Hamburg. Spektrum reicht von Politikern und Kirchen bis zu Altlinken: Organisatoren der Aufzüge wollen unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

Die Hansestadt erfährt in dieser Woche nicht nur große Weltpolitik, sondern auch alle Formen des Widerstands: Hinter den rund 30 angemeldeten Demonstrationen zum G20-Gipfel stecken Politiker, Gewerkschafter und Kirchen – aber auch Altlinke, Radikale und etablierte Größen von linksextremen Gruppen. Diese Organisatoren stecken hinter den wichtisten Protestaufmärschen:

Großdemonstration „Grenzenlose
Solidarität statt G20“ (8. Juli, bis zu 100.000 Teilnehmer):

Für die vermutlich größte Demonstration haben sich sehr unterschiedliche Gruppen zusammengetan. Als federführend gilt die Partei Die Linke, deren Bundestagsabgeordneter Jan van Aken auch als Sprecher des Bündnisses fungiert. Van Aken lehnt politische Gipfel nicht grundsätzlich ab: „Reden hilft immer. Denn die, die miteinander reden, schießen nicht aufeinander“, sagte er im Deutschlandfunk. Das G20-Format lehnt er aber ab.

Jan Van Aken (Linke)
Jan Van Aken (Linke) © dpa

Der 56-Jährige arbeitete vor seiner Zeit in der Politik als Uno-Waffeninspekteur und kam im Jahr 2007 als Quereinsteiger zu den Linken. Jan van Aken wirft den Sicherheitsbehörden vor dem G20-Gipfel bewusste Eskalation vor und rief in der Vergangenheit zu friedlichem, bunten Protest gegen die Politik der Staats- und Regierungschefs auf. Für demokratische G20-Kritik stehen in dem Bündnis auch der Umweltverband Robin Wood, die Piratenpartei und die Netzwerke „Recht auf Stadt“ sowie Attac und Jugendgruppen.

Andere Mitglieder verfolgen dagegen eine radikale und extremistische Agenda. Dazu gehört die Interventionistische Linke (IL) und ihre Frontfrau Emily Laquer, die auch Sprecherin der Großdemonstration ist. Die Studentin tritt beim G20-Gipfel auch für Blo­ckaden ein, distanzierte sich in der Vergangenheit nicht eindeutig von Gewalt: „Die wahren Verbrecher sitzen in Parla­menten und Regierungen, während Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken“. Emily Laquer hat in der Struktur der G20-Gegner auch die Funktion einer Vermittlerin und Pressespre­cherin, ist bei gemäßigten und radikalen Mi­t­gliedern der Szene angesehen. Ziel der Interventionisten ist es, mit Bildern eines entschiedenen Protestes die angebliche­ „PR-Show“ der Staats- und Regierungschefs zu übertönen.

Laut Verfassungsschutz steht die Interventionistische Linke der demokratischen Ordnung ablehnend gegenüber, die Gruppe wird beobachtet. Laquer hält das für eine bewusste politische Dämonisierung. Neben der IL sind auch diverse anarchistische Gruppen sowie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Kurden Mitglied in dem Bündnis „Grenzenlose Solidarität statt G20“. In Sicherheitskreisen wird befürchtet, dass von ihnen Gewalt ausgehen könnte. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Hamburg ist dem Bündnis der Großdemonstration beigetreten, ebenso Gruppen aus dem Umfeld des FC St. Pauli.

Demonstration „G20 entern –
Kapitalismus versenken“
(7. Juli, ca. 2000 Teilnehmer)

Der Aufzug am ersten Gipfeltag gilt bei Polizisten als möglicher Herd von Krawallen. Als Anmelder fungiert eine Privatperson, als Organisator gilt jedoch die antiimperialistische Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, die einen gewalt­samen Bruch mit dem Kapitalismus fordert. „Wir werden mit unserem Hass auf dieses System mehr sein als eine Randnotiz“, gab die Gruppe bereits kurz nach Ankündigung des Gipfels im vergangenen Jahr im Internet bekannt.

Als Sprecher der Gruppe tritt öffentlich „Deniz Ergün“ auf, der laut Sicherheits­behörden bürgerlich Halil S. heißt. Ergün fungierte in der Vergangenheit bereits als Anmelder von Demons­trationen am 1. Mai, bei denen es zu Krawallen kam. Im Bezug auf G20 soll er per Facebook mitgeilt haben: „Mit uns gibt es Molotowcocktails statt Sektempfang.“

In einem aktuellen Video übt der „Rote Aufbau Hamburg“ laut Verfassungsschutz auch den Schulterschluss mit anarchistischen Gruppen, die eine völlig andere Ideologie verfolgen. In martialischen Bildern wird zu gewalt­samem Protest aufgerufen, die Mitglieder des „Roten Aufbaus“ sind dabei vermummt.

Protestzug „ G20 –
Welcome to Hell“
(6. Juli, bis zu 10.000 Teilnehmer):
Der erste große Demonstrationszug direkt vor Beginn des Gipfels könnte zum Fanal linksxtremer Gewalt werden. Die Polizei rechnet mit deutlich mehr als 8000 teils gewaltbereiten Demonstranten – darunter jeweils 500 extra angereiste Autonome aus Skandinavien und Italien sowie weitere militante G20-Gegner aus Griechenland, Belgien, Mexiko und den USA.

Das Bündnis ist durch den Einfluss der Roten Flora im Schanzenviertel geprägt. Zu den Organisatoren gehört Andreas Blechschmidt, der seit 1989 in dem besetzten Kulturzentrum aktiv ist und es in der Öffentlichkeit vertritt. Blechschmidt suchte jüngst vor allem wegen des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern im Umfeld der Roten Flora die offene Konfrontation mit der Polizei.

Der studierte Sozialpsychologe unterhält jedoch auch tiefe Verbindungen zu gemäßigten Kräften in der linken Szene – etwa in der Initiative „Lesen ohne Atomstrom“, die ebenfalls zu einem Protestmarsch gegen den G20-Gipfel aufruft. In Interviews erklärte Blechschmidt als klares Ziel, den G20-Gipfel so weit wie möglich zu stören.

Andreas Blechschmidt
Andreas Blechschmidt © dpa

Ein langjähriger Weggefährte Blechschmidts vertritt das Bündnis „Welcome to Hell“ öffentlich: der Rechtsanwalt Andreas Beuth. Auch er richtete deutliche Ansagen an die Polizei: „Wenn wir angegriffen werden, (...) dann werden wir uns natürlich auch zur Wehr setzen mit Mitteln, die wir uns selbst suchen“, so Beuth.

Als Rechtsanwalt vertrat Beuth in den vergangenen Jahrzehnten diverse Mitglieder der linken Szene nach Zusammenstößen mit der Polizei, zuletzt im Prozess gegen mehrere Hausbesetzer der „Squatting Days“. Beuth gilt auch als Stratege für das Verhalten der Teilnehmer bei Großdemonstrationen und Wortführer in der linken Szene.

Nach Abendblatt-Informationen sind Beuth und Blechschmidt darauf bedacht, dass die Demonstration des Bündnisses „Welcome to Hell“ nicht frühzeitig von der Polizei beendet wird. Entsprechend wurden die Teilnehmer angehalten, sich bei der Demonstration selbst zurückzuhalten – sowie in größeren Gruppen zu agieren, um Durchsuchungen und mögliche Festnahmen durch Polizisten zu erschweren. Laut Beuth führt einer „der größten schwarzen Blöcke, die es je gegeben hat“ die Demonstration am Donnerstag an.

Hamburg zeigt Haltung
(8.7., ca. 30.000 Teilnehmer)
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Protest geht auch anders: Das Bündnis „Hamburg zeigt Haltung“ ist nicht dagegen, dass sich Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel in Hamburg treffen, wohl aber gegen die Politik einiger teilnehmender Staaten – namentlich der Türkei, Russlands, Chinas oder der USA – und ihrer führenden Repräsentanten. „Hier kommt so mancher in unsere Stadt, der aus unserer Sicht eher Teil des Problems als Teil der Lösung ist. Ich denke dabei an die Herren Putin und Erdogan, aber auch an die Präsidenten Xi und Trump“, sagte Bischöfin Kirsten Fehrs. „Sie alle stehen für eine Haltung, die wir inakzeptabel finden und nicht schweigend hinnehmen wollen.“

Kirsten Fehrs
Kirsten Fehrs © M. Hernandez

Neben Fehrs zählen Erzbischof Stefan Heße, Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU), Theatermacher Corny Littmann, Thalia-Intendant Joachim Lux und Ballettchef John Neumeier sowie Susanne Schmidt, die Tochter Helmut Schmidts, zu dem Bündnis. Auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit unterstützt die Demonstration.

„Hamburg zeigt Haltung“ distanziert sich klar von Gewalt und ist insofern eine „bürgerliche“ Protestalternative zu „Grenzenlose Solidarität gegen G20“. Es ist vermutlich kein Zufall, dass beide Protestzüge zeitlich fast parallel stattfinden. „Hamburg zeigt Haltung“ wurde später angemeldet und startet am Sonnabend, 8. Juli, um 12.30 Uhr nach einem ökumenischen Gottesdienst (10.30 Uhr) in der Hauptkirche St. Katharinen und führt am Elbufer entlang bis zum St. Pauli Fischmarkt.

„Wir wollen Haltung zeigen und den Autokraten demonstrieren, wie wichtig uns unsere Werte sind“, sagte die Grünen-Landesvorsitzende Anna Gallina, die „Hamburg zeigt Haltung“ ebenfalls unterstützt.

Auch der frühere Kultur- und Justizstaatsrat Nikolas Hill (CDU) zählt zu den Unterzeichnern des Demo-Aufrufs. „Hamburg versteht sich als weltoffen, tolerant und Ort gelebter demokratischer Grundwerte. An dem Gipfel nimmt eine Reihe der Staatschefs teil, die für Protektionismus, Ausgrenzung und autokratische Strukturen stehen“, sagte Hill, der zugleich die Initiative „Haltung.Hamburg“ mit einer ähnlichen Zielrichtung mitgegründet hat.

„Wir wollen und werden dieses Feld nicht den politisch Radikalen überlassen, sondern die demokratische Mehrheit zu Wort kommen lassen, ihr ein Forum bieten und eben genau das zeigen: Haltung“, sagte Hill.