Die Arbeitslosigkeit sinkt, bundesweit hat sich die Situation von Hartz-IV-Empfängern nach einer Studie jedoch nicht verbessert.
Hamburg/Berlin. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt, doch die Zahl der Kinder in Hartz-IV-Haushalten bleibt auf hohem Niveau. Das ist das auffälligste Ergebnis einer neuen Studie zur Kinderarmut des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. "Es gibt keinen Anlass zum Jubel. Wir haben nach wie vor eine skandalös hohe Kinderarmut. Die gute Arbeitsmarktentwicklung kommt bei Kindern in Hartz IV kaum an", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider.
Jedes siebte Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz-IV-Leistungen. In Hamburg , sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband, sei sogar jedes fünfte Kind von Armut betroffen. Dabei lebe jedes zweite dieser 50 000 Kinder in Hartz IV in einem Haushalt mit einem alleinerziehenden Elternteil. Darin sieht der Verband das Übel, das sich verfestigt hat. "Diese Kinder wachsen in einem Umfeld auf, das von Mangel, Ausgrenzung und oft auch Perspektivlosigkeit geprägt ist", sagt Joachim Speicher, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Hamburg. Für Kinder, die bereits zwei Jahre in Hartz IV lebten, sei "Arbeitslosigkeit der Eltern somit keine Ausnahmesituation, sondern ein dramatischer Dauerzustand".
Alleinerziehende könnten Familie und Beruf nur schwer vereinbaren. "Obwohl die Zahl der Alleinerziehenden in Hamburg kontinuierlich wächst - von 26,5 Prozent 2008 auf über 31 Prozent im Jahr 2011 -, werden Alleinerziehende von Unternehmen und Politik weitestgehend ignoriert", sagte Speicher. Senat und Hamburger Wirtschaft müssten Maßnahmen für die Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt entwickeln. Der Senat solle sich außerdem für höhere Hartz-IV-Regelsätze starkmachen und den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ausbauen.
Im Bundesvergleich ist neben den Zahlen aus Berlin die Entwicklung im Ruhrgebiet dramatisch. Spitzenreiter ist nach den Zahlen der Studie Gelsenkirchen mit einem Anteil von 34,4 Prozent armer Kinder. Die Entwicklung in Städten wie Mülheim oder Hamm mit Zuwächsen von bis zu 48 Prozent in fünf Jahren sei alarmierend. Schneider sagte, der Ausbau der Kinderbetreuung allein helfe nicht, denn die Hälfte der Frauen habe keinen Berufsabschluss. "Ohne passgenaue Hilfen bei der Qualifizierung und ohne öffentlich geförderte Beschäftigungsangebote wird man den meisten Alleinerziehenden im Hartz-IV-Bezug nicht helfen können."
Schneider forderte eine Reform des Kinderzuschlags, da dieser zu wenige Niedrigverdiener vor dem Abrutschen in Hartz IV bewahre. Ebenso müssten die Hartz-IV-Kinderregelsätze erhöht werden. Zurzeit erhalten Kinder bis sechs Jahre 219 Euro, zwischen sechs und 13 sind es 251, zwischen 14 und 17 dann 287 Euro.
Auf einen angeblichen statistischen Mechanismus hat der Deutsche Kinderschutzbund aufmerksam gemacht. Immer wenn die Arbeitslosigkeit sank, ging die Kinderarmut lediglich um die Hälfte zurück. Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sagte, Gründe seien mangelnde Angebote zur Ganztagsbetreuung, fehlende Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Bildungsdefizite von Migranten. Kinder in Hartz IV hätten deutlich schlechtere Bildungschancen.
Es sei kein Zufall, dass die Reihenfolge der Bundesländer bei der PISA-Studie immer der Reihenfolge beim Hartz-IV-Bezug entspreche. Auch sei die Gesundheitsvorsorge bei Kindern, die langfristig auf Hartz IV angewiesen seien, deutlich schlechter. Von der Bundesregierung verlangte Hilgers kostenfreie Bildungsangebote von der Kindertagesstätte bis zur Hochschule, die Einführung einer Kindergrundsicherung von 400 Euro sowie gezielte Angebote für Alleinerziehende.
Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sagte bei einer Caritas-Veranstaltung in Hannover, das deutsche Gesundheitssystem müsse kinderfreundlicher werden. Es habe sich zu einem Zwei-Klassen-System entwickelt. Die Caritas will in ihrer Jahreskampagne auf den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit aufmerksam machen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält außerdem nichts von den sogenannten Bildungsgutscheinen. Geschäftsführer Schneider sagte: "Diese Zehn-Euro-Gutscheine für Musikunterricht oder für Sportveranstaltungen, die reichen nicht. Das weiß jeder." Das Teilhabepaket sei "gefloppt". Um der Kinderarmut zu begegnen, hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr das Bildungspaket aufgelegt. Als die Arbeitsagentur Ende Januar ihre Zahlen bekannt gab, wertete Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das als Beleg, dass die Maßnahmen Wirkung zeigten. So erleichtere das Bildungspaket den Übergang in die Unabhängigkeit von staatlichen Leistungen. Schneider regte stattdessen ein Anreizsystem für Vereine an: Wenn diese eine bestimmte Anzahl an Hartz-IV-Kindern aufnähmen, solle das auch belohnt werden. "Dann gehen die Vereine auch raus und versuchen solche Kinder aktiv zu integrieren."