Hamburg/Berlin. Razzia gegen linke Szene auch in Hamburg. Laut Polizeipräsident war das Ziel, an den “Kern der autonomen Szene heranzukommen“.

Fünf Monate nach den Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg hat die Polizei Razzien in acht Bundesländern vorgenommen. Das teilte die Hamburger Polizei mit. Der Einsatz der Sonderkommission „Schwarzer Block“ startete am frühen Dienstagmorgen. Ziel war es, weitere Beweise zu sichern und an den "Kern der autonomen Szene heranzukommen", sagte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Mittag.

Bei der groß angelegten Durchsuchungsaktion verschafften sich die 583 Beamte Zugang zu 23 Wohnungen der linken Szene in Hamburg (1), Berlin (1), Hessen (1), Nordrhein-Westfalen (10), Baden-Württemberg (3), Sachsen-Anhalt (1), Rheinland-Pfalz (1) und Niedersachsen (5).

Anführer von „Roter Aufbau Hamburg“ im Fokus

In Ham­burg zielte die Razzia auf einen führenden Kopf der linksextremistischen Gruppierung „Roter Aufbau Hamburg“ ab. Die Führungsfigur war maßgeblich an der Planung der militanten Aktion am Rondenbarg am 7. Juli beteiligt, sagte der Leiter der Soko „Schwarzer Block“, Jan Hieber.

Am Dienstagmorgen hatten Ermittler rund zweieinhalb Stunden lang eine Wohnung samt Keller am Basselweg in Stellingen durchsucht. Die Beamten verließen das Objekt mit zwei Papiertüten, in denen sich sichergestellte Beweismittel befanden. Die Gruppierung „Roter Aufbau Hamburg“ steht unter Beobachtung des Ver­fas­sungs­schutzes. Die Gruppe hatte in Vi­de­os zu Straf­ta­ten wäh­rend des G20-Treffens aufgerufen.

Auch in Hamburg-Stellingen sicherten die Beamten Beweise
Auch in Hamburg-Stellingen sicherten die Beamten Beweise © HA | André Zand-Vakili

"Das war eine militante Aktion"

Die Durchsuchungen erfolgten im Zusammenhang mit Ermittlungen zu Ausschreitungen während eines Polizei-Einsatzes am 7. Juli in der Straße Rondenbarg im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld am Rande des G20-Gipfels. Von der bundesweiten Razzia erhoffe man sich Beweise für die Ermittlungen zu diesen Vorfällen, sagte Hieber. Zusammen mit Polizeipräsident Präsident Ralf Martin Meyer gab er am Dienstagmittag Einzelheiten zu dem Einsatz bekannt.

Die Razzien haben sich demnach gegen 22 Beschuldigte gerichtet, die als dringend tatverdächtig gelten. Die Ermittlungen gegen den "gewalttätig handelnden Mob" bezögen sich auf den Vorwurf des besonders schweren Landfriedensbruchs, sagte Soko-Leiter Hieber. Bei den Vorkommnissen am frühen Morgen des 7. Juli am Rondenbarg habe es sich um eine "militante Aktion" gehandelt, die nicht zufällig gewesen sei. Hieber: "Das war geplant und keine friedliche Versammlung unter freiem Himmel."

Rund 200 schwarz gekleidete und mit Kapuzen und Schals vermummte Personen seien vom Altonaer Volkspark aus aufgebrochen. Der schwarze Block habe sich mit Pflastersteinen, Baustellenutensilien und anderen Wurfgeschossen bewaffnet. "Auf der Schnackenburgallee an der Einmündung Rondenbarg wurden aus 30 Meter Entfernung die ersten Polizeikräfte beworfen", sagt Hieber. Auch pyrotechnische Gegenstände seien geflogen. Als der schwarze Block geflüchtet sei, hätten sich 14 Personen bei dem Versuch verletzt, auf ein Firmengelände zu klettern.

Medien hatten nach Auswertung eines Einsatzvideos dagegen berichtet, die Beamten seien lediglich mit drei Bengalos beworfen worden.

Polizei stellt Laptops, Handys und USB-Sticks sicher

Bei den Razzien am Dienstag seien vor allem elektronische Speichermedien sichergestellt worden, darunter 26 Laptops und Computer, 35 Handys und mehrere USB-Sticks, sagte der Leiter der Sonderkommission „Schwarzer Block“. Die Auswertung dauert laut Hieber Wochen bis Monate. Festnahmen habe es nicht gegeben. Nach heutigem Stand gibt es 75 namentlich bekannte Beschuldigte, 26 unbekannte Beschuldigte und eine angeklagte Person, sagte Hieber. Noch im Dezember solle es eine Öffentlichkeitsfahndung geben, um die bislang unbekannte Täter zu identifizieren.

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Gewalttätige Proteste gegen G20-Gipfel

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    Interventionistische Linke solidarisiert sich

    Die Interventionistische Linke (IL) und ihre Frontfrau Emily Laquer, die bei der Großdemonstration "Grenzenlose Solidarität statt G20" eine radikale Agenda verfolgt hatten, erklärten sich am Dienstagmittag mit den "Durchsuchungsbetroffenen" solidarisch – insbesondere mit der Gruppe "Roter Aufbau Hamburg".

    „Die Hamburger Polizei hat ein massives Gewaltproblem“, sagte Emily Laquer. Die Behauptung, am Morgen des 7. Juli hätte es am Rondenbarg schwere Ausschreitungen und Angriffe gegeben, seien bislang ohne Belege geblieben. "Videos und Zeugenberichte zeigen stattdessen einen brutalen, unprovozierten Angriff der Polizei, der mehrere Schwerverletze mit Knochenbrüchen zur Folge hatte", so Laquer. Nachdem die Polizeischilderungen im Prozess gegen Fabio V. massiv an Glaubwürdigkeit verloren haben, seien die heutigen Durchsuchungen ein erneuter Versuch, Betroffene von Polizeigewalt zu Tätern zu machen.

    Laut Verfassungsschutz steht die Interventionistische Linke der demokratischen Ordnung ablehnend gegenüber – die Gruppe wird beobachtet.

    Das linke Hamburger Kulturzentrum „Rote Flora“ sei bei dem Einsatz am Dienstag nicht durchsucht worden, sagte ein Polizeisprecher. In Göttingen inspizierten die Einsatzkräfte zwei Objekte. Zum einen seien die Beamten in einem vorwiegend von Studierenden bewohnten Gebäude in der Innenstadt aktiv, sagte eine Sprecherin. Zum anderen sei ein Privathaus Ziel der Aktion.

    Hamburger Innenbehörde begrüßte Razzien

    Die Soko „Schwarzer Block“ mit ihren 170 Einsatzkräften war am 17. Juli direkt im Anschluss an den Gip­fel ins Leben gerufen wor­den. Sie soll Datenträger und Kommunikationsmittel sichern und auswerten. Mithilfe der juristisch verwertbaren Nachweise für strafbare Handlungen sollen die Hintergründe der Ausschreitungen aufgeklärt werden.

    In Niedersachsen durchsuchte die Polizei Häuser in mindestens drei Städten. Mehrere Menschen protestierten gegen die Durchsuchungen. Neben Göttingen seien in Braunschweig und Hannover Objekte der linken Szene durchforstet worden. In Nordrhein-Westfalen gingen die Einsatzkräfte in Köln, Bonn sowie im Rhein-Sieg-Kreis vor.

    Die Hamburger Innenbehörde hat die Razzien begrüßt. „Das zeigt, wie konsequent die Soko 'Schwarzer Block' an der Aufklärung der Krawalle beim G20-Gipfel arbeitet“, sagte ein Sprecher.

    Bisher 23 mutmaßliche Gewalttäter verurteilt

    Im Zusammenhang mit Plünderungen von Geschäften bei den G20-Krawallen hatte die Polizei bereits am 27. September 14 Objekte in Hamburg und Schleswig-Holstein durchsucht. Damals erklärte Meyer, die Behörden gingen davon aus, am Ende bei rund 3000 Ermittlungsverfahren zu landen. Es läge eine zweistellige Terabyte-Zahl an Daten vor, darunter gut 25.000 Einzelvideos von Polizeibeamten, sagte Hieber.

    Bis Montag hatten die Amtsgerichte 23 mutmaßliche Gewalttäter verurteilt, davon sechs zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung. In den übrigen Fällen wurden nach Angaben eines Gerichtssprechers Bewährungsstrafen zwischen 6 und 21 Monaten verhängt. Acht Menschen befänden sich im Zusammenhang mit den G20-Krawallen noch in Untersuchungshaft, sagte der Sprecher am Dienstag.