Hamburg . Redakteurin besuchte zum ersten Mal in ihrem Leben ein Boxtraining für Anfänger. Eines der Resultate war ein neues Körpergefühl.
Na, wie war ich?“ Julia schaut mich an und lacht. „Du hast nicht aufgegeben. Das war schon mal ziemlich gut.“ Als Dialog zwischen einem Paar nach dem Sex wäre so eine Beurteilung höchstens eine Vier. In meinem Fall kann ich mich freuen. Ich habe das erste Mal in meinem Leben an einem Boxtraining teilgenommen – und bis zum Ende der Stunde durchgehalten! Mit Pausen zwar, und verschwitzt wie lange nicht mehr. Aber immerhin. Zur Belohnung gibt es an der Bar einen kostenlosen Energy-Drink. „Denkt jetzt bloß nicht, das wird zur Gewohnheit“, hat Olaf Jessen, der Trainer, zuvor seiner Gruppe augenzwinkernd zum Abschied mit auf den Weg in die Duschkabinen gegeben. „Die kleine Bestechung verdankt ihr der Teilnahme dieses Neulings. Wir wollen ja, dass unser Training gut rüberkommt.“
Ohne Hemmungen zuzuschlagen reizt hier niemanden, keiner will sich prügeln
Eine vergleichsweise leichte Übung. Die Schnupperstunde im Hankook Sportcenter von Olaf und Susanne Jessen, direkt an der S-Bahn-Station Langenfelde gelegen, wird der Anfängerin dank sorgsamer Betreuung in bester Erinnerung bleiben. Mehr noch, vielleicht wurde Lust auf Bewegungen geweckt, die eine Tennis- und Golfspielerin sowie Joggerin gegen die Pfunde so noch nicht kannte. Und von denen Julia, aufmerksame Trainingspartnerin an den großen Boxhandschuhen, Pratzen genannt, sagt: „Boxen kann süchtig machen. Das Gefühl, sich den Bewegungen hinzugeben, sich auszupowern bis an die Grenze, ist für mich mit nichts anderem zu vergleichen.“ Dass Frau auch lernt, ohne Hemmungen zuzuschlagen, ist allerdings nur ein Nebeneffekt. „Bloß nicht“, sagt Julia. „Ich will mich ja nicht prügeln.“
Dreimal in der Woche bietet Olaf Jessen je zwei Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene an. „Keine Choreografie, keine Box-Aerobic, richtiges Boxtraining“, sagt er. Das ist ihm wichtig. „Meine Teilnehmer haben nach einer gewissen Zeit nicht nur ein hohes Fitnessniveau. Sie können auch die Technik des Schlagens.“ Wer will, wagt sich irgendwann an ein richtiges Sparring, also eine sportliche Auseinandersetzung im Ring. So wie Sarah Johannson von der HSV-Boxsportabteilung, die bei Hankook trainiert. Ein Jahr bereitete sie sich mithilfe von Jessen auf die Teilnahme am Weihnachtsturnier des Amateurverbandes vor. Zwar verlor sie ihren allerersten Fight, doch der Trainer war dennoch zufrieden. „Ein Sieg wäre das i-Tüpfelchen gewesen. Aber da fehlte dann einfach noch etwas Erfahrung“, sagt er.
Natürlich sind derlei Ambitionen für den Anfänger etwa eine Erdumrundung weit entfernt. Sein Problem beginnt früher. Schon das Aufwärmen erfordert Koordinationsvermögen – für einen Spätlerner eine ziemliche Herausforderung. Schrittfolgen wie beim Boxen üblich mit Schlagbewegungen der Arme aufeinander abzustimmen, überfordern den Neuling sowie seine Schultern und Hüften. „He, was ist los mit dir?“, ruft Jessen, der gut gelaunt seine Möchtegern-Boxer abschreitet und mit der Stoppuhr in der Hand derbe Kommentare gut hörbar verteilt. „Das gehört dazu“, sagt er und grinst etwas gemein. „Aber natürlich mache ich das nur, wenn ich sicher bin, dass meine Bemerkungen keinen verletzen.“
Kein Problem. Sprüche absondern, aber auch abkönnen, das gehört bei vielen Sportarten zum ungezwungenen Miteinander dazu. Fast peinlich hingegen ist, dass selbst Handanlegen vom Trainer als Hilfestellung wenig nutzt. Der in diesem Bewegungsmuster ungeschulte Körper will sich mit seinen Extremitäten partout nicht dem Rhythmus beugen und bleibt verkrampft. Da kann der Mann pädagogisch geschult so viel schieben und drehen, wie er will.
Die 24 anderen Box-Jünger im Raum haben diese Schwierigkeiten nicht. Ohne erkennbare Anstrengung hüpfen sie minutenlang auf einem Bein, halten das andere im 90-Grad-Winkel in der Luft und sehen dabei fast entspannt aus. „Schlappmachen gilt nicht.“ Schon wieder Olaf! Gut, dass so ein Studio diverse Wände hat. Den Abschluss dieser peinigenden Übung, die Profis um mich herum hüpfen immer noch auf einem Bein, während sie das andere inzwischen gestreckt in die Höhe halten, ist für die keuchende Mitmacherin nur noch angelehnt mit dem Rücken zur Wand zu schaffen. Pause ...
Sechs Frauen haben sich an diesem Montagabend unter die Männer und Jugendlichen gemischt. „Sie wollen nicht nur unter sich trainieren“, hat Jessen im Vorgespräch erzählt. Früher hat er speziell auch Frauenboxen angeboten. Doch die, die derzeit regelmäßig mitmachen, lassen sich von den Männern und ihrer körperlichen Ausstrahlung nicht verunsichern. Und so tänzeln große, kleine, schlanke und stämmige Figuren beiderlei Geschlechts zu der den Takt vorgebenden Musik. Die körperlichen Voraussetzungen sind genauso gemischt wie die ethnischen Wurzeln. Allen gemeinsam ist die Begeisterung für Training und Trainer.
„Er ist der Beste“, heißt es unisono in der Damenumkleide über den ehemaligen Präsidenten des Hamburger Amateurboxverbandes, der inzwischen als Beisitzer des Vorstands seine Erfahrungen weitergibt. Er sei einfach der perfekte Motivator, sind sich die Frauen einig. Und technisch seien die Fortschritte ebenfalls messbar. Lena, Julia, Magdalena, Romana und Tanja – Frauen zwischen 20 Jahren und 40 plus, betreiben den Boxsport zwar unterschiedlich lange. Doch die Befriedigung über die getane Körperarbeit genießen sie gleich stolz. Runterkommen nach einem anstrengenden Tag, Aggressionsabbau, Selbstüberwindung oder einfach nur Freude über den Zuwachs an Muskeln und eine selbstbewusste Körpersprache sind die Argumente fürs Mit- und Weitermachen.
Eine wie Julia beispielsweise, Mutter von zwei Kindern und berufstätig, trainiert möglichst dreimal in der Woche. „Komme ich mal länger nicht dazu, sagt mein Mann leicht genervt: Jetzt geh’ endlich zum Training. Du bist ja nicht zum Aushalten.“ Und die kleine Tochter hat auch schon angekündigt, wie die Mama werden zu wollen. „Sie will unbedingt auch Boxen lernen.“
Selbstüberwindung und Abbau von Aggressionen sind Effekte des Boxens
Jessen selbst boxte jahrelang wettkampfmäßig, doch für den ganz großen Durchbruch in den Spitzensport reichte es bei ihm nicht. Also machte er diverse Trainerscheine, und schon neben seiner Arbeit als Versorgungstechniker bei Blohm & Voss gab er Kurse, ehe er sich mit Ehefrau Susanne, einer ehemaligen Bankerin, mit einem eigenen Studio vor 25 Jahren selbstständig machte. „Unser Jubiläumsjahr“, sagt er stolz und reicht seinen Flyer mit den Sonderaktionen herum.
Auch die Darsteller des Musicals „Rocky“ wurden für die Zeit der Gastauftritte in Hamburg durch ihn und seine Mitarbeiter fit für die Boxszenen gemacht. „Man muss das mal gemacht haben, um den Sport auf der Bühne authentisch rüberzubringen“, sagt er. „Das hat mit der Einstellung zu tun. Entweder man hat es, oder eben nicht.“
Doch nicht nur Promis sind sein Ding. Mit dem gemeinnützigen Projekt Boxschool, dessen Vorsitzender er ist, kümmert sich Jessen um schwierige Jugendliche an Schulen. Boxen soll ihnen helfen, Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensprobleme zu überwinden. „Ich möchte etwas zurückgeben“, sagt er. „Auch ich war mal auf der anderen Seite und froh, dass ich Menschen hatte, die mir geholfen haben.“
Eine halbe Stunde ist rum. Pratzentraining ist angesagt. Im Wechsel schlägt man in verschiedenen Schlagkombinationen auf die Handschuhe eines Partners und umgekehrt. Julia ist inzwischen im Tunnel. Links, rechts, links. Wie Stiche mit einer Nähmaschine prasseln ihre Schläge an meine zum Glück gut gepolsterten Handschuhe. „Nicht die Deckung vernachlässigen“, sagt sie zwischendurch. Können vor Lachen. Arme und Hände fühlen sich jedenfalls innerhalb kürzester Zeit an, als seien sie aus Blei. Dann bin ich wieder dran mit Schlagen. „Lächeln! Spaß haben. Nicht verkrampfen!“
Meine Schmerzgrenze ist erreicht. Olaf möchte, dass ich meine Bewegungen fließen lasse und genieße. Dabei bin ich schon froh, wenn ich die Handschuhe von Julia treffe und nicht ihre Kinnpartie. Gut, dass sie einen Zahnschutz trägt. Auch wenn sie behauptet, das tue sie nur, „um besser die Zähne zusammenbeißen zu können“. Das tue auch ich, jedenfalls bis zum Trainingsende. Danach bin ich erfüllt von einem Gefühl der Erschöpfung, aber auch des Stolzes. Oder, um es mit der Übersetzung des koreanischen Wortes Hankook zu sagen: Körper und Geist sind vereint. Bleibt die Frage zum mentalen und körperlichen Zustand an den Folgetagen. Es hat Spaß gemacht, sehr sogar. Wenn nur nicht der Muskelkater wäre. Die Kaffeetasse halten beim Frühstück war aber kein Problem ...