Hamburg. Teil 7: Abendblatt-Redakteur Axel Tiedemann über Training auf dem Drahtesel – und bemitleidenswerte Hamster.
Oft habe ich sie seinerzeit gesehen. Auf dem Weg zur S-Bahn musste man fast zwangsweise hinschauen: Dort oben im ersten Stock eines mächtigen Altbaus: Dort strampelten sie hinter großen Fenstern auf Laufband oder Standfahrrad ihre Kalorien ab. Meine Schlechte-Gewissen-Macher.
So nannte ich sie, obwohl ich sie nicht kannte. Nur sah, wie sie sich bewegten, schwitzten, Sport trieben – während sich meine Ertüchtigungen meist nur noch auf kurze Fußwege beschränkten; im ewigen Wettlauf mit der Bequemlichkeit war ich langsam, schleichend, aber unaufhörlich in den letzten Jahren immer weiter zurückgeblieben.
Würde mich das Laufband da wieder rausreißen? Ich hab’s dann probiert und wurde schnell zu einer Karteileiche, von der diese Clubs leben. Laufen oder Radeln im Stand ist eben – jedenfalls für mich – so reizvoll wie eine Einladung zur Grillparty, wo es nur Tofu-Würstchen und alkoholfreies Bier geben soll. Da steht zwar „Fun“ drauf, ist aber doch nur fader Ersatz. Und komisch, beim Blick auf die Laufbandjünger fiel mir bald immer schnell auch mein Hamster ein, den ich als Kind einmal hatte. Tagein, tagaus drehte der im Laufrad seine Runden, immer wieder. Ohne aus dem Käfig zu kommen, immer im Laufrad.
Bis er tot war.
Und dann kam die Idee mit dem Fahrrad als rollendes Fitnessstudio, das sich in den Alltag einfach einbauen lässt. Man fährt mit dem Rad zur Arbeit – und hat seinen Sport gleich erledigt. Da ist Fitness nicht nur Selbstzweck, sondern auch Fortbewegung. Und viel mehr als ein Käfig. Selbst auf langen Strecken aus dem Umland bis nach Hamburg ist der zusätzliche zeitliche Aufwand fürs Radeln gering, wenn man bedenkt, dass man mit Bus, Bahn oder Auto auch eine ganze Weile braucht, um durch die Stadt zu kommen. Manchmal ist es sogar schneller mit dem Rad. Der Effekt dieses schlichten Tauschs ist indes enorm: Kraft, Ausdauer, frische Luft – alles gibt es dabei gratis.
Allerdings muss sportliches Radeln im Alltag etwas anders organisiert werden als der Radsport nach Feierabend. Da taucht dann schnell die Frage zum richtigen Rad auf, zur richtigen Bekleidung, der richtigen Technik. Welcher Lenker, welcher Sitz, welche Gangschaltung? Helm oder nicht Helm?
Doch das alles ist zunächst zweitrangig: Auf die Bewegung kommt es an: Mit einem ollen Hollandrad lässt sich genauso ein Trainingseffekt erzielen wie mit einem teuren Carbon-Renner. Man muss dazu nur einmal einen Pulsmesser umbinden und schauen, wie die Herzfrequenz hochschnellt, wenn es mit dem Oldtimer-Rad ohne Gangschaltung bergauf oder gegen den Wind geht. Mit dem Renner ist man zwar schneller. Aber nicht fitter.
Viel wichtiger ist daher das Universal-Erfolgsrezept: Beharrlichkeit! Jeden Tag rauf aufs Rad, bei Wind und Wetter, sich keine Ausrede gönnen – das ist der Weg. No pain, no gain: Davon kann man sich auch mit edelstem Equipment nicht freikaufen.
Und nun zum Rad: Zuerst versuchte ich es mit einer Art Trekkingbike. Das fuhr sich bequem, und auf den holprigen Wegen in der Stadt schluckten die gute Gabelfederung und die relativ breiten Reifen die Stöße weg. Doch Gegenwindstrecken sind damit auch zäh, die Sitzhaltung zu aufrecht. Und wenn man mal schneller fahren kann, weil der Wind ausnahmsweise von hinten kommt, dann absorbiert die Federung viel von der Kraft. Mein nächster Kauf war daher ein Rennrad: Die gebeugte Haltung erwies sich als ideal bei den langen Gegenwindpassagen, in der mittleren Haltung und nur leicht gebeugt ist auch die Rückenhaltung besser als der aufrechte Sitz. Mit einklickbaren Rennradschuhen schaffte ich zudem den perfekten Kurbeltritt, rund, schön, schnell kraftschonend. Manchmal war es so schön, dass ich lange Umwege gefahren bin.
Doch das Rennrad hat auch erheblich Nachteile, sodass ich es inzwischen nur als Schönwetterfahrzeug nutze. Fest in die Pedale eingeklickt, kann es im Stadtverkehr ganz schön gefährlich werden. Die dünnen, harten Reifen sind anfälliger für Pannen, und auf holprigen Strecken in der Stadt schüttelt es einem fast die Augäpfel heraus. Und weil Rennräder nun einmal kein Schutzblech haben (das wäre wie Porsche mit Anhängerkupplung), sah ich nach einer Regenfahrt so aus, als hätte ich gerade im Matsch gebuddelt.
Jetzt habe ich das ideale Alltagssportgerät gefunden: ein sportliches Rad mit guter Beleuchtung und tiefen Schutzblechen. Keine anfällige 27-gängige Kettenschaltung mehr, sondern eine super funktionierende Narbenschaltung mit acht Gängen, die völlig reichen. Dazu ein Gummischutz für die Kette, um die Hose zu schonen. Die Reifen sind etwa dicker und haben einen Pannenschutz. Ich bin damit zwar nicht mehr so schnell unterwegs. Macht aber nix. Man kommt auch so gut ins Schwitzen.
Und damit sind wir schon beim größten Problem des alltäglichen Fitnessradelns: der Bekleidung. Was zieht man an? Nässe durch Schweiß oder Regen sind hier das ewige Problem. Doch spezielle Radklamotten sind auch nicht unbedingt alltagstauglich. Es geht eben nicht zur Tour de France, sondern nur zum Job. Und die hautengen Radlerhemden erinnern bei manchen doch gefährlich an eine Wurstpelle.
Dennoch: Sportbekleidung aus Kunstfasern ist ideal, weil sie Feuchtigkeit schnell abgibt. Baumwolle hingegen ist fatal, weil sie Nässe regelrecht aufsaugt. Enge Sport-T-Shirts sind dabei die erste Wahl, wie ich bald festgestellt habe. Sie liegen eng am Körper und lassen schnell die Nässe hindurch. Außerdem sind sie leicht und lassen sich schnell wechseln. Darüber kann man eine sportliche Softshell-Jacke tragen, die Regen eine Weile abhält, die aber immer noch so atmungsaktiv ist, dass sie Schweiß nach außen lässt. Reine Regenjacken hingegen sind großer Mist, weil man dann zwar keinen Regen abbekommt, aber mindestens genauso patschnass wird durch den Schweiß. Viel habe ich hier experimentiert: Sehr gut sind beispielsweise Sportklamotten aus der Abteilung Skilanglauf, besonders im Winter. Wanderjacken oder -hosen sind hingegen oft zu warm und zu dick fürs schnelle Radeln im Alltag. Allgemein gilt dabei eine Regel, um so etwas wie die Idealbekleidung zu tragen: Im Stehen muss man noch ein bisschen frieren – dann ist es auf der Strecke am angenehmsten.
Und nun in die Nice-to-have-Abteilung: Während auch ein langsamer Jogger noch Ausdauer trainiert, ist die Trödelgefahr beim Radeln groß. Die Gedanken schweifen dahin, der Tritt wird lahmer: Da braucht man dann kleine Anstupser wie zum Beispiel einen Tacho. Noch besser aber ist ein Pulsmesser: Man stellt seinen gewünschten Trainingspuls ein, und das Ding piept wie ein nörgelnder Trainer, wenn der Wert darunter sackt. Interessant sind auch spezielle Apps fürs Smartphone: Sie zeichnen Wegstrecke, Tempo und Kalorienverbrauch auf. So lässt sich eine Steigerung der Fitness messen.
Fazit: Ein sportliches, leichtes Rad mit Schutzblechen, Beleuchtung und Nabenschaltung ersetzt das Fitnessstudio auf dem Arbeitsweg. 500 bis 700 Euro kann so ein Rad kosten, der Jahresbeitrag fürs Indoortraining ist meist teurer, der Zeitaufwand deutlich größer. Nur bei der Bekleidung muss man immer wieder mit seinen eigenen Bedürfnissen experimentieren
Heute radele ich an dem Fitnessstudio in dem Altbau übrigens immer noch vorbei und schaue hoch. Was verpassen die da bloß? Strampeln, aber kommen nicht von der Stelle. Alles im geschlossen Raum und ohne Chance, die ersten warmen Sonnenstrahlen des Frühlings im Gesicht zu spüren, den leichten Abendwind, die Gerüche von Wiesen.
Nur manchmal, wenn Südwestböen von vorn die Regenschauer in Stellung bringen, die Knochen müde und die Wege noch weit sind – dann grüble ich doch schon einmal über diese Alternative nach.
Aber nur kurz, weil ich dann wieder an den Hamster denken muss ...