Dr. Kerstin Stellermann vom UKE sieht in der Festnahme des Mörders Martin N. aber auch eine Chance, Kontrolle wiederherzustellen.

Hamburg. Nun ist er gefasst, nach all den Jahren der Ungewissheit, des qualvollen Wartens: endlich gefasst. Vielleicht hatten sich die Eltern der drei von Martin N. ermordeten Kinder ein Stück Alltag erkämpft. Vielleicht hatte der Schmerz ein wenig nachgelassen.

Doch nun, wo die brutale Tat ein Gesicht hat, kehren das Leid und die Trauer mit Urgewalt zurück in das Leben der Hinterbliebenen. Und damit auch die Fragen: Warum wurde ihnen das Liebste, was sie hatten, genommen? Und was für ein Mensch ist dieser Verbrecher, der Kindermörder?

„Die Ergreifung des Täters kann die alten Gefühle wieder aktivieren“, sagt Dr. Kerstin Stellermann, Psycho-Traumatologin am Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE). Gleichwohl sei seine Festnahme eine Chance für die Eltern: „Wenn ein Kind stirbt, ist das Gefühl des Kontrollverlustes und des Unrechts überwältigend“, sagt Kerstin Stellermann. „Seine Festnahme und Verurteilung kann helfen, die Kontrolle und die Gerechtigkeit teilweise wiederherzustellen.“ Auch könne nun ein zweiter Trauerprozess beginnen.

Stellermann betreut im UKE traumatisierte Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten. Und sie weiß, dass Eltern nach solchen Bluttaten nicht selten von Schuldgefühlen erdrückt werden, dass sich in ihren Köpfen immerfort die gleiche, quälende Frage dreht: „Warum konnte ich mein Kind nicht beschützen?“ Einige Familien, so Stellermann, hielten dem immensen Druck nicht stand.

Die Staatsanwaltschaft ist zuversichtlich, Martin N. noch in diesem Jahr vor Gericht bringen zu können. Für viele Eltern sei es unendlich wichtig zu erfahren, was ihren Kindern zugestoßen ist und dem Täter im Gerichtssaal zu begegnen – selbst wenn die Details schon für Außenstehende kaum zu ertragen sind. Denn an die Stelle der grausamen Bilder, die sich in der Fantasie vieler Eltern nach solchen Verbrechen einnisten, träten dann Fakten. „Wenn sie wissen, was passiert ist, können viele die Tat besser verarbeiten“, sagt Stellermann.

Ist es überhaupt denkbar, dass Eltern dem Mörder ihres Kindes verzeihen? „Es ist zumindest nicht unmöglich“, sagt Stellermann. Selbst wenn Wut und Hass vorherrschten, gelänge es einigen, Verständnis für einen womöglich psychisch kranken Täter zu entwickeln – zumindest für das, was aus ihm geworden ist.