Heute soll der Verkauf der letzten Hamburger Großwerft Blohm + Voss an einen arabischen Investor besiegelt werden. Ein Nachruf.
Hamburg. Mit ein paar Bretterbuden und Helgen - den Baufundamenten für Schiffe - fingen sie an, auf der sumpfigen Insel Kuhwerder am südlichen Ufer der Elbe, fast auf den Monat genau vor 133 Jahren, im April 1877. Die Geschäftsaussichten waren vage. "Es wird ein Abenteuer", darin waren sich der Ingenieur Hermann Blohm und der Maschinenbauer Ernst Voss einig. Der Schiffbau genoss bei den Hamburger Kaufleuten, die in der Stadt schon damals den Ton angaben, keine hohe Wertschätzung. Doch das Abenteuer, das Blohm und Voss eingingen, nahm eine andere Wendung, als die Gründer befürchtet hatten. Sie erlebten das Abenteuer Aufstieg.
Das erste Schiff, das ihre Werft Blohm &Voss im Auftrag baute, war der Dampfer "Elbe", 43 Meter lang, bestellt von einem Konsortium aus Obst- und Gemüsebauern im Alten Land. Was aus diesen bescheidenen Anfängen folgte, prägte die Geschichte des europäischen Schiffbaus im zurückliegenden Jahrhundert wesentlich mit. Blohm & Voss wurde zum Hoflieferanten der Kaiserlichen Marine, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für den Waffengang mit der Seemacht England aufrüstete. Die später größte und wichtigste Hamburger Werft versorgte aufstrebende Reedereien wie Hapag, Hamburg Süd oder Laeisz mit den modernsten Handelsschiffen ihrer Zeit. Und sie trug dazu bei, dass Passagierschiffe unter deutscher Flagge Weltruhm erlangten.
Großsegler wie die "Pamir" und die "Passat" oder das Segelschulschiff "Gorch Fock", Luxusliner wie die "Vaterland" und schnelle Liniendampfer wie die "Europa", aber auch Kriegsschiffe wie die "Bismarck" der Nazis liefen bei Blohm + Voss vom Stapel, außerdem Hunderte U-Boote vor und während der beiden Weltkriege. Sie waren die gefürchtetste Waffe der Deutschen Marine in den Seeschlachten von Atlantik und Nordsee.
Der Schiffbau entwickelte sich zu einem der wirtschaftlichen Motoren des jungen Deutschen Reiches, hier wurden die Expansionsgelüste des größenwahnsinnigen Kaisers Wilhelm II. ebenso in Stahl geschmiedet wie der Wachstumsdrang des genialen Hapag-Chefs Albert Ballin, der die Hamburger Reederei zum weltgrößten Schifffahrtsunternehmen machte. Die "Hardware" dafür lieferte vor allem Blohm & Voss.
Deutschlands Aufstieg und Niedergang im 20. Jahrhundert spiegelt sich in der Unternehmensgeschichte der Hamburger Werft eins zu eins. Blohm & Voss war im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg eine der wichtigsten Rüstungsschmieden des Landes. Die totale Zerstörung der Anlagen durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg war ein Teil des Preises, der dafür gezahlt werden musste. Doch auch der Wiederaufschwung - zwischen den Weltkriegen und erst recht nach 1945 - ist Teil dieser Geschichte.
Nach der Gründung der Bundesrepublik nahm der Schiffbau in Deutschland noch einmal einen ungeahnten Aufschwung, nicht nur beim Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte, sondern auch mit dem Export technologisch hochwertiger Schiffe. Noch einmal wurde Hamburg, wie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu einem der Zentren des internationalen Schiffbaus, mit Werften wie Stülcken, Schlieker, Deutsche Werft - und eben mit Blohm + Voss, wie sich die Werft nach dem Krieg mit einem modernen "+" schrieb. Da gehörte das Unternehmen längst nicht mehr den Familien der Gründer, sondern zum Thyssen-Konzern, aus dem später ThyssenKrupp wurde.
Im Jahr 1958 arbeiteten allein auf den Werften in Westdeutschland rund 113 000 Menschen. Nach der deutschen Einheit waren es in Deutschland insgesamt rund 63 000. Geblieben sind davon kaum mehr als 20 000 Stellen auf den Werften selbst, hinzu kommen heutzutage einige Zehntausende Arbeitsplätze bei den Zulieferunternehmen. Zu Beginn der 70er-Jahre zählte die Branche in Deutschland international noch zur Spitze. Spätestens seit der aktuellen Wirtschaftskrise stehen die meisten deutschen Werften mit dem Rücken zur Wand. Eine Reihe von Unternehmen kämpft womöglich ihren letzten Kampf, etwa die Betriebe von Nordic Yards in Wismar und Rostock-Warnemünde oder Lindenau in Kiel. Für die Nordseewerke in Emden ist das Kapitel Schiffbau nach mehr als 100-jähriger Dauer weitgehend abgeschlossen. Auf der Werft sollen für den neuen Eigner, den mittelständischen Unternehmer Siag Schaaf aus Rheinland-Pfalz, künftig Stahlkomponenten für Windkraftwerke geschweißt werden.
Krieg und Zerstörung hat der deutsche Schiffbau überlebt, doch die Wucht und die Mechanik eines entfesselten Weltmarktes bringen eine Reihe von Werften hierzulande nun an den Rand der Existenz. Im Schiffbau wiederholt sich Wirtschaftsgeschichte: So, wie die Werften am Ende des 19. Jahrhunderts ein Nukleus beim Aufbau der jungen deutschen Industrie waren, wurden sie es in den vergangenen 50 Jahren nacheinander in Japan, in Südkorea und zuletzt in China. Dort spielt heute die Musik, dort werden die größten Frachter und Tanker der Welt in großen Serien aus den Docks gefahren. Längst ist man in Südkorea, der bislang noch führenden Schiffbaunation, nicht mehr damit beschäftigt, die Konkurrenz aus Deutschland zu verdrängen. Jetzt geht es den Koreanern darum, der wachsenden Übermacht des Nachbarn China Paroli zu bieten.
Die Lage in Europa und in Deutschland ist aus dieser Warte kaum mehr als eine Randerscheinung. "Deutschland ist beim Bau von Handelsschiffen längst nicht mehr wettbewerbsfähig", sagt der Hamburger Reeder Claus-Peter Offen, der als früherer Miteigentümer der untergegangenen Flender-Werft in Lübeck Freud und Leid des Schiffbauens bestens kennt. Seit Ende der 90er-Jahre lässt Offen seine Containerschiffe vor allem in Südkorea bauen, bei Werften wie Hyundai, Samsung oder Daewoo. Jede von ihnen ist so groß wie eine ganze Kleinstadt, jede erreicht Jahresproduktionen wie der gesamte deutsche Schiffbau insgesamt. "Auf den deutschen Werften glaubt man noch immer, dass man mit überlegener Technologie und Qualität bestehen kann. Das ist eine Illusion, denn weder in der Qualität noch in der Technologie sind die deutschen Werften denen in Südkorea oder Japan heute noch überlegen."
Überall in Norddeutschland leiden Werften unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Es fehlen Aufträge und damit Perspektiven für Tausende Arbeitsplätze, und das vor allem in Städten, die noch nie Boomtown waren oder die dies spätestens seit dem Mittelalter nicht mehr sind, seien es Emden, Wismar oder Kiel, Wolgast, Stralsund oder Bremerhaven. Bei keiner anderen Werft aber wird die Tragik dessen, was Ökonomen trocken "Strukturwandel" nennen, so deutlich wie bei Blohm + Voss. Jahrzehntelang gaben die Stahlbauer auf Kuhwerder quasi den wirtschaftlichen Herzschlag der Stadt vor. Und bis heute führt keine andere deutsche Werft einem breiten Publikum die Faszination des Schiffbaus so nah vor Augen wie Blohm + Voss mit seinen Docks am Hafenrand. Wenn das populärste Kreuzfahrtschiff der Welt, die "Queen Mary 2", dort zur Inspektion eingedockt wird, ist das noch immer Anlass für ein Volksfest mit Zehntausenden Schaulustigen.
Doch in der Düsseldorfer Zentrale von ThyssenKrupp kommt beim Blick auf die Zahlen des konzerneigenen Werftgeschäfts längst keine Feststimmung mehr auf. Mehrere Hundert Millionen Euro Verlust sollen seit 2008 aufgelaufen sein. Auch der Bau der weltgrößten Superyacht "Eclipse" für den russischen Milliardär Roman Abramowitsch hat die Bilanzen nicht verbessert - im Gegenteil. Der Bauherr äußert viele Sonderwünsche. Deshalb wird das Schiff dem Vernehmen nach immer teurer, aber unter seiner grünen Plane im Schwimmdock nicht fertig.
ThyssenKrupp will raus aus dem Schiffbau, seit Monaten verhandelt die Konzernführung mit dem Investor Abu Dhabi Mar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, einer Region, die trotz Krise reichlich Kapital besitzt und die dafür möglichst viel westliche Hochtechnologie erwerben möchte. Doch es erscheint wenig plausibel, dass ausgerechnet ein arabischer Investor Blohm + Voss mit dem Bau von Marineschiffen und Megayachten zu neuer Blüte führen soll, mit Aufträgen aus Arabien oder Nordafrika. Warum sollten es die Araber besser oder geschickter machen als die Manager des Weltkonzerns ThyssenKrupp, die jahrelang daran gebastelt hatten, aus den Werften in Emden, Kiel und Hamburg das größte deutsche Schiffbau-Unternehmen zu formen - und die bereits nach weniger als fünf Jahren die Lust an diesem Werftverbund wieder verloren.
Noch arbeiten bei Blohm + Voss in Hamburg rund 1700 zumeist hoch qualifizierte Mitarbeiter. Die will der künftige Eigner aus Arabien weiter beschäftigen, lässt Abu Dhabi Mar verlauten. Die Vertreter der Arbeitnehmer sind bescheiden geworden, auch bei der oft so widerborstigen weltgrößten Gewerkschaft IG Metall kommentiert man die bevorstehende Übernahme nur wohlwollend. "Wir sehen es positiv, dass sich ein Investor vor dem Hintergrund der Krise im maritimen Bereich engagiert."
So weit ist es gekommen, dass eine der einst führenden Werften der Welt beinahe schon demütig zu einem neuen Investor durchgereicht wird. Die letzte Entscheidung darüber fällt heute bei der Sitzung des Aufsichtsrats von TKMS, der ThyssenKrupp-Werftensparte. Widerstand der Arbeitnehmer gegen den Verkauf ist dort nicht zu erwarten. Die Schiffbauer von Blohm + Voss wissen, dass sie keinen anderen Rettungsring als diesen mehr besitzen.