Neu an den WikiLeaks-Enthüllungen ist vor allem Klatsch und Tratsch, meint der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland.
In einem Schwimmbad verhaftet ein Polizist einen der Besucher. Vor Gericht wird er beschuldigt, in das Schwimmbecken uriniert zu haben. Um sich zu verteidigen, behauptet er, alle würden das tun. Der Richter fragt den Polizisten, ob der Beschuldigte nicht eigentlich recht hätte. "Vielleicht, Herr Richter", antwortet der Polizist, "aber doch nicht vom Sprungbrett!"
Von diplomatischen Berichten sickert in Demokratien immer viel durch. Wenn er einen Bericht erstatten muss, stellt sich ein Diplomat die Frage, wie er ihn abfassen soll, damit er im Falle einer Enthüllung keinen Schaden anrichtet. So kann er einen Bericht schreiben, ohne die Quellen namentlich zu erwähnen. Die Quellen werden dann meist in einem separaten Bericht genannt, ohne dass nicht Eingeweihte den Zusammenhang verstehen können.
Überdies können Berichte als "privater, vertraulicher und persönlicher", handgeschriebener Brief verschickt werden, sodass kein Mitarbeiter des Adressaten den Inhalt sehen kann. Aber auch dann sickern die Berichte oft in die Medien durch, weil die Adressaten, die als Spitzenpolitiker ihre Beziehungen zu den Journalisten pflegen, oft selber Nachrichten weitergeben. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich Details heikler Berichte, die man dem Vorgesetzten nur in mündlicher Form erstattet, umgehend in den Medien finden können.
Der Unterschied zwischen der Tradition der diplomatischen Indiskretionen und den WikiLeaks-Enthüllungen liegt in der großen Quantität der Indiskretion auf einen Schlag. Also sind die Wikileaks-Enthüllungen ein Skandal nur deshalb, weil sie für alle sichtbar auf dem Sprungbrett durchgeführt worden sind. Bei der Lektüre der WikiLeaks-Depeschen stellt man jedoch fest, dass man eigentlich kaum etwas Neues daraus lernen kann. Vielen waren alle "Nachrichten" bekannt. Was neu ist, ist meistens Klatsch und Tratsch.
So wusste man, dass die meisten arabischen Länder den Iran als Hauptgefahr betrachten, wenn dies auch nie offiziell gesagt wurde. War doch allen klar, dass schon der saudi-arabische Friedensplan von 2002 nicht von einer plötzlichen Hinwendung zu Israel bedingt war. Die arabische Welt braucht Frieden mit Israel, um die Hände frei zu haben, sich auf eine Verteidigung gegen die echte Gefahr durch den Iran vorzubereiten. Die Innovation der WikiLeaks-Enthüllungen sind die genauen Zitate und die namentliche Identifizierung etwa der arabischen Spitzenpolitiker, die sich gegen den Iran aussprechen. So zum Beispiel äußerte der saudi-arabische König Abdallah, man müsse den Kopf der Schlange zerschmettern. So etwas würde der König in der Öffentlichkeit niemals über den Iran sagen. Und die Enthüllungen beinhalten zahlreiche Zitate dieser Art.
Natürlich kann Tratsch und Klatsch auch schädlich und sogar gefährlich sein. Nur betrifft die Gefahr hauptsächlich Individuen und nicht Staaten oder die Diplomatie als solche. Diplomaten sind keine Spione. Ihre Rolle ist zum einen, in ihrem Gastland die Augen und Ohren ihrer Regierung zu sein, um den Entscheidungsträgern zu Hause zu helfen, das Gastland, die Mentalität seiner Menschen und seine Entwicklung zu verstehen. Und das muss nicht unbedingt geheime Information beinhalten. Zum Zweiten sollen sie den Behörden und der Bevölkerung ihres Gastlandes ihr Herkunftsland bestens erklären, um damit die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu fördern.
Selbstverständlich gibt es auch geheime Information, die, wenn enthüllt, für Länder gefährlich sein können. Dabei geht es vor allem um militärische oder Sicherheitsinformation und die sickert tatsächlich nur sehr selten durch. Und solche befinden sich auch nicht unter den WikiLeaks-Veröffentlichungen. Sie werden zweifellos vielen Individuen schaden, nicht aber die Diplomatie und noch weniger die internationalen Beziehungen irgendwie beeinflussen. Sie werden bestimmt nur als Anekdote in Erinnerung bleiben, obwohl Veröffentlichungen dieser Art nun wahrscheinlich zur Gewohnheit werden.