Der Deutsch-Schotte ist gestern zum zehnten niedersächsischen und bundesweit jüngsten Ministerpräsidenten gewählt worden.
Hannover. Kaum gewählt, packte David McAllister gestern seine Akten unter den Arm, marschierte entschlossen los und setzte sich auf Platz eins der Regierungsbank. Dort aber wurde er sofort weggescheucht: Auch ein frisch gebackener Ministerpräsident muss warten können. Erst nach der Vereidigung am Nachmittag war es an der Zeit, nach Jahren im Wartestand den Stuhl des Vorgängers Christian Wulff zu erklimmen.
Mit 80 von 148 abgegebenen Stimmen hat der Landtag in Hannover den 39-jährigen Halbschotten und bisherigen CDU-Fraktionschef McAllister gestern erwartungsgemäß im ersten Wahlgang zum zehnten niedersächsischen und zum derzeit bundesweit jüngsten Regierungschef gewählt, ihm fehlten damit zwei Stimmen aus der CDU-FDP-Koalition. Das nahm er gelassen: "Im Vergleich zur Bundesversammlung war das ein ganz überzeugender Vertrauensbeweis - und das im ersten Wahlgang."
Kirchen, Unternehmensverbände, Gewerkschaften und auch die Opposition gratulierten umgehend. In der Reaktion der Arbeitgeber aber war auch so etwas wie Kritik am Vorgänger herauszuhören: "Niedersachsen braucht neuen Schub, wir hoffen, dass Ministerpräsident McAllister mit Entscheidungsfreude und frischen Ideen die Position Niedersachsens in Europa ausbaut", sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer NiedersachsenMetall.
Der neue Regierungschef aber stellte sich in seiner ersten Regierungserklärung ausdrücklich in die Kontinuität seines Vorgängers: "Die sieben Jahre mit Christian Wulff waren sehr gute Jahre für Niedersachsen, unser Land hat sich enorm entwickelt."
1998 ist McAllister erstmals in den Landtag eingezogen und zur Überraschung eigentlich fast aller Beobachter fraß der ansonsten auf Distanz bedachte damalige Oppositionsführer Christian Wulff regelrecht einen Narren an dem jungen, damals manchmal unbeherrschten, aber stets fröhlichen McAllister. Er baute ihn nicht nur auf, sondern machte ihn zu einem Vertrauten und mit der Übernahme des Landesvorsitzes vor zwei Jahren auch zu seinem unbestrittenen Kronprinzen. Der dankte es ihm mit Loyalität, kritisierte wirklich nur im kleinsten Kreise auch mal seinen Mentor, wartete geduldig ab. Als dann die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin vor wenigen Wochen Christian Wulff als Kandidat für das Bundespräsidentenamt ausguckte, war McAllister damit nur etwa eine Legislaturperiode früher am Ziel, als er sich das zuvor hatte ausrechnen können.
Auf den ersten Blick zumindest ist nichts geblieben von dem aggressiven Debattenredner der frühen Jahre. Im Landtag gestern in seiner ersten Regierungserklärung gleich nach der Vereidigung ging es staatstragend zu. Spätestens 2020 soll es keine neuen Schulden mehr geben: "Weil wir dies der Zukunft unseres Landes, unseren Kindern und Enkelkindern schuldig sind." Wie Wulff beschwört er die Notwendigkeit von besserer Integration vor allem der jungen Migranten und wagt dann beim in Niedersachsen wegen der vielen Atomendlager besonders schwierigen Thema längerer Laufzeiten der Kernkraftwerke schon am ersten Tag im neuen Amt eine kleine Duftmarke. Er fällt den süddeutschen Unionsministerpräsidenten in den Arm, die besonders lange Laufzeitverlängerungen für die Atommeiler fordern. McAllister betont dagegen das Ziel, die regenerativen Energien schnell auszubauen: "Ich bin der Meinung, wir sollten sehr behutsam, falls nötig, die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern."
Heikel ist auch die Frage der Schulstrukturen in Niedersachsen, vor allem die Gesamtschulbefürworter fühlen sich von der schwarz-gelben Landesregierung ausgebremst. Hier kündigte McAllister eine Arbeitsgruppe an, in der die Kommunen Mitsprache erhalten. Ob das ein Einstieg in eine Abkehr vom dreigliedrigen System mit Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien ist, muss sich noch zeigen.
An dem präsidialen Ministerpräsidenten Wulff haben sich die Oppositionsparteien mehr als sieben Jahre erfolglos abgearbeitet, von McAllister haben sie sich mehr Angriffsflächen erhofft. Weil der aber genau die nicht bot, giftete der neue SPD-Fraktionschef Stefan Schostok gestern, die Regierungserklärung sei ein untauglicher Versuch, sich eine staatsmännische Attitüde zu geben: "Sie bemühen sich redlich, den Politiker McAllister neu zu erfinden." Und auch das Geschenk, mit dem die SPD-Fraktion gestern nach der Wahl von McAllister zum Regierungschef aufwartete, ist wohl vor allem der Hoffnung geschuldet, der junge unberechenbare McAllister möge möglichst rasch zurückkehren. Schostok überreichte McAllister einen Profisandsack: "Dieses formschöne Gerät soll ihnen helfen, überschüssige Energie und unwillkommene Aggressionen abzubauen." Der Empfänger lächelte etwas gequält und überließ es seiner 5-jährigen Tochter Jamie, den Sandsack zu prügeln. Und dann demonstrierte er überraschend noch, wie wichtig ihm der Rollenwechsel ist. Er bittet die Opposition ausdrücklich um Entschuldigung für verbale Attacken als Fraktionschef.
Und im Landtag steckte er kommentarlos ein, dass Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel ihn und sein Kabinett als "Secondhand-Regierung" bezeichnet unter Hinweis darauf, dass schließlich Vorgänger Wulff die Wahl 2008 gewonnen hat. Und auch Wenzel hat sich offenkundig mehr Reformwillen versprochen vom neuen Ministerpräsidenten: "Die Probleme des Landes bleiben erst mal liegen."
Aber McAllister, an diesem Tag außerhalb der Tagesordnung gerne mit einer seiner beiden Töchter auf dem Arm, ließ sich gestern die unverhofft frühe Wahl zum Ministerpräsidenten nicht vermiesen. Der bekennende Provinzler freute sich über ein Ständchen der Bläsergruppe der Jägerschaft aus dem heimischen Landkreis Cuxhaven und sang dann auch gerne mit, als in der Landeshymne mal wieder die sturmfesten und erdverwachsenen Niedersachsen beschworen wurden.
McAllister ist in der Vergangenheit stets als Konservativer charakterisiert worden. Jetzt ist er auch in diesem Punkt bemüht, Feindbilder zu übermalen, im Interview mit der "Welt" sagte er: "Es wird niemandem gelingen, mich in eine bestimmte Schublade zu stecken. Ich komme aus der Mitte der Gesellschaft und stehe in der Mitte der Gesellschaft. Ich komme aus der Mitte der CDU und stehe für die Mitte der CDU."