines seiner Ehrenämter ist die Mitgliedschaft im Sozialbeirat der Bundesregierung. Während Ehefrau Uta aus Zeven stammt, kamen die Kinder Veronica und Johannes in der Hauptstadt zur Welt.

Heringe aus Norwegen und Getreide aus dem Baltikum

„Dennoch habe ich Hamburg ein gutes Stück in meinem Herzen“, sagt die 19-jährige Veronica Amsinck. „Unsere lange Familiengeschichte hat auch auf mich einen starken Einfluss.“ Nach dem Abitur startet die patente junge Frau just ihr BWL-Studium. Hamburg, die Stadt ihrer Vorfahren, sei immer eine Reise wert. Ihr drei Jahre jüngerer Bruder nickt zustimmend. In der elften Klasse in Berlin ist seine Herkunft kein Thema. „Aber es macht mich schon ein wenig stolz, dass einer meiner direkten Vorfahren ein Hamburger Bürgermeister war.“ Dass die beiden jungen Leute mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, war vom ersten Blick an klar.

Das betrifft den Gastgeber nicht minder. Peter Amsinck ist zusammen mit seinem 13 Jahre jüngeren, in Südafrika lebenden Bruder Henry Amsinck Geschäftsführer einer der traditionsreichsten Handelsfirmen der Stadt. Was Johannes Schuback anno 1757 begründete, bringt nach wie vor Ertrag. Der Sohn des Bürgermeisters Nicolaus Schuback brachte seine Geschäfte zur Blüte – besonders im Austausch mit Portugal. Dort kaufte er Salz, Oliven, Zitronen, Orangen und Wein, aber auch Tabak, Gewürze und Kaffee aus Übersee.

Im Gegenzug exportierte er Heringe aus Norwegen, Getreide aus dem Baltikum sowie Käse und Schinken aus Holstein. Seine Tochter Elisabeth heiratete 1785 den späteren Bürgermeister Wilhelm Amsinck. Siehe oben. Somit befindet sich die merkantile Goldgrube nach wie vor im Familienbesitz. 1984 übergaben die Amsincks dem Museum für Hamburgische Geschichte ein unbezahlbares Erinnerungsstück: eine mit Brillanten verzierte Tabatiere. Sie wurde Schuback einst vom österreichischen Kaiser Franz II. geschenkt. Anlass waren vorzügliche Geschäftsbeziehungen zwischen Hamburg und Wien.

Familienchronik wurde vor mehr als einem Jahrhundert verfasst

Heute hat das hanseatische Unternehmen Vertretungen in mehreren afrikanischen und südostasiatischen Ländern. Die Brüder Peter und Henry Amsinck betreiben von Hamburg und Johannesburg aus gemeinsam technischen Export. Henry Amsincks Zwillingstöchter Alexandra und Jessica machen gerade ihr Abitur und möchten anschließend in Europa studieren.

Bevor Häppchen auf den Tisch des Hauses kommen, holt Peter Amsinck Schätze der Vergangenheit hervor. Es handelt sich um die zweibändige, in jeder Beziehung schwergewichtige Familiengeschichte der Amsincks. Verfasst wurde sie vor mehr als einem Jahrhundert vom Landrichter Caesar Amsinck. Ein umfassender Stammbaum wird von Generation zu Generation weitergereicht – und erweitert. In beiden Fällen handelt es sich um Hamburgensien erster Klasse.

Vor mehr als einem Jahrhundert verfasste Amtsrichter Caesar Amsinck diese Familienchronik
Vor mehr als einem Jahrhundert verfasste Amtsrichter Caesar Amsinck diese Familienchronik © Andreas Laible | Andreas Laible

„Wir bilden uns darauf gar nichts ein“, fasst Peter Amsinck die Einstellung seiner Familie zusammen, „aber interessant ist die Geschichte schon.“ Cousin Christian Amsinck bringt seine Sicht so auf den Punkt: „Mich beeindruckt die Kombination aus kaufmännischen Tugenden und sozialpolitischem Engagement als roter Faden im Handeln unserer Vorfahren.“ Ohnehin schließt sich auch hier der Kreis: Christian Amsinck ist Mitglied im Übersee-Club, der wiederum im ehemaligen Amsinck-Palais zu Hause ist.

Dass Tradition modernen Charakter haben kann, beweist Veronica Amsinck. Zu ihrem 18. Geburtstag im vergangenen Jahr erhielt sie von ihrer Großmutter einen Ring mit dem Siegel der Amsincks. Die junge Frau hält das Schmuckstück in Ehren. Veronica trägt es mit Stolz. Und ganz bewusst.