Hamburg . Das Schütteltrauma ist in Deutschland häufigste Todesursache bei Kindesmisshandlungen. Die Diagnose ist laut Experten nicht einfach.
Vermutlich hat der 13 Monate alte Tayler ein Schütteltrauma erlitten. „Ein Schütteltrauma ist auch deshalb so gefährlich, weil derjenige, der es verursacht, in seinen Augen gar keine massive Gewalt ausübt“, sagt Professor Karl-Heinz Deeg, 63, Chefarzt der Kinderklinik in Bamberg. „Ein Schütteltrauma wird meist hervorgerufen, weil das Baby oder das Kleinkind schreit. Die Erwachsenen sind in einer solchen Situation meist überfordert und wollen nur, dass das Kind endlich aufhört zu schreien. In ihrer Hilflosigkeit packen sie das Kind unter den Achseln und schütteln es vor und zurück.“
Je kleiner das Kind ist, desto größer und schwerer ist sein Kopf. Erst mit etwa einem halben Jahr fange das Baby an, seinen Kopf allein ganz stabil zu halten. „Das Hin- und Herschütteln ist vergleichbar mit einem Peitschenhieb“, sagt Deeg. Im Gehirn gibt es eine weiße Substanz mit den Nervenfasern und eine graue Substanz mit den Nervenzellen. Durch das Schütteln kommt es an der Grenze zwischen weißer und grauer Substanz zu Rissen. „Mit der Folge von schwersten neurologischen Schäden bis hin zum Tod, wenn durch eine Hirnschwellung das Atemzentrum nicht mehr funktioniert.“
Die Diagnose eines Schütteltraumas sei nicht einfach, dazu benötige man hoch auflösende Ultraschalluntersuchungen. Deeg: „Manchmal gibt es äußerlich bei den Kindern überhaupt keine Anzeichen.“ Charakteristisch für ein Schütteltrauma seien aber Blutungen im Augenhintergrund.
Laut Experten sind Kindesmisshandlungen in allen sozialen Schichten anzutreffen, Alkoholmissbrauch gilt als Risikofaktor. Dabei sind Männer eher in der aktiven, Frauen in der passiven Rolle. Deeg: „Die Verursacher eines Schütteltraumas bei Kleinkindern sind oft Männer, die ihre Ruhe haben wollen, weil sie vielleicht gerade eine Sportsendung sehen, und in ihrer Hilflosigkeit und Überforderung das Kind hochnehmen, schütteln und anbrüllen, damit es endlich aufhört zu schreien.“
Das Schütteltrauma ist in Deutschland die häufigste Todesursache bei Kindesmisshandlungen. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) sterben in Deutschland jährlich zwischen 100 und 200 Säuglinge an diesem Trauma. Eine kanadische Studie ergab, dass zwei Drittel der überlebenden Kinder schwere Langzeitschäden zeigen. 19 Prozent der Kinder starben an den Verletzungen, von den Überlebenden trugen 65 Prozent Sehprobleme davon, 55 Prozent behielten bleibende neurologische Schäden zurück.
Laut Professor Guido Fitze, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), hängen etwa ein Drittel aller Sterbefälle im Säuglingsalter mit äußerer Gewalteinwirkung zusammen. Auch Knochenbrüche können eine Todesursache sein. Fitze: „Wir schätzen, dass bis zu jeder zweite Knochenbruch im ersten Lebensjahr eine Folge von Kindesmisshandlung ist.“