Zehn Jahre nach dem grausamen Tod des kleinen Volkan geht die Diskussion über den Umgang mit Kampfhunden in Hamburg weiter.

Das Bild der scheinbar greisen Frau brannte sich jedem Prozessbeobachter ins Gehirn. Sie sahen das graue Haar, welches Ayfer K. nur mühsam mit einem Kopftuch bedecken konnte. Das aschfahle Gesicht versteinert, die Augen unter dichten Brauen blickten starr in den Gerichtssaal. Es war die Mutter des sechs Jahre alten Volkan, der heute vor zehn Jahren von zwei Kampfhunden auf dem Hof der Schule an der Buddestraße in Wilhelmsburg regelrecht zerfleischt wurde. Der grausige Tod ihres Sohnes machte aus Ayfer K. äußerlich eine alte Frau. Beim Prozess gegen die beiden Hundehalter, wenige Monate nach der Tragödie, war Ayfer K. erst 29 Jahre alt.

Die tödlichen Attacken des Pitbulls Zeus und der Staffordshire-Hündin Gipsy führten in den darauffolgenden Jahren zu heftigen Debatten und 2006 schließlich zur schärfsten Hundeverordnung Deutschlands. So werden die Rassen Pitbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier für gefährlich erklärt. Es handelt sich bei ihnen um sogenannte Kategorie-1-Hunde. Hinzu kommen Anleinepflicht und Wesenstests.

Manfred Graff, Vorsitzender des Hamburger Tierschutzvereins, kritisiert, dass jene Kategorie-1-Hunde "für unwiderleglich gefährlich" eingestuft werden. "Das bedeutet, dass bei diesen vier Hunderassen auch ein bestandener Wesenstest nichts bewirkt, sondern nur dass sie nicht eingeschläfert werden und eben im Tierheim bleiben." Derzeit sind rund 80 solcher Hunde im Tierheim Süderstraße untergebracht. Die Kosten sind enorm. Mehr als 1100 Euro am Tag muss die Stadt dafür aufbringen.

"Die Politik begnügt sich damit, dass die Halteverbotsregelungen diese Hunderassen weitgehend aus dem Straßenbild vertrieben haben", sagt Graff. Er hält die Regelung für übertrieben. "Alle Tierwissenschaftlicher und Hundekenner sind sich dagegen einig, dass die Rassezugehörigkeit kein abschließendes Kriterium für die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Hundes ist."

Ein Grund, weshalb Graff die Hundeverordnung kritisiert ist auch die Tatsache, dass rund 30 Welpen jener Kategorie-1-Hunde im Tierheim Süderstraße in Zwingern leben. Sie wurden von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. "Wir haben deshalb keine Möglichkeit, diese Tiere vernünftig zu sozialisieren." Ein Jungtier, das in seiner Prägungsphase nicht an Menschen und Hunde gewöhnt werde, könne sich im Alter nicht zurechtfinden. "Damit entsteht die nächste Generation von Hunden, die nicht vermittelbar ist." Diese müsste, wenn sie den Wesenstest nicht bestehe, getötet werden. Allein im vergangenen Jahr seien 16 Kampfhunde aus dem Tierheim eingeschläfert worden.

Die Schuld daran treffe aber nicht die Ermittlungsbehörde, sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. "Wir würden uns auch eine artgerechte Sozialisierung wünschen. Doch von Gesetzes wegen sind wir daran gehindert." Die sichergestellten Tiere seien nicht nur Beweismittel, sondern würden auch der "Einziehung unterliegen". Das bedeutet: Solange der beschuldigte Halter nicht einwilligt, können die Tiere auch nicht vermittelt werden.

Seit Einführung der Hundeverordnung ist die Zahl der sogenannten Beißvorfälle rückläufig. Im vergangenen Jahr zählte die zuständige Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz 248 Übergriffe von Hunden auf Menschen oder Tiere. 2005 waren es noch 446. Das Problem seien nicht die Tiere selbst, sondern die Halter, sagt Graff. "Leute, die ihre Hunde scharfmachen, sind krank. Und solche Hunde wollen wir auch nicht."

Leute wie Ibrahim K. und Silja W., die Halter von Zeus und Gipsy, hatten derart scharfe Hunde. Als Volkan mit Freunden auf dem Hof seiner Schule Fußball spielte, sprangen die Tiere über eine Mauer und griffen den schüchternen Jungen an. Sie verbissen sich vor den Augen der Mitschüler in den Kopf und das Gesicht des Jungen. Bei der späteren Obduktion der Hunde, fanden die Mediziner Gewebeteile in deren Mägen. Ibrahim K. versuchte noch, dazwischen zu gehen. Erst Polizisten beendeten den Blutrausch mit 18 Schüssen aus ihren Dienstpistolen.

Ibrahim K. wurde im Januar 2001 wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und später in die Türkei ausgewiesen. Seine damalige Lebensgefährtin erhielt ebenfalls wegen fahrlässiger Tötung eine einjährige Jugendstrafe auf Bewährung.

Am Tag des Urteils war Ayfer K., die Mutter von Volkan, nicht im Gerichtssaal. Sie hatte es nur am ersten Tag geschafft.