Anlässlich des neuen Albums „Blue & Lonesome“ erinnern sich Abendblatt-Redakteure an ihre Momente mit den Rolling Stones.
„I’m blue and lonesome“, beschwert sich der nölende Sänger, „ich bin traurig und allein“. Aber was bringt die Klage, am Ende muss halt die Frau zurückkommen. Was sie vermutlich nicht tut.
Der Mann, der da barmt, heißt Mick Jagger, und er veröffentlicht heute zum ersten Mal seit elf Jahren mit seiner Band, den Rolling Stones, ein neues Album. Das ist aus vielerlei Hinsicht jeder Rede wert, oder? Die Stones gehören schließlich als Rockpioniere zum Weltpopkulturerbe. Spötter sagen, dass die fast 55 Jahre alte Band reif fürs Altenheim ist. Fans dagegen sagen, dass die Stones ihnen mit die besten Momente ihres Lebens beschert haben – weshalb im Folgenden einige persönliche Rolling-Stones-Momente von Abendblatt-Redakteuren versammelt sind.
Denkmal für andere Musiker
Und das neue Album? Heißt wie ein Song „Blue & Lonesome“ und könnte gar keinen besseren Namen haben. Die Stones leihen sich den Titel nämlich bei Little Walter, einem Bluesmusiker, der den Song schrieb und sang, den die Stones nun nachspielen. Das Cover-Gebot gilt für das gesamte
Album – alle zwölf Songs wurden von anderen Musikern geschrieben und das schon vor langer Zeit. Diesen Musikern setzen die Stones nun ein Denkmal, weil sie ihrer Musik unendlich viel verdanken. Spitzt man die Geschichte der ältesten Rock-’n’-Roll-Band der Welt zu, kann man nämlich sogar sagen: Sie hat nie etwas anderes getan, als die Songs der afroamerikanischen Bluesmusiker nachzuspielen. Die Populärmusik ist ohne den Einfluss jener Musiker nicht denkbar.
Den Stones war das stets bewusst; sie hatten in den 60er-Jahren, so erzählt man sich, als sie die Traditionals mit ihrem Popgespür amalgamierten und zu Weltstars wurden, durchaus Anflüge eines schlechten Gewissens. Während sie Waggonladungen von Langspielplatten verkauften, kannte fast niemand die Namen derer, bei denen sie sich bedient hatten. Die Stones selbst haben diese Namen nie verschwiegen.
Zeitlose Botschaften
Howlin’ Wolf, Willie Dixon, Jimmy Reed, Eddie Taylor, Otis Rush – Kenner wissen längst: Die haben alle ihren Platz in der Blues-Ruhmeshalle. Sie alle sangen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Schmerz und Herzeleid, von den Nöten mit sich und mit ihr, aber die Botschaften sind zeitlos; sie überschreiten auch die Grenzen von schwarzen und weißen Lebenswelten.
Mick Jagger, Keith Richards, Ronnie Wood, Charlie Watts und ihre Tourmusiker Darryl Jones (Bass), Chuck Leavell (Keyboards) und Matt Clifford (Keyboards) interpretieren also auf „Blue & Lonesome“ die Klassiker, die Mick Jagger in einer Nacht nach einem anstrengenden Studiotag auf seinen Computer-Playlists zusammensuchte. So erzählt er es bei einem seiner seltenen Interviews in der „Zeit“.
Stones klingen wieder roh und ungeschliffen
Eigentlich arbeiten die Rolling Stones nämlich seit Jahren an einem neuen Album mit eigenen Stücken. Im Studio spielen sie zum Warmwerden Blues, und an einem Tag vor einem Jahr etwa wollte dieses stellenweise euphorische Vorgeplänkel gar nicht mehr aufhören. Weshalb es dem Vernehmen nach Produzent Don Was war, der den Entschluss fasste, vor dem regulären ein Coveralbum einzuspielen.
Da ist er nun: ein stampfender, scheppernder, schunkelnder, vibrierender Blues-Songreigen, bei dem Jagger hingebungsvoll Mundharmonika spielt und Richards sowie Wood sich schuftend durch die Gitarrenakkorde wühlen.
Drei Tage brauchten die Musiker für die Aufnahmen. Angeblich benötigten sie bei keinem Song mehr als drei Versuche, und nachproduziert wurde auch nicht. Es ist jetzt wohl tatsächlich so, dass die Stones Jahrzehnte nach den ersten Auftritten wieder klingen wie damals: roh und ungeschliffen. Als Würdigung der Blues-Erfinder ist „Blue & Lonesome“ gelungen. Es wäre nicht das Schlechteste, wenn dem Blues nun neue Verehrer erwachsen – und manch Nachgeborener dann historische Gerechtigkeit walten lässt. Auch die CDs von Little Walter gibt es schließlich noch zu kaufen.
Lesen Sie die persönlichen Rolling-Stones-Momente der Abendblatt-Redakteure: