Kaum ein Bürgermeister war je so mächtig wie Olaf Scholz. Der Wahltriumph der SPD ist sein persönlicher Erfolg. Was dahintersteckt.
Hamburg. Viermal seit 1949 haben die Hamburger einen Ersten Bürgermeister abgewählt. Das ist nicht viel in 62 Jahren und spricht im ersten Augenblick für politische Kontinuität im Stadtstaat. 1953 erwischte es den legendären Max Brauer (SPD), der sich 1957 revanchierte, indem er den Christdemokraten Kurt Sieveking in die Opposition schickte. In den folgenden Jahrzehnten erledigte die SPD als Dauerregierungspartei das Geschäft des Bürgermeisterwechsels, indem sie missliebig gewordene "Erste" zum Rücktritt drängte und ersetzte. In selteneren Fällen ging der Senatspräsident freiwillig.
Erst 2001 gelang es Ole von Beust (CDU), mit Ortwin Runde (SPD) wieder einen Bürgermeister durch eine Wahl aus dem Amt zu drängen. Schon deswegen ist der 20. Februar 2011 ein historisches Datum: Olaf Scholz (SPD) triumphierte an diesem Tag über Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU), der überdies den Makel der kürzesten Amtszeit von nur gut sechs Monaten mit sich trägt. Es war ein ungewöhnlicher Wahlkampf zu Beginn des Jahres.
Nach dem Beust-Rücktritt und dem Bruch des schwarz-grünen Bündnisses musste Ahlhaus in ein aussichtsloses Rennen gehen. Die Gegensätze konnten kaum größer sein: Hier eine CDU, die nicht mehr an ihren Erfolg glaubte und der ein Partner fehlte. Dort eine SPD mit einem Spitzenkandidaten Scholz, der so selbstbewusst und staatstragend auftrat, dass manchmal nicht mehr ganz klar war, wer Amtsinhaber und wer Herausforderer war.
Am Ende ging es nur noch um die Frage, ob Scholz die GAL als Koalitionspartner brauchte oder allein regieren konnte. Die Wähler wollten Klarheit: Scholz holte die absolute Mehrheit und brachte die SPD nach zehn Jahren zurück an die Macht im Rathaus. Es war eine beinahe geräuschlose Übernahme der Regierungsverantwortung. Scholz hatte den Wechsel minutiös vorbereitet und überließ nichts dem Zufall. Heute - knapp zehn Monate später - strahlen die regierenden Sozialdemokraten eine große Selbstverständlichkeit im Amt aus, in die sich gelegentlich etwas Herablassung mischen kann. Gegen Ende der langen Regierungsperiode der SPD von 1957 bis 2001 wurde das schon einmal als Arroganz der Macht bezeichnet.
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Der Regierungswechsel im Frühjahr ist auch deswegen eine Zäsur, weil kaum ein Bürgermeister je so mächtig war wie eben jetzt Scholz: Der Wahltriumph ist sein persönlicher Erfolg, seine Sympathiewerte haben die SPD nach oben gezogen. Scholz ist zugleich Parteivorsitzender - diese Doppelfunktion war früher undenkbar. Die traditionell aufmüpfige SPD ist ihm dankbar, und er hält sie an der kurzen Leine. Das System Scholz, das lässt sich nach den ersten Monaten erkennen, beruht auf drei Prinzipien: Früh hat sich der SPD-Politiker um den Schulterschluss mit der Wirtschaft bemüht. Noch im Wahlkampf verpflichtete er den damaligen Handelskammer-Präses Frank Horch als parteilosen Wirtschaftssenator - ein Coup, der die CDU erstarren ließ.
Der Reeder Erck Rickmers trat in die einstige Arbeiterpartei SPD ein und ist heute Bürgerschaftsabgeordneter. Scholz macht eine hafen-orientierte, wirtschaftsnahe Politik und unterstützt alle großen Infrastrukturprojekte, die der Handelskammer wichtig sind: von der festen Fehmarnquerung bis zur Elbvertiefung. Der Bürgermeister greift ein Erfolgsmodell der Hamburger SPD aus den 50er- und 60er-Jahren auf, das im Kern auf einer engen Abstimmung zwischen Senat und Kammer beruht.
Ein weiteres Kennzeichen der SPD-Regierungspolitik ist es, langfristige Verträge und Bündnisse zu schließen. Schon vor der Wahl einigte sich Scholz auf ein Bündnis mit dem Landeselternausschuss (LEA) über den Ausbau der Kitas und die schrittweise Abschaffung der Elternbeiträge. Im Gegenzug verzichtete der LEA auf eine Volksinitiative zu diesem Thema.
Inzwischen hat der Senat Verträge mit der Wohnungswirtschaft und den Bezirken über den Bau neuer Wohnungen geschlossen. Das soll ein wichtiger Eckpfeiler für das wohl ehrgeizigste und wichtigste Projekt der Landesregierung sein: die Schaffung von jährlich 6000 neuen Wohnungen. Schließlich haben Senat und Universität einen Vertrag über deren langfristige Finanzierung geschlossen, nachdem es zu massiven Protesten gegen die Kürzungspolitik gekommen war. Die anderen Hochschulen sollen folgen. Die Pakte haben den Vorzug größerer Planbarkeit und Berechenbarkeit. Für Scholz haben sie den angenehmen Effekt, dass Verteilungskonflikte abgeräumt sind.
Der dritte Punkt zielt auf die Moral in der Politik. Scholz ist unter anderem gewählt worden, weil er "gutes Regieren" versprach. Es gab offensichtlich die Bereitschaft der Wähler, nach turbulenten Jahren im Rathaus eine gewisse Langeweile in der Politik hinzunehmen, wenn sie denn dafür verlässlich ist und Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderklaffen. In der Tat hat sich der Senat ein Arbeitsprogramm auf Basis der zentralen Wahlversprechen gegeben, das er nun abarbeitet. Die Studiengebühren sind abgeschafft, die schwarz-grüne Erhöhung der Kita-Gebühren ist zurückgenommen worden. Die Finanzpolitik ist bislang kein Ruhmesblatt: Das vollmundig verkündete Prinzip "Pay as you go" (Zahle, bevor du losgehst) wird nicht konsequent eingehalten. Beispiel Studiengebühren: Noch ist offen, wie die jährlich 40 Millionen Euro gegenfinanziert werden sollen.
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Natürlich bedeutet "gutes Regieren" nicht nur das emsige Abarbeiten selbst gestellter Aufgaben. Ob eine Administration gut funktioniert, zeigt sich nicht zuletzt darin, ob sie imstande ist, mit unvorhergesehenen Themen fertig zu werden, die eben nicht im Wahlprogramm standen. Ein von Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) aufgestellter Zaun, der Obdachlose abhalten sollte, brachte den Senat im Herbst in arge Nöte. Als das Trenngitter nach massivem öffentlichem Protest auf Druck der SPD-Fraktion und des Senats abgebaut war, sorgte ein Luxus-Klo, das nun an derselben Stelle für die Obdachlosen errichtet werden sollte, für neue Empörung. Erst als eine Schlicht-Variante montiert war, legte sich die Aufregung - das war alles in allem kein Beispiel guten Regierens.
Einen entsprechenden Beweis ist der Senat bislang auch bei der Unterbringung ehemaliger Sicherungsverwahrter schuldig geblieben. Der Vorschlag, die Ex-Gefangenen, die rechtlich freie Menschen sind, auf dem Gelände eines Alten- und Pflegeheims in Jenfeld unterzubringen, ist an Bürgerprotesten und der Weigerung der Sicherungsverwahrten gescheitert.
Trotz dieser offenen Flanken des Senats hatte es die Opposition in diesem Jahr schwer, Tritt zu fassen, zumal sich vier Fraktionen in der Bürgerschaft untereinander Konkurrenz machen. CDU und GAL als die beiden Wahlverlierer müssen sich erst einmal konsolidieren. Die Union hat fast die Hälfte ihres Stimmenanteils eingebüßt. Nach der krachenden Niederlage war eine personelle Erneuerung an der Spitze unumgänglich. Der Altonaer Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg setzte sich in einer Mitgliederbefragung als Parteichef durch. Ex-Sozialsenator Dietrich Wersich führt die dezimierte Fraktion. Beide stehen für die Union als moderne Großstadtpartei im Sinne Ole von Beusts. Ein konservativer Kurswechsel ist ausgeblieben. Die GAL, die durch den Bruch von Schwarz-Grün die Neuwahlen verursacht hatte, steht mit leeren Händen da. Schlimmer noch: Ihre großen Themen Schulreform und Stadtbahn sind abgeräumt. Die Grünen hatten sich eine harte interne Diskussion verordnet, widerstanden aber der Selbstzerfleischung. Die Partei könnte mit dem Streit über den kompletten Rückkauf der Gas-, Strom- und Fernwärmenetze wieder an Fahrt aufnehmen. Die Grünen stehen an der Seite der Volksinitiative, die den Volksentscheid dazu erzwungen hat. Der Gegner: Olaf Scholz und die SPD.
Die FDP, die gegen den Bundestrend erstmals wieder in die Bürgerschaft eingezogen ist, darf sich als Gewinnerin fühlen. Die Liberalen versuchen sich durch die größte Nähe aller Oppositionsfraktionen zum Senat zu profilieren. Das krasse Gegenteil ist die Linke, die die größte Distanz zur SPD hält. Als schweren Schlag musste die Fraktion den gesundheitsbedingten Rückzug ihres Finanz-, Verkehrs-, Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsexperten Joachim Bischoff verkraften.
Noch einmal zu Scholz: Dieser Bürgermeister hat nicht nur mehr Macht als seine Vorgänger, er nutzt sie auch. "Wer Führung bestellt, bekommt sie", lautete sein Motto, als er sich zum SPD-Vorsitzenden wählen ließ. Der Slogan gilt auch für den Bürgermeister. Klare Kante bis an den Rand der Ruppigkeit ist eines seiner Kennzeichen. Das zeigt sich bei der Verdruss-Baustelle Elbphilharmonie: Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) vollstreckt den von Scholz vorgegebenen Kurs der begrenzten Konfrontation mit dem Bauunternehmen Hochtief. Es kommt auch vor, dass er seine Senatoren zurückpfeift. So geschehen, als Verkehrssenator Horch laut über die von Scholz abgelehnte City-Maut nachgedacht hatte.
Als Achillesferse könnte sich für die SPD entpuppen, dass das Parteibuch bei der Besetzung von Top-Posten der Verwaltung wieder eine größere Rolle spielt. Mit Thomas Ritzenhoff (Wandsbek) und Thomas Völsch (Harburg) sind zwei Sozialdemokraten an die Spitze der Bezirksämter gerückt. Auf den parteilosen Polizeipräsidenten Werner Jantosch folgt Wolfgang Kopitzsch (SPD). Keinem soll die fachliche Qualifikation abgesprochen werden. Nur sollte Scholz auf Dauer den Eindruck vermeiden, dass es fähige Top-Beamte nur mit SPD-Parteibuch gibt.
Nur auf den ersten Blick sind die Hamburger Wähler auf Kontinuität bedacht. In Wahrheit sind sie anspruchsvoll und wenden sich brutal ab, wenn ihnen das Angebot oder die Performance der Regenten nicht mehr passt: Die Schill-Partei musste das 2004 erfahren, die CDU jetzt. Scholz weiß das genau: Er und die SPD müssen liefern.