Hamburg. FDP-Fraktionschefin über Versäumnisse des rot-grünen Senats in der Flüchtlingsfrage – und warum der Bund alle Kosten übernehmen müsse.
Steigende Flüchtlingszahlen, zu wenige kleine Unterkünfte, zu wenig Geld vom Bund – die schwierige Situation in Hamburg ist nach Ansicht von FDP-Fraktionschefin Katja Suding zum großen Teil hausgemacht.
Hamburger Abendblatt: Sind sie von der großen Zahl an Flüchtlingen, die derzeit nach Hamburg kommen, überrascht?
Katja Suding: Nein, das hat sich bereits im vergangenen Jahr angedeutet. Bei all den Krisen auf der Welt war das zu erwarten. Daher verstehe ich auch nicht, warum der Senat sich so lange Zeit gelassen hat, um Unterbringung und Beschulung zu sichern. Diese Nachlässigkeit hat zu den Problemen geführt, die wir jetzt haben.
Was hätte der Senat denn vorher machen können?
Katja Suding: Die Behörden hätten viel früher damit anfangen müssen, nach geeigneten Unterkünften für Flüchtlinge zu suchen, also alles das, was man derzeit im Schnellverfahren unternimmt. Dann hätten wir größere Chancen gehabt, die Flüchtlinge menschenwürdig in Hamburg unterzubringen.
Sie kritisieren, dass der Innensenator Flüchtlinge jetzt in Massenunterkünften unterbringen will. Warum?
Katja Suding: Wir kritisieren vor allem, dass der Senator bislang nicht sagt, wie und wo er so große Unterkünfte errichten will. Das ruft Ängste und Widerstand bei der Bevölkerung hervor. Wenn ich schon große Unterkünfte ankündige, weil ich die Vorbereitung vieler kleiner verschlafen habe, dann muss ich auch sagen, wo sie entstehen sollen.
Ist der Senat nicht in der Pflicht, derartige Veränderungen anzukündigen?
Katja Suding: Dann soll er aber bitte konkret werden. Bislang haben der SPD Innen- und Sozialsenator bei ihrem Plan, Einrichtungen für mehr als 2000 Menschen zu schaffen, niemanden vor Ort eingebunden: weder die Bezirksversammlungen noch die Bezirksämter. Auch die Flüchtlingsinitiativen wissen oft viel zu wenig. Wenn die Menschen nicht informiert und eingebunden werden, laufen wir Gefahr, Verhältnisse wie in Dresden und Freital zu bekommen. Das müssen wir unbedingt vermeiden.
Ist es nicht wohlfeil, sich gegen Massenunterkünfte auszusprechen, wenn jeden Tag bis zu 300 Flüchtlinge kommen?
Katja Suding: Nein, der Senat hätte sich viel früher intensiv mit dieser Problematik beschäftigen müssen. Im Übrigen geht es nicht, dass Sozial- und Innenbehörde auf Angebote von Initiativen vor Ort nicht eingehen. Ich denke da an leerstehende Schulgebäude in Bergedorf, die die Schule selbst zur Unterbringung von Flüchtlingen angeboten hat. Die haben nicht mal eine Antwort erhalten. Das geht gar nicht.
Was muss die Stadt jetzt tun?
Katja Suding: Als Erstes benötigen wir einen Flüchtlingsgipfel. Alle Beteiligten müssen an einen Tisch: Behörden, Flüchtlingsorganisationen, Kirchen, die Wirtschaft und Fachpolitiker. Außerdem erwarte ich, dass der Erste Bürgermeister sich persönlich um dieses Thema kümmert. Es ist befremdlich, dass Olaf Scholz in den Bergen wandert, während wir hier in Hamburg eine so schwierige Situation erleben. Als Kapitän muss er in schwerer See an Bord sein und auf der Brücke stehen.
Was soll ein runder Tisch bringen?
Katja Suding: Er soll helfen, das Kompetenzwirrwarr zu beseitigen. Innen- und Sozialbehörde müssen sich enger abstimmen. Die Bezirke müssen frühzeitig vernünftig einbezogen werden. Die Kritik des SPD-Bezirksamtsleiters Mitte an SPD-Senatoren und Bürgermeister belegt doch, dass nicht ausreichend miteinander gesprochen wird.
Wäre es sinnvoll, die Zentrale Erstaufnahme und die Folgeunterbringung bei einer Behörde anzubinden?
Katja Suding: Dass die Innenbehörde sich um die Erstaufnahme und die Sozialbehörde um die Folgeunterbringung kümmern, ist ein strukturelles Problem. Die Beamten spielen sich gegenseitig den Ball zu, und die Flüchtlinge leiden darunter. Ich fordere einen Integrationsbeauftragten, der dem Ersten Bürgermeister direkt unterstellt ist. Sie oder er benötigen die Macht und die Mittel, alles Notwendige für die Flüchtlinge zu tun.
Es gibt den Vorschlag, Flüchtlinge aus Balkanstaaten in speziellen Einrichtungen unterzubringen, weil fast alle von ihnen nicht als Asylberechtigte anerkannt werden. Was halten Sie davon?
Katja Suding: Ich halte es für absolut falsch, durch das Senken von Standards Menschen davon abhalten zu wollen, bei uns Asyl zu beantragen. Das kann und darf nicht der Weg sein. Richtig wäre es, Länder wie Albanien, Montenegro oder Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dann werden eine Prüfung ihres Asylantrages und ihre Abschiebung einfacher.
Bürgermeister Olaf Scholz hat vorgeschlagen, mit diesen Ländern ein Gastarbeiterabkommen zu schließen, um deren Einwanderung zu erleichtern.
Katja Suding: Es wäre gefährlich, zwei Dinge miteinander zu verquicken. Menschen, die verfolgt werden, müssen bei uns uneingeschränkt die Möglichkeit haben, unabhängig von Herkunft oder Qualifikation Asyl zu beantragen. Für die anderen, die nach Deutschland kommen wollen, benötigen wir ein Einwanderungsgesetz, das ausgehend von den Anforderungen unseres Arbeitsmarktes Zuwanderung organisiert. Dann können wir nach Qualifikation, Sprachkenntnissen und Bedarf entscheiden. Zudem muss es möglich werden, dass ein Asylbewerber bei entsprechender Qualifikation leichter als bisher zum Einwanderer werden kann.
Warum sehen Sie den Vorschlag von Olaf Scholz skeptisch?
Katja Suding: Der Vorschlag des Ersten Bürgermeisters birgt die Gefahr, dass das Asylrecht ausgehebelt sowie zwischen guten und schlechten Asylbewerbern unterschieden wird. Unser Grundgesetz garantiert aber allen politisch Verfolgten das Recht auf Asyl. Das darf man nicht mit Fragen der beruflichen Qualifikation vermischen.
Muss der Bund mehr Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen bereitstellen?
Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion
Katja Suding: Er sollte die Kosten komplett übernehmen. Der Bund ist bislang für Asylverfahren zuständig und die Kommunen für Unterbringung. Wenn der Bund für beides zuständig wäre, dann würden die Verfahren schneller laufen. Bislang werden die Kommunen mit den Kosten allein gelassen. Das können sie nicht mehr leisten.
Ist die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Deutschlands gerecht?
Katja Suding: Die Verteilung erfolgt über den sogenannten Königsteiner Schlüssel, und das funktioniert ganz gut. Allerdings ist es sicher sinnvoll, zu überlegen, ob angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen Stadtstaaten wie Hamburg, Bremen oder Berlin entlastet werden sollten. Was aber nicht geht: Flüchtlinge in großen Zahlen in verlassene Dörfer in Ostdeutschland zu schicken. Da wo niemand lebt, kann niemand integriert werden.
Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele hat unlängst mehr Solidarität von Flächenstaaten angemahnt. Lag er damit falsch?
Katja Suding: Das sind zwei verschiedene Dinge. Flüchtlinge in Flächenstaaten unterzubringen und sie zu integrieren, ist das eine. Da erwarte ich mehr Solidarität, gerade unter den SPD-Ministerpräsidenten Norddeutschlands. Aber noch einmal: Flüchtlinge in verlassene ostdeutsche Landstriche abzuschieben, das geht nicht.
Schiebt Hamburg konsequent abgelehnte Asylbewerber ab?
Katja Suding: Ich denke ja. Die CDU betreibt da parteipolitisch motivierten Populismus. Es ist nicht immer so einfach wie es klingt, jemanden wieder in sein Heimatland zurückzuschicken. Da, wo es möglich ist, wird es auch gemacht.
Asylbewerber dürfen erst drei Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland arbeiten. Sollte diese Vorschrift gelockert werden?
Katja Suding: Asylbewerber sollten vom ersten Tag an arbeiten und für ihren Lebensunterhalt sorgen dürfen. Deshalb bin ich ohne Wenn und Aber dafür, dass jeder Flüchtling vom ersten Tag an eine Arbeitserlaubnis erhält und auch die Vorrangprüfung abgeschafft wird.
Was sagen Sie jenen Menschen, die Angst um ihren Job haben?
Katja Suding: Das ist unbegründet. Uns fehlen Fachkräfte, und es gibt bereits Landstriche, wo Unternehmen händeringend nach Arbeitskräften suchen.
Wie sollten Stadt und Zivilgesellschaft mit Protesten gegenüber Flüchtlingen umgehen?
Katja Suding: Wir müssen alles daran setzen, es gar nicht erst zu Protesten kommen zu lassen. Das erfordert die frühzeitige Information von Anwohnern, wenn in ihrer Nachbarschaft eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden soll. Wir erleben doch, dass die Hilfsbereitschaft der Hamburgerinnen und Hamburger groß ist. Politik muss dieses ehrenamtliche Engagement mit allen Mittel fördern.
Und es besser bezahlen?
Katja Suding: Da ist die Bürgerschaft auf gutem Weg. Weitere finanzielle Mittel wurden bereits genehmigt. Zudem muss es bei den Behörden und Bezirksämtern Ansprechpartner geben, an die Bürger sich wenden können. Die Stadt kann dafür sorgen, dass die Willkommenskultur im Alltag funktioniert.