Hamburg. Ehrenamtliche sortieren Kleidung, Nahrung und Spielzeug. Erste Empfänger erhalten Hilfsgüter. Auch 10.000 Euro an Geldspenden.
Um 16.30 Uhr hockt Maria Soares auf dem Fußboden und wühlt in Säcken für den Ansturm. Die 48-Jährige faltet Textilien und stapelt sie, der gelbe Flachbau des Vereins „Contrazt e. V.“ in Heimfeld quillt fast über mit Handtüchern, Bettzeug und Hemden. Am Türschlitz drängen sich 30 Minuten vor Ladenöffnung bereits zwei Dutzend Menschen, „Go back ein bisschen“, brummt eine afrikanische Dame. Maria Soares gelingt ein verschwitztes Lachen. „Da haben ihre Leser mal ganz schön was angerichtet.“
Leitartikel: Stolz auf die Spendenstadt Hamburg
Seit gestern sortieren Ehrenamtliche nach der Flüchtlingsaktion des Abendblatts am Montag die mehr als 10.000 Spenden. Sie ordnen die Geschenke der Hamburger in Heimfeld, Harburg, Jenfeld und auf der Uhlenhorst, geben sie teilweise bereits an Flüchtlinge weiter. Binnen acht Stunden entstand durch die Aktion ein gewaltiger Fundus an Kleidung, Nahrung, Spielzeug, Sportartikeln, Kinderwagen, Decken und Fahrrädern. Und auch Geld floss wie selten zuvor. Rund 10.200 Euro an Spenden gingen am Montagnachmittag allein bei der städtischen Fördern und Wohnen ein.
Die Masse der Spenden zu verarbeiten sei „eine Herausforderung, aber eine schöne“, sagt Bettina Buhr. Drei Großlaster brachten Güter zur Luther-Gemeinde in Bahrenfeld, die für etwa 2400 Bewohner der Zentralen Erstaufnahme an der Schnackenburgallee zuständig ist. „Wir hatten noch nie so eine Menge an passender Herrenkleidung und Babynahrung“, sagt Buhr, die die Einrichtung mit Herzhaftigkeit und tätowierten Oberarmen leitet. Zwölf Ehrenamtliche sichten und drapieren seit Dienstagvormittag im Akkord. „Die Hamburger haben einen Beitrag geleistet, der jedes Politikgerede überragt“, sagt Buhr.
Danke, Hamburg! Was gestern passierte, war unglaublich
In einem etwa 50 Meter langen Container sind die meisten Stücke schon aufgereiht, rechts Männermode, Duschgel und Koffer, links Frauenkleider, dazwischen Sonnenbrillen und Krimskrams. Weitere etwa 100 Koffer mit Spenden warten in einem Verschlag, der sonst als Wartezone an Ausgabetagen dient. „Die Leute standen schon am Sonnabend hier und wollten Sachen abgeben“, sagt Bettina Buhr. Am Dienstagmittag hilft auch Jako beim Sortieren. „Ich kann auch meinen Mitbewohner aus Schnackeburg anleiten“, sagt der 64-Jährige, der aus dem Irak nach Hamburg kam. Sein Sohn ist noch immer in der Heimat, seine Frau mit ihm im Containerdorf der Erstaufnahme Schnackenburgallee gestrandet, seit fünf Monaten schon. Doch der Frust über das Ausharren ist der Hoffnung gewichen, Jako hilft jetzt regelmäßig, legt Sporthemden mit überschwänglichem Lächeln zusammen. „Guten Tag!“, sagt Jako je zweimal zu Begrüßung und Abschied und schüttelt Hände von Fremden, als wolle er zu allen Geburtstagen ihres bisherigen Lebens auf einmal gratulieren.
Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion
Bettina Buhr sagt, es kämen immer mehr Flüchtlinge vorbei, die helfen wollten. Auch die Hamburger organisieren sich stärker denn je. Erst gestern Abend gründete sich ein Hilfsverein in Jenfeld, wo Flüchtlinge am Moorpark in Zelten hausen. Gleichzeitig tagte in Wilhelmsburg der Vorstand der Gruppe „Insel hilft“, die bereits mit einer eingearbeiteten Mannschaft von Ehrenamtlichen Unterstützung leistet.
Außer Kleidung benötigen Flüchtlinge häufig auch Stifte und Schreibblöcke
Ein paar Tage, höchstens einige Wochen wird es dauern, bis die Hilfe der Abendblatt-Leser vollständig an die mehr als 7000 Flüchtlinge in Hamburger Erstaufnahmen verteilt ist. Die Bewohner der Einrichtungen bekommen eine Bestätigung der Innenbehörde, um zu Ausgabestellen zu gehen, meist dürfen je zehn Flüchtlinge schauen und mitnehmen, was sie für sich und ihre Familie dringend benötigen. Fast alle bisher gesichteten Spenden waren brauchbar, nur Wasserpistolen und alles Militärische, selbst Spielzeugsoldaten, werden von den Ehrenamtlichen aussortiert. „Kleinigkeiten könnten den grausamen Film wieder in Gang bringen, vor dem die Flüchtlinge hier sicher sein sollen“, sagt Bettina Buhr; sie schult ihre Helfer entsprechend.
Die Renner seien dagegen die Sportartikel, vor allem Fußbälle „Kleinen Jungs kann man mit nichts auf der Welt mehr Freude machen“, sagt Buhr. Ebenfalls gefragt sind alle Schreibutensilien, vor allem Papierblöcke, die von Abendblatt-Lesern teils extra gekauft und gespendet wurden. Die Kinder toben sich auf ihnen beim Malen aus, für die Eltern sind sie Lernwerkzeug. „Hier hat fast jeder Flüchtling etwas zum Kritzeln in der Tasche“, sagt Bettina Buhr. Die Bewohner der Erstaufnahme stellen viele Fragen. Ihre Betreuer berichten, dass die Flüchtlinge jedes aufgeschnappte Wort in Lautschrift notieren und das ihnen fremde Land im Eiltempo ergründen wollen.
Die kleine Homera aus Afghanistan, 7, spricht bereits sehr gut Deutsch, „Alles in der Schule gelernt“, sagt das Mädchen in der Schlange vor der Ausgabestelle in Heimfeld. Sie kam vor drei Monaten aus Afghanistan, mit ihrer Mutter und drei Geschwistern. Während sich gestern ein weiterer Laster aus der Abendblatt-Redaktion auf den Weg macht, diesmal zum Roten Kreuz, hält Homera als eine der Ersten bereits eine Spende in den Händen: einen bunten Tretroller. Homera lächelt, reißt etwas ungestüm am Lenker, fährt einige Meter, dann bleibt sie abrupt stehen. „Meine Mama hätte auch gern einen, aber sie kann noch nicht auf Deutsch fragen“, sagt das Mädchen.
Maria Soares lässt die Welle ab 17 Uhr herein, mehr als 50 Flüchtlinge, Minuten später tragen sie Bettwäsche auf den Armen und neue Kleidung am Körper. Die Abgabestelle des „Contrazt e. V.“ hilft auch verarmten Rentnern und anderen Bedürftigen, hier gilt „drei Teile pro Person“, derzeit kommen fast ausschließlich Flüchtlinge.
Soares sagt, sie habe durch das Ehrenamt eine neue Freude im Leben gefunden. „Diese Freude muss man den Flüchtlingen geben und den Hamburgern“, sagt Soares. Die nächste Welle wird kommen, die hoffnungsvollen Gesichter, die Maria Soares nicht enttäuschen will. „Deshalb dürfen die Menschen nie aufhören, anderen helfen zu wollen. Am Ende kann jeder Einzelne darauf angewiesen sein.“
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