Hamburg. Für die Mehrausgaben für Flüchtlinge von rund 300 Millionen Euro wäre Geld da – es darf aber nicht ausgegeben werden.

Der ungebrochene Ansturm von Flüchtlingen stellt Hamburg nicht nur vor enorme organisatorische Probleme, zum Beispiel bei der Schaffung von Unterkünften, sondern ist auch in finanzieller Hinsicht eine Herausforderung. Nachdem die Ausgaben schon 2014 von geplanten 150 auf 300 Millionen Euro angestiegen waren, werden sie sich 2015 erneut massiv erhöhen. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) sprach schon im Juli angesichts der Tatsache, dass allein im ersten Halbjahr mit 12.500 Flüchtlingen so viele kamen wie im gesamten Jahr 2014, von einem Mehrbedarf von rund 300 Millionen Euro – das wäre also zum zweiten Mal eine Verdoppelung der Ausgaben.

Das große Problem ist allerdings gar nicht so sehr diese Summe, denn das Geld wäre wohl vorhanden. Nachdem Hamburg schon 2014 einen Haushaltsüberschuss von mehr als 400 Millionen Euro erzielt und damit vor allem Schulden getilgt hatte, lag der Etat per 31. Mai nach Angaben des Bundesfinanzministeriums schon wieder mit 360 Millionen Euro im Plus. Die Hamburger Finanzbehörde betonte zwar, dass sich diese Summe nicht einfach linear aufs Gesamtjahr hochrechnen lasse. Aber wenn es keinen Konjunktureinbruch gibt, dürfte am Jahresende auf jeden Fall wieder ein Überschuss im hohen dreistelligen Millionenbereich stehen. Der Haken daran: Die Stadt darf dieses Geld nicht ausgeben.

Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion

Die Hamburger gaben am Montag bis zum Abend Tausende Spenden ab
Die Hamburger gaben am Montag bis zum Abend Tausende Spenden ab © Michael Rauhe | Michael Rauhe
Die Schwestern Hannah (l.), 20, und Anne Jagusch, 18, kamen aus Volksdorf, um unter anderem Kleidung zu spenden
Die Schwestern Hannah (l.), 20, und Anne Jagusch, 18, kamen aus Volksdorf, um unter anderem Kleidung zu spenden © Andreas Laible
Auch Abendblatt-Redakteur Daniel Herder half mit und hatte sichtlich Spaß dabei
Auch Abendblatt-Redakteur Daniel Herder half mit und hatte sichtlich Spaß dabei © Ralf Nehmzow
Auch Chefredakteur Lars Haider (Mitte) packte mit an
Auch Chefredakteur Lars Haider (Mitte) packte mit an © Ralf Nehmzow
Die ersten voll beladenen Lkw fuhren am Mittag vom Hamburger Abendblatt zur Flüchtlingshilfe der Luthergemeinde in Bahrenfeld
Die ersten voll beladenen Lkw fuhren am Mittag vom Hamburger Abendblatt zur Flüchtlingshilfe der Luthergemeinde in Bahrenfeld © Miguel Brusch
Die Luthergemeinde unterstützt unter anderem die Zentrale Erstaufnahme in der Schnackenburgallee
Die Luthergemeinde unterstützt unter anderem die Zentrale Erstaufnahme in der Schnackenburgallee © Miguel Brusch
Migranten vor einem Lagerraum der Flüchtlingshilfe in Bahrenfeld
Migranten vor einem Lagerraum der Flüchtlingshilfe in Bahrenfeld © HA/ | Miguel Brusch
Til Schweiger hatte im Vorfeld bei Facebook zur Teilnahme aufgerufen
Til Schweiger hatte im Vorfeld bei Facebook zur Teilnahme aufgerufen © Miguel Brusch
Die Spenden werden in Lkw geladen
Die Spenden werden in Lkw geladen © Miguel Brusch
Tüten voller Spenden wurden abgegeben
Tüten voller Spenden wurden abgegeben © Miguel Brusch
Die meisten Menschen spendeten Kleidung
Die meisten Menschen spendeten Kleidung © Miguel Brusch
Aber auch Koffer, Spielzeug und Kinderwagen brachten die Menschen vorbei
Aber auch Koffer, Spielzeug und Kinderwagen brachten die Menschen vorbei
Die Schlange reichte teilweise bis auf die Straße
Die Schlange reichte teilweise bis auf die Straße © HA/ | Miguel Brusch
Von 11 bis 19 Uhr sammelt das Hamburger Abendblatt Spenden für Flüchtlinge
Von 11 bis 19 Uhr sammelt das Hamburger Abendblatt Spenden für Flüchtlinge © HA | Miguel Brusch
Dringend benötigt werden Kleidung, Bettwäsche, Turnschuhe, Regenjacken und Regenschirme, Koffer, Kinderwagen, Fahrräder, Säuglingsnahrung, Fußbälle, Hygieneartikel und vieles mehr
Dringend benötigt werden Kleidung, Bettwäsche, Turnschuhe, Regenjacken und Regenschirme, Koffer, Kinderwagen, Fahrräder, Säuglingsnahrung, Fußbälle, Hygieneartikel und vieles mehr © HA | Miguel Brusch
Bürger, die solche Artikel spenden wollen, können diese in der Passage des neuen Redaktionsgebäudes am Großen Burstah 18–32 (zwischen Rathaus und Rödingsmarkt) abgeben
Bürger, die solche Artikel spenden wollen, können diese in der Passage des neuen Redaktionsgebäudes am Großen Burstah 18–32 (zwischen Rathaus und Rödingsmarkt) abgeben © HA | Miguel Brusch
Die Hilfsgüter sollen noch am selben Tag zu den Flüchtlingsinitiativen gebracht werden, die sich um die Bewohner der großen Zentralen Erstaufnahmen kümmern
Die Hilfsgüter sollen noch am selben Tag zu den Flüchtlingsinitiativen gebracht werden, die sich um die Bewohner der großen Zentralen Erstaufnahmen kümmern © HA | Miguel Brusch
Bereits vor dem offiziellen Start um 11 Uhr waren rund 80 Menschen gekommen
Bereits vor dem offiziellen Start um 11 Uhr waren rund 80 Menschen gekommen © HA | Miguel Brusch
Und wenig später ...
Und wenig später ... © Miguel Brusch
...bildeten sich schon lange Schlagen
...bildeten sich schon lange Schlagen © Miguel Brusch
Die Flüchtlingszahlen in Hamburg steigen immer weiter an
Die Flüchtlingszahlen in Hamburg steigen immer weiter an © Miguel Brusch
Zuletzt kamen bis zu 300 Flüchtlinge pro Tag in die Hansestadt
Zuletzt kamen bis zu 300 Flüchtlinge pro Tag in die Hansestadt © Miguel Brusch
Aufgrund der großen Spendenmenge wurden weitere Lager aufgemacht
Aufgrund der großen Spendenmenge wurden weitere Lager aufgemacht © HA | Miguel Brusch
Unzählige Kinderwagen und Fahrräder wurden abgegeben
Unzählige Kinderwagen und Fahrräder wurden abgegeben © HA | Miguel Brusch
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Dafür sorgt das Finanzrahmengesetz, das 2012 von der SPD beschlossen wurde. Es legt bis zum Jahr 2020 Ausgaben-Obergrenzen fest, an die sich der Senat zu halten hat. Will er doch mehr ausgeben, muss die Bürgerschaft erst das Gesetz ändern und neue Obergrenzen festlegen – eine hohe Hürde, denn dieser Eingriff käme dem Eingeständnis gleich, die eigenen Ziele verfehlt zu haben. Anlass dieser freiwilligen Selbstbeschränkung ist das Ziel, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse von 2020 an sicher einhalten zu können.

Da Hamburg mit geplanten Ausgaben von gut zwölf Milliarden Euro in 2015 den Finanzrahmen nahezu ausschöpft, bedeutet das für die Mehrbedarfe in Sachen Flüchtlinge: Entweder muss Rot-Grün das Gesetz ändern und nutzt dann die vermutlichen Steuermehreinnahmen zur Deckung – oder die Mehrausgaben müssen an anderer Stelle im Haushalt eingespart werden. Für SPD-Finanzexperte Jan Quast ist klar: „Mein Ziel ist es, das im Rahmen des beschlossenen Haushalts hinzubekommen.“

Dass den Flüchtlingen geholfen werden müsse, stehe außer Frage, und Hamburg werde seine humanitären Pflichten auch erfüllen, sagte Quast dem Abendblatt. „Das heißt aber nicht, dass wir haushaltstechnisch den einfachsten Weg gehen.“ Er erwarte, dass zunächst geprüft werde, welche Reserven es im Haushalt noch gibt, wo es eventuell Minderausgaben gibt, die zur Finanzierung herangezogen werden können oder ob auf Ausgaben ganz verzichtet werden kann – diese Überlegungen laufen laut Finanzbehörde noch. Am 25. August will der Senat die umfangreiche Drucksache beschließen, mit der er die Bürgerschaft über Umschichtungen informieren und gegebenenfalls um die Bewilligung zusätzlicher Mittel bitten will. Auch Farid Müller, Haushaltsexperte der Grünen, verwies auf die noch laufenden Rechnungen: „Erst wenn die abgeschlossen sind, gucken wir, wo das Geld herkommt.“ Über eine Anpassung des Finanzrahmengesetzes denke er noch nicht nach: „Wir versuchen alles, die zusätzlichen Ausgaben durch Umschichtungen zu decken.“

Allerdings habe das Gesetz auch seltsame Nebeneffekte: So hat der Bund zugesagt, die Länder bei den Flüchtlingsausgaben zu unterstützen, Hamburg soll für 2015 bis 2018 etwa 137 Millionen Euro mehr erhalten. Knapp die Hälfte davon, 61 Millionen Euro, fließen aber nicht direkt, sondern der Bund überlässt den Ländern höhere Anteile an der Umsatzsteuer. Das wäre haushaltstechnisch eine Steuermehreinnahme, und die stößt in Hamburg wieder an die Hürde Finanzrahmengesetz: Sie darf nicht zusätzlich ausgeben werden. Allerdings verlautet aus der SPD-Fraktion, dass man Mittel und Wege suche, diese absurde Situation zu umgehen: „Es kann nicht sein, dass uns der Bund zusätzliches Geld für Flüchtlinge zur Verfügung stellt, und wir es nicht verwenden dürfen.“

SPD-Haushaltsexperte Jan Quast möchte den Finanzrahmen nicht sprengen
SPD-Haushaltsexperte Jan Quast möchte den Finanzrahmen nicht sprengen © HA | Andreas Laible

Auf eine Kleine Anfrage des CDU-Finanzexperten Thilo Kleibauer vermeidet der Senat ein klare Festlegung, ob er die Ausgabegrenzen im Finanzrahmengesetz eventuell anheben will. Allerdings deutet er an, dass er seine sehr vorsichtige Finanzplanung bis 2019 angesichts der seit Jahren kontinuierlich hohen Steuereinnahmen eventuell anpassen werde. Kleibauer warnt SPD und Grüne schon vorab davor, die Ausgabenobergrenzen jeweils den Gegebenheiten anzupassen: „Wenn man dieses Gesetz nach Kassenlage ändert, entwertet man es und kann es sich auch gleich sparen.“

Der CDU-Politiker kritisiert auch eine Drucksache des Senats von Anfang Juli, mit der er die Bürgerschaft um die Genehmigung von Mehrausgaben für Flüchtlingsunterkünfte in Höhe von 68 Millionen Euro ersucht hatte. Darin werde zur Gegenfinanzierung unter anderem darauf verwiesen, dass in der Wirtschaftsbehörde „temporär Mittel“ frei seien. „Temporär heißt doch nichts anderes, als dass die Ausgaben später anfallen“, sagte Kleibauer. „Das ist trickreich und grenzwertig, denn der Senat erkauft sich Zeit.“