Teil 5: Abendblatt-Redakteur läuft seit mehr als 30 Jahren. Morgendliche Runde im Wald dient dem Stressabbau und streichelt die Seele.
Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Das klingt wie eine Plattitüde, ist aber nirgendwo so wahr wie beim Laufen. Tatsächlich ist es dieser erste buchstäbliche Schritt, mit dem alles anfängt, um vielleicht nie wieder aufzuhören, denn Laufen kann – im positiven Sinne – süchtig machen. Und ist dabei so wunderbar voraussetzungslos. Wer keine gravierenden gesundheitlichen Probleme, etwa extremes Übergewicht, hat, kann sofort beginnen. Da braucht es keinen Trainer, keine Vereinsmitgliedschaft, nur die Bereitschaft, sich nun tatsächlich mal vom Sofa zu erheben, vor die Tür zu gehen und den ersten Schritt zu machen. Dann werden viele folgen, dann beginnt die Reise ins große Läuferglück.
Als ich vor etwa 30 Jahren mit dem Laufen begann, gab es keine gedämpften Hightech-Schuhe, keine Funktionskleidung zum Preis eines Kurzurlaubs, keine Pulsuhren mit Excel-Tabellen-Auswertung. Ein beliebtes Energiegetränk war Cola mit einer Prise Salz, statt eines 3-Euro-Powerbars gab’s ne weiche Banane oder ein 20-Pfennig-Hanuta vom Kiosk nebenan. Was nicht heißt, dass die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte schlecht wäre. Nur: Darauf kommt es nicht an.
Als ich anfing, war ich genau das: ein totaler Anfänger. Was sich als großer Vorteil erwies, denn blitzschnell zeigten sich erste Erfolge – dank eines Programms, das zunächst darin bestand, an drei bis vier Tagen in der Woche wechselweise zwei Minuten zu laufen und zu gehen, eine halbe Stunde lang. Sehr übersichtliche Zeiträume und dadurch eine kurzweilige Angelegenheit. Schon nach einigen Tagen konnte ich die Laufphasen mühelos verlängern, nach ein paar Wochen sogar eine halbe Stunde durchlaufen. Das Ziel, eine Stunde lockerer Dauerlauf, war nach etwa vier Monaten erreicht.
Ein simpler Plan, und komplizierter muss es zunächst auch gar nicht sein. Jedenfalls nicht, wenn es einfach darum geht, in Bewegung zu sein, zu schwitzen, die Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Kaum etwas ist so schön, so erfrischend für Körper und Seele wie der morgendliche Lauf durch den Wald oder an der Elbe entlang. Hier lässt sich jede Form von Ballast abschütteln, kehrt Ruhe ein und Energie zurück.
Welch wunderbares Gefühl, den Sonnenaufgang wirklich mitzuerleben, die Vögel zwitschern zu hören, im Winter die Atemwolken aufsteigen zu sehen. Und erst die Dusche hinterher ... Und das Gefühl auf dem Weg zur Arbeit, einen ganz wesentlichen Teil des Tagespensums bereits erledigt zu haben ... Unbezahlbar.
Viele halten ja den Marathonlauf für das Maß aller Dinge. Doch die 42,195 Kilometer lange Strecke auf (meist) hartem Asphalt muss nicht sein. Jedenfalls nicht sofort. Wer sich unzureichend vorbereitet über diese Distanz quält, wird leiden, sehr sogar, und vielleicht nie wieder die Laufschuhe schnüren. Was für ein Verlust! Natürlich spricht nichts gegen einen Marathonlauf, irgendwann, aber viel dafür, sich Zeit zu nehmen und das entspannte Laufen erst einmal zu genießen.
Wer ein Jahr lang regelmäßig unterwegs war, und das heißt viermal pro Woche, kann einen Marathon ins Visier nehmen, alle anderen sollten sich den Druck ersparen, auf Teufel komm heraus Leistung bringen zu müssen. Gesund ist ein Marathonlauf mit seinem Überanstrengungspotenzial für Muskeln und Gelenke ohnehin nicht, der mit moderatem Training und gesundem Essen gepflasterte Weg dahin allerdings schon. Und auf den können Sie sich von heute an machen.
Wenn Laufen für Sie Neuland ist, dann gilt zunächst einmal die Regel: Keep it simple. Starten Sie mit dem oben beschriebenen Wechsel von Lauf- und Gehpassagen. Unterfordern Sie sich ruhig anfangs ein wenig. Das Gefühl „Ich hätte noch länger gekonnt“, tut gut und motiviert für den nächsten Tag.
In Sachen Motivation werden Sie allerdings ohnehin kaum Mangel erleben. Trotz körperlicher Anstrengung fühlen Sie sich insgesamt frischer und ausgeruhter, wenn Sie überflüssige Pfunde mit sich herumtragen, werden die automatisch zu purzeln beginnen.
Simpel ist auch das Drumherum. Alles, was Sie brauchen, sind einfach Sportkleidung und gute Schuhe. Was die angeht, sollten Sie allerdings nicht sparen, sondern sich von Fachleuten beraten lassen. Probieren Sie Laufschuhe auf einem Laufband aus, lassen Sie sich das für Sie passende Modell empfehlen, und kaufen Sie nicht einfach irgendeinen Schuh, nur weil er gerade im Angebot ist oder besonders schick aussieht. Möglicherweise knicken Sie beim Laufen unmerklich nach innen, dann brauchen Sie einen Schuh mit Pronationsstütze. Kein Problem, überall zu haben, aber sie sollten es wissen, um Beschwerden vorzubeugen.
Wichtig ist auch, dass der Schuh zu Ihrem Körpergewicht passt. Ein besonders leichter Wettkampfschuh ist für das tägliche Training eines 100-Kilo-Läufers definitiv nicht geeignet. Grundsätzlich gilt: Es gibt nicht den einen perfekten Schuh, denn jeder Läufer hat unterschiedliche Voraussetzungen. Und: Unter 100 Euro werden Sie kaum davonkommen. Dafür hält der Schuh allerdings auch 1000 Kilometer, oft sogar 1500, ohne dass Dämpfung und Halt spürbar nachlassen.
Natürlich ist es schön, in so funktionaler wie attraktiver Bekleidung zu laufen; belohnen Sie sich ruhig damit. Dry-fit-Materialien leiten den Schweiß nach außen, sind leicht und angenehm zu tragen; eine helle, reflektierende Jacke ist gerade in den dunklen Tagen sinnvoll. Manch Motivationsloch hat sich schon mit einem neuen Outfit stopfen lassen.
Was Sie aber gewiss nicht brauchen, ist eine mehrere Hundert Euro teure Pulsuhr – außer Sie haben großen Spaß an Statistiken, möchten Pulsfrequenzverläufe, Trainingszeiten und den ungefähren Kalorienverbrauch ausführlich dokumentieren. Falls Sie jedoch einfach nur das richtige Lauftempo finden wollen, gibt es eine viel simplere Lösung, die keinen Cent kostet: Solange Sie sich beim Laufen unterhalten können, ohne außer Atem zu geraten, haben Sie das richtige Tempo. Und Sie haben den Anfängerfehler vermieden, viel zu schnell loszurennen und völlig aus der Puste zu geraten.
Die Laufindustrie will Ihnen natürlich weismachen, dass ohne Pulsuhr nichts geht, aber das ist Unsinn. Wenn Sie täglich die gleiche Strecke laufen, können Sie sogar ganz auf eine Uhr verzichten. Welche Rolle spielt es schon, ob Sie heute 45 Sekunden schneller waren als gestern? Laufen soll den Druck des Alltags mildern und keinen neuen aufbauen. Genießen Sie die Auszeit für sich allein oder mit (Lauf-)Freunden.
Warum nicht einfach mal loslaufen und schauen, wohin die Füße tragen?
Und vielleicht merken Sie dann irgendwann, dass Ihnen die Dreiviertelstunde am Morgen oder Abend nicht mehr reicht, dass da noch mehr ist, dass es eine Grenze gibt, an die Sie gerne ranmöchten. Das kann der Hamburg-Marathon sein, der gut vorbereitet ein einziger langer Gänsehautmoment ist, aus dem sich die Motivation für viele, viele Trainingsstunden bei Schietwetter schöpfen lässt. Oder einer der immer beliebteren Trailläufe, die abseits der Straßen durch Wald und Wiesen führen, der Natur ganz nah. Spezielle Schuhe gibt es längst, auch Fachzeitschriften und superleichte Laufrucksäcke mit Trinkblase. Das Abenteuer liegt vor der Tür. Übrigens auch, wenn Wettkämpfe nichts für Sie sind.
Warum nicht einfach mal loslaufen und schauen, wohin die Füße tragen? Dank GPS im Handy kein Problem mehr und gerade im Urlaub ein besonderer Spaß. Apropos Urlaub: Da darf, muss aber keine Laufpause eingelegt werden. Schuhe und Kleidung passen notfalls sogar ins Handgepäck, und irgendwo lässt sich immer laufen. Wenn’s gar nicht anders geht, sogar auf dem Laufband eines Kreuzfahrtschiffs. Schöner Nebeneffekt: Den ersten Lauf in freier Natur werden Sie danach doppelt genießen.