Hamburg. Teil 10: Wie kann man sich auch ohne Geräte fit halten, mit einem Buch als Anleitung? Abendblatt-Redakteur macht den Selbstversuch.
Sport war schon immer mein Ding. Fußball, Tennis, Tischtennis, Volleyball, Golf – was habe ich nicht alles intensiv ausprobiert. In einen Fitnessclub zu gehen und Gewichte zu stemmen wäre mir nie in den Sinn gekommen. Wie langweilig. Aber der Winter ist mein Feind. Zu wenig Bewegung, zu viel Rotwein und Chips an langen, dunklen Abenden vor dem TV. Ich habe mich immer geweigert, mir eine andere Konfektionsgröße zuzulegen. Aber jetzt, Anfang Februar, ist eine kritische Grenze erreicht. Der Hosenbund spannt so sehr, dass ein Knopf abplatzt. „Wahrscheinlich Materialschwäche“, starte ich noch einen schwachen Erklärungsversuch, um dann einzusehen: So geht es nicht weiter.
Tag 1: Stehe in der Buchhandlung in der Europa-Passage vor dem üppigen Regal mit den Fitnessbüchern. Da sehe ich ihn. Auf dem Cover blickt er mich entschlossen an. Traumhaft austrainierter Oberkörper, inklusive Sixpack. „No excuses“, keine Ausreden, heißt der Titel. „Mit dem revolutionären 21-Tage-Programm ohne Geräte wirst du garantiert fit und schlank“, verspricht mir Autor Seyit Ali Shobeiri, der in Hamburg lebt. Selbst Einsteiger seien in der Lage, mit seinem Programm sofort loszulegen. Geschicktes Marketing, denke ich auf dem Weg zur Kasse.
Tag 2. Letzte Vorbereitungen. Kaufe im Reformhaus diverse Pulver, von denen ich noch nie was gehört habe. Macapulver, Matchapulver, Acaipulver, Weizengraspulver. Es käme nicht nur aufs Training an, habe ich gelesen. Die richtige Ernährung mache einen Großteil des Erfolgs aus.
Tag 3. 6.45 Uhr, der Hobbyraum im Keller ist freigeräumt, es kann losgehen. Warm-up, Mobilität, Haupttraining, Cool-down, das Programm ist stets in vier Teile untergliedert. Alle insgesamt 38 Übungen – am ersten Tag sind zehn dran – werden in Text und Bild erklärt. Aber schon beim Aufwärmen ahne ich, was auf mich zukommt. „Jumping Jack“, eine Art Hampelmann-Übung, lässt schon nach einer Minute meinen Atem schwer werden. „Walking Squat Kick“ (Lufttritte im Kung-Fu-Style), „Explosive Sit-up“ (Bauchmuskeltraining) und „Superman Push-over“ (modifizierte Liegestütze) geben mir den Rest. Nach 45 Minuten schleppe ich mich keuchend die Treppe hoch, um mir mein Frühstück zuzubereiten: einen Powerjuice mit drei Salatgurken, einer Zitrone und den diversen Pülverchen, den „Superfoods“, alle selbstverständlich auf Naturbasis. Bin ich hier in einer Dschungelprüfung gelandet?
Tag 4. Geil, die Waage zeigt ein Kilo weniger. Nach einem Tag! Und die Thunfischfrikadellen schmeckten auch nicht so übel. Den Muskelkater gibt’s dafür gratis dazu. Ist das Programm vielleicht doch zu hart für einen, der den Altersäquator vor Kurzem überschritten hat? Keine Ausreden! Setze mich selbst unter Druck, indem ich ein Foto von Shobeiris Waschbrettbauch in einer WhatsApp-Gruppe meiner Freunde poste: „So sehe ich bald auch aus.“
Tag 5. Das Kilo ist wieder drauf. Mist. Gut, die Disziplin bei der Ernährung fällt noch schwer. Nur Gemüsesticks mit Avocadocreme, das war am ersten Abend zu hart. Shobeiri, den ich über Facebook angeschrieben habe, meldet sich. Gerne könne man sich treffen.
Tag 6. Jetzt weiß ich, warum es mich nie in Fitnessclubs zog. Neid! So viele schöne Körper! Wir suchen uns eine freie Fläche, und wir gehen einige Übungen durch, er korrigiert mich. „Fitness ohne Geräte gibt es ja schon länger. Ich habe versucht, viele Übungen aus dem Kampfsport zu integrieren“, erklärt er. Über 30.000 Bücher hat „Coach Seyit“ verkauft. Ein Megaerfolg. „Bücher wie meines sind eine gute Motivation, sich zu bewegen. Aber noch viel wichtiger ist es, jemanden zu haben, der kontrolliert, ob die Übungen korrekt ausgeführt werden.“ Auf seinem Handrücken sehe ich den Schriftzug „No excuses“ in dicken Lettern eintätowiert. „Das ist zu meinem Lebensmotto geworden.“ Wie er auf ein Drei-Wochen-Programm kam? „Dein Körper braucht 21 Tage, um deine Psyche komplett ändern zu können.“
Tag 7. Trainiere inzwischen nur noch am Abend, diesmal erst um 21.30 Uhr. Rolle die Matte im Wohnzimmer vor dem TV aus und bin nach 40 Minuten schweißgebadet, aber mächtig stolz. Wieder das Programm durchgezogen. Beschließe, einen professionellen Entsafter zu kaufen, der leichter zu reinigen ist als das Standardmodell.
Tag 8. Wirkt das Training? Fühle mich energiegeladen, voller Tatendrang.
Tag 9. Haben Freunde im Haus. Das emotionale Hoch hält an. Führe in der Küche spontan den „Single Lateral Lunge“ vor, eine Art Fitness-Sirtaki in der Hocke. Ernte erstaunte Blicke. Ernährungstechnisch endet der Abend allerdings in einem Desaster.
Tag 10. Was ist das? Ich soll eine Wellness-Sequenz einlegen. Wird schwer, in der Redaktion eine Massagebank zu finden. Und ich darf von meinem Essensplan abweichen und Ungesundes essen. Darauf habe ich aber überhaupt keine Lust. Entscheide mich für Gemüsechips für den TV-Abend.
Tag 12. Überprüfung des Bauches. Zeigt sich vielleicht schon der Ansatz eines Sixpacks? Negativ. Immer noch Onepack. Übe erstmals den „Walkout push-up und Jump squat“ – aus der Hocke in die Liegestützposition springen, tief nach unten gehen, wieder aufdrücken, mit den Händen zurück Richtung Füße krabbeln, aus der Hocke einen Strecksprung machen, leise landen. Puh, und das im Wechsel mit drei weiteren Übungen erst zehnmal, dann neunmal, achtmal, ... Am Ende bin ich am Ende.
Tag 13. Ich will wissen, wie ein Sportmediziner so einen Selbstversuch einschätzt. Erreiche Michael Ehnert, den Leiter des Instituts für Sportmedizin und Prävention der Asklepios-Klinik St. Georg, am Telefon. „Training mit dem eigenen Körpergewicht ist prinzipiell eine interessante Übungsmethode, die Hemmschwelle hierfür ist sehr niedrig“, meint er einleitend. „Man kann es überall ausüben, ob während einer Geschäftsreise oder im Urlaub.“ Allerdings rät er: „Wer nur nach den Anleitungen im Buch vorgeht, dem fehlt das Regulativ. Die Bewegungen sind nur so gut, wie sie ausgeführt werden. Es wäre sinnvoll, die Übungen vorher mit einem Trainer durchzugehen und von Zeit zu Zeit überprüfen zu lassen. Auch ein Besuch beim Sportarzt ist zu empfehlen, um mögliche Schwachstellen und mögliche individuelle Risiken zu erkennen und das Training entsprechend zu dosieren.“ Ob es eine Altersgrenze gibt? „Nein, gerade im Alter können solche Übungen zu besserer Stabilität und Flexibilität des Körpers beitragen.“
Tag 14. Bin müde. Keine Lust aufs Training, war ein anstrengender, eher nerviger Arbeitstag. Schande über mich, aber heute geht gar nichts. Pause.
Tag 15. Blättere im Buch und erinnere mich an die Worte von Coach Seyit: „Alex, Ausreden sind was für Schwächlinge. Ich will nichts davon hören.“ Zwinge mich zu Military Plank (Krabbeln im Ellenbogenstütz) und „Clap Push-up II“ (aus dem Liegestütz in die Hände klatschen). Später treffe ich einen Freund. „Hast du abgenommen?“, fragt er nach der Umarmung. Mehr Motivation geht nicht.
Tag 16. Am Nachmittag kommt Coach Seyit in die Redaktion. Er erzählt, dass im April sein nächstes Buch erscheint. Anders als beim Erstlingswerk geht es um Muskelaufbau. Bei den Fotoaufnahmen hat er (bei 1,76 Meter Größe) 95 Kilo gewogen. „Jetzt sind es nur noch 82.“ Wahnsinn, denke ich. Und dann: Ohne das Buch hätte bald wohl auch so viel gewogen. Nur mit weniger Muskeln.
Tag 17. Die Waage springt am Morgen in den 87-Kilo-Bereich. Rechne blitzschnell aus, dass ich zehn Packungen Butter weniger mit mir herumtrage. Bin euphorisiert. Aber ausgerechnet jetzt soll ich schon wieder einen Tag Pause einlegen und darf essen, worauf ich Lust habe (auch Schokolade), damit der Stoffwechsel nicht zu träge wird. Am Abend dann ein Bauchvergleich mit meiner Frau, die auch angefangen hat, sich gesünder zu ernähren. Sie gibt zähneknirschend eine positive Veränderung bei mir zu: „Frauen nehmen nicht so einfach am Bauch ab.“
Tag 18 bis 22. Tschüs, Redaktion! Verabschiede mich für vier Tage zum Skifahren in die Berge. Zwei Tage halte ich das Programm (ohne Oberschenkel-Training) durch, dann sorgt ein Einkehrschwung in die Après-Ski-Bar für einen ungeplanten Boxenstopp.
Tag 23. Geschafft! Das Ergebnis ist befriedigend. Habe 2,5 Kilo Gewicht verloren, fühle mich deutlich geschmeidiger, und die Übungen fallen mir deutlich leichter als vor drei Wochen. Ganz sicher wäre aber mehr drin gewesen bei einer disziplinierteren Ernährung. Vor allem im Bauchbereich. Und was nun? Aufhören ist keine Option. Ich habe das Gefühl, ich stehe erst am Anfang. Alles noch mal zurück auf Los, zu Tag 1. Wäre doch gelacht, wenn ich das Pensum dieses Mal nicht komplett schaffe. Dieses Mal lasse ich echt keine Ausreden zu!