Der 51-Jährige wird erst im dritten Wahlgang neuer Bundespräsident. Zunächst 44 schwarz-gelbe Abweichler
Berlin. Es war eine der dramatischsten Bundespräsidenten-Wahlen der deutschen Geschichte: Erst im dritten Wahlgang ist gestern am späten Abend der bisherige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in geheimerWahl zum neuen Staatsoberhaupt bestimmt worden. Der 51-Jährige, der von CDU, CSU und FDP nominiert worden war, erhielt in der Bundesversammlung 625 Stimmen - zwei mehr als die absolute Mehrheit. Sein Konkurrent Joachim Gauck, Kandidat von SPD und Grünen, kam auf 494 Stimmen. Erleichtert sagte Wulff: "Ich nehme die Wahl außerordentlich gerne und aus Überzeugung an." In einer kurzen Rede dankte er Gauck für die faire Auseinandersetzung.
Zuvor war Wulff in den ersten beiden Wahlgängen, in denen eine absolute Mehrheit nötig war, trotz eines 21-Stimmen-Vorsprungs des schwarz-gelben Lagers gescheitert. Mindestens 44 Delegierte aus den eigenen Reihen verweigerten ihm im ersten Wahlgang die Stimme. Viele votierten für Gauck, den früheren Leiter der Stasi-Akten-Behörde. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war dies eine unerwartet schwere Schlappe. Offenbar wollten die Abweichler der Regierung für das schlechte Erscheinungsbild einen Denkzettel erteilen. Auch im zweiten Wahlgang verfehlte Wulff die absolute Mehrheit, wenngleich nur noch mindestens 29 schwarz-gelbe Delegierte nicht für Wulff stimmten.
Vor dem dritten Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit ausreichte, schworen Merkel, der scheidende Parteivize Roland Koch und CSU-Chef Horst Seehofer ihre Wahlleute noch einmal auf ein Ja für Wulff ein. Sie warnten eindringlich vor den Folgen eines Scheiterns ihres Kandidaten. Die Kanzlerin sagte mit Anspielung auf die Fußball-WM: "Wir haben das Serbien-Spiel gehabt, jetzt kommt das England-Spiel." Koch wandte sich in einer mit lang anhaltendem Beifall bedachten Rede an die Abweichler. Auch er habe Verständnis dafür, wenn es Unzufriedenheit mit der schwarz-gelben Regierung und Sympathien für Gauck gebe. Dies dürfe aber nicht dazu führen, das Land durch dessen Wahl in eine tiefe Krise zu stürzen. "Aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen ist der falsche Weg", sagte Koch. CSU-Chef Horst Seehofer warnte: "Es geht jetzt um mehr als um den dritten Wahlgang." Schwarz-Gelb habe es "selber in der Hand, ob die Union den nächsten Bundespräsidenten stellt oder ob wir ihn uns von der Linkspartei diktieren lassen."
Die FDP wies die Verantwortung für die schlechten Wulff-Ergebnisse zurück. Parteichef Guido Westerwelle versicherte, die FDP werde Wulff im dritten Wahlgang "unverändert mit großer Geschlossenheit unterstützen". Vier Delegierte hatten zuvor angekündigt, Gauck wählen zu wollen.
SPD und Grüne appellierten an die Linkspartei, im dritten Wahlgang für Gauck zu stimmen. Zwar zog die Linke ihre Kandidatin Luc Jochimsen zurück, aber Fraktionschef Gregor Gysi machte deutlich: "Beide konservativen Kandidaten sind für uns nicht wählbar." Er gehe davon aus, dass sich die meisten Wahlleute der Linken enthalten würden - tatsächlich gab es dann insgesamt 121 Enthaltungen. Damit hatte Gauck keine Chance mehr.
Christian Wulff, der am Freitag vereidigt werden soll, trat unmittelbar nach Verkündung seines Sieges als niedersächsischer Ministerpräsident zurück. Als sein Nachfolger soll heute im Landtag der 39 Jahre alte David McAllister (CDU) gewählt werden.
Gauck zeigte sich zufrieden mit seinem Ergebnis. "Es hat mich gefreut", sagte der Theologe aus Rostock. Sein erstes Gefühl sei gewesen: "Demokratie ist lebendig und funktioniert." SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einem "Riesenerfolg".