Hamburg. Die Urlaubsreise des Verdächtigen kurz nach dem Tod des Kindes sorgt für Kritik – ebenso wie die Justiz, die dies zuließ.
Michael Q. macht Urlaub im sonnigen Süden, während eine Stadt um ein Baby trauert. Um Tayler, seinen mutmaßlich totgeprügelten Stiefsohn. In den sozialen Netzwerken hagelt es Kritik an der Spanien-Reise des 26-Jährigen, der verdächtigt wird, den Säugling zu Tode misshandelt zu haben – und an der Hamburger Justiz, die die den Mann nicht an der Reise hindern konnte. Zwar will sich Justizsenator Till Steffen (Grüne) auf keinen Fall in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einmischen. Doch zeigt sich der Behördenchef tief erschüttert. „Ich kann nicht verstehen, dass ein Mann, dessen Stiefkind ums Leben gekommen ist, nach Spanien in den Urlaub fährt. Was geht bei diesem Menschen vor?“
Obduktionsergebnis am heutigen Mittwoch erwartet
Wie berichtet, war der 13 Monate alte Tayler am 12. Dezember mutmaßlich infolge eines Schütteltraumas mit einer Hirnblutung ins UKE eingeliefert worden, eine Woche später erlag er seinen schweren Verletzungen. Das Obduktionsergebnis wird im Laufe des heutigen Mittwochs erwartet. Gegen den Stiefvater und die Mutter des Babys, Jacqueline B., 22, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Kindesmisshandlung. Beide befinden sich aber auf freiem Fuß – ein dringender Tatverdacht gegen sie ließ sich nicht erhärten.
Kommentar: Die Fragen an die Justiz
Auf Facebook machen Abendblatt-Leser nun ihrer Wut Luft. „Manchmal frage ich mich, was mit den Behörden in Hamburg nicht stimmt“, schreibt etwa Franz D. im Abendblatt-Forum. Andere Leser empören sich über die Staatsanwaltschaft. „Diese rein täterschützende Justiz macht einen sprachlos.“ Warum kein Haftbefehl gegen die Mutter und ihren Lebensgefährten erlassen wurde, kann auch Rainer Becker, Chef der Deutschen Kinderhilfe, nicht verstehen. „Es spricht viel für den Verdacht auf Kindesmisshandlung mit Todesfolge. Um bei einem einjährigen Kind ein Schütteltrauma auszulösen, bedarf es massivster Gewalt“, sagt der ehemalige Polizeidirektor. Neben der Anteilnahme am Tod des Jungen herrscht vor allem Entrüstung über das Jugendamt, das den Jungen nach einer ersten Verletzung im August 2015 vorübergehend in einer Pflegefamilie unterbrachte, dann aber im Oktober 2015 wieder der Mutter überließ. „Wenn man das Kind schon einmal wegen Kindeswohlgefährdung wegnimmt, wie kann man es dann dieser Rabenmutter wiedergeben?“, fragt etwa Dieter M.
Wohnung des Paares laut Polizisten verwahrlost
Dabei passt die monströse Tat nicht zu dem, was Dritte über Michael Q. und Jacqueline B. sagen. Nachbarn berichten, Jacqueline B. sei eine „liebevolle Mutter“, warmherzig und fürsorglich. Andere Nachbarn berichten jedoch von „viel Geschrei“ in der Wohnung. Die junge Frau habe häufig einen „überforderten Eindruck“ gemacht. Das passt zur Beobachtung von Polizisten, die kurz nach Taylers Einlieferung ins Krankenhaus Michael Q. und Jacqueline B. in der Tatwohnung in Altona-Nord besucht hatten. Nach Abendblatt-Informationen waren die Beamten über den verwahrlosten Zustand der Räume „schockiert“.
Bestürzt sind auch die Spieler des Footballvereins – ein kleiner Verein im Westen der Stadt –, für den Michael Q. zwei Jahre lang spielte. „Wir trauern um den Jungen, wir sind entsetzt“, sagt ein Funktionär, der ungenannt bleiben möchte. Kaum jemand im Verein könne sich vorstellen, dass der 26-Jährige für den Tod des Jungen verantwortlich sein könnte. „Der Michael“ sei vielleicht nicht der reflektierteste Mensch, habe das Herz aber auf dem rechten Fleck. Das Geschehene sei „nicht mit seiner Persönlichkeit in Einklang zu bringen“. Manchmal habe er seine beiden kleinen Kinder aus einer früheren Beziehung mit zum Spiel gebracht und sei stets „liebevoll“ mit ihnen umgegangen.
Für Zündstoff habe indes seine Haltung zu einem Benefiz-Spiel zugunsten der Flüchtlinge in Hamburg gesorgt. „Er weigerte sich, an dem Spiel teilzunehmen“, so der Funktionär. „Weil er nun mal für eine Begrenzung der Zuwanderung sei.“ Gleichwohl sei Michael Q. „nie wegen rechtsradikaler Äußerungen aufgefallen“. Dennoch sei man nach dem Disput im Oktober getrennte Wege gegangen. Dass er nun trotz der Tragödie in den Urlaub gefahren sei, sei für ihn „unverständlich“.
Staatsanwalt: Keine Beweise für dringenden Tatverdacht
Sich in die Ermittlungen einzumischen, um gar einen Haftbefehl von oben „durchzudrücken“, kommt für Justizsenator Steffen nicht infrage. „Der Justizsenator hat zwar ein theoretisches Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft, aber es wird nie im Einzelfall davon Gebrauch gemacht. Es wird nie zugunsten oder zulasten eines bestimmten Tatverdächtigen ausgeübt“, so Steffen. Zudem habe er „keinen Zweifel, dass die Staatsanwaltschaft sehr großes Interesse daran hat aufzuklären, gegen wen sich der Tatvorwurf richtet, und alles Mögliche zu tun, um das Ermittlungsverfahren zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.“
Die Staatsanwaltschaft Hamburg will ohnehin nichts anderes als ihren Job gemacht und sich an geltende rechtliche Standards gehalten haben. Gegen beide Tatverdächtigen liege aktuell kein dringender Tatverdacht vor – das gebe die Beweislage schlicht nicht her, so die Behörde. Beide Tatverdächtigen behaupten, unschuldig zu sein, sich zu bestimmten Zeiten vor dem Transport des Kindes am 12. Dezember gar nicht in der Tatwohnung aufgehalten zu haben. Gerade zur Überprüfung dieser Angaben ist das Obduktionsergebnis so wichtig. Denn bis jetzt ist unklar, wann Tayler so brutal misshandelt wurde.
Dass die Behörden in Bayern anders entschieden, sie die Tatverdächtigen sofort „einkassiert“ hätten, sei spekulativ, sagt Strafrechtsprofessor Bernd-Rüdeger Sonnen. „Auch wenn es ein gewisses Nord-Süd-Gefälle gibt bei der Interpretation des Rechts im Strafverfahren – ohne Obduktionsergebnis hätte man auch dort keinen dringenden Tatverdacht festgestellt.“ Ohne den sowie einen Haftgrund dürfe in Deutschland kein Haftbefehl erlassen und kein Ausreiseverbot auferlegt werden oder die Pflicht, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Sollte sich aufgrund des Obduktionsergebnisses der Verdachtsstatus von Michael Q. und Jacqueline B. ändern, sei auch die Frage der U-Haft neu zu bewerten, so Sonnen.