Grünen-Politikerin wirft Regierung und Umweltminister Röttgen vor, im Fall Gorleben aus Feigheit eine Vorentscheidung zu treffen.

Hamburg. Die Grünen-Politikerin Rebecca Harms wirft der Bundesregierung vor, in Gorleben aus Feigheit eine Vorentscheidung zu treffen. „Die Politik in Deutschland hat mehr Angst davor, die Suche nach einem geeigneten atomaren Endlager an verschiedenen Standorten durchzuführen, als davor, dass am Ende hochradioaktiver Müll in Gorleben in einen ungeeigneten Salzstock eingelagert wird“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament dem „Hamburger Abendblatt“.

„Die Entscheidung von Bundesumweltminister Norbert Röttgen, Gorleben weiter zu erkunden, ist gleichbedeutend mit der Entscheidung, in Gorleben das Endlager einzurichten.“ Der CDU-Politiker, so Harms weiter, halte sich an die falschen Ratgeber. „Norbert Röttgen hat aus dem GAU im Salzstock Asse, wo unkontrolliert Wasser in den Einlagerungsbereich eingetreten ist, offenbar nichts gelernt. Dabei sind die, die entschieden haben, die Asse als Forschungsendlager zu nutzen, dieselben, die vor 30 Jahren die Entscheidung getroffen haben, in Gorleben und nur im Salzstock von Gorleben ein Endlager zu suchen.“

Harms, die in den 70er Jahren zu den Begründern der Bürgerinitiative gegen das atomare Endlager Gorleben gehörte, fordert „eine ergebnisoffene und vergleichende Suche“ nach dem geeignetsten Endlager in Deutschland. Ein von der rot-grünen Bundesregierung beauftragter Arbeitskreis Endlager habe Empfehlungen gegeben, wie diese Suche durchgeführt werden müsse. „Der Bundesumweltminister braucht das Gutachten nur aus der Schublade zu nehmen.“

Insgesamt deuten die Zeichen auf einen heißen energiepolitischen Sommer in Deutschland. Vorboten sind drohende Strom- und Gaspreiserhöhungen, der schwarz-gelbe Streit um die gestutzte Förderung der Solarbranche und der Unmut der Stadtwerke gegen die Übermacht der Energiekonzerne. Auch das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigte neue Energiekonzept mit längeren Laufzeiten der noch 17 deutschen Atomkraftwerke und Auseinandersetzungen über die noch völlig ungeklärte Entsorgung des Nuklearmülls werfen ihre Schatten voraus. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will jetzt die im Jahr 2000 eingestellte Erkundung des niedersächsischen Salzstocks Gorleben im Wendland auf seine Eignung als Endlager für hoch radioaktiven Abfall aus den Kernkraftwerken wiederaufleben lassen – nach zehn Jahren Stillstand.

Eine einfache Verlängerung des im Herbst auslaufenden Rahmenbetriebsplans von 1983 noch in diesem Monat soll die erste Voraussetzung dazu sein. Grüne, SPD und Linke schlagen Alarm. Hier werde die Bürgerbeteiligung eingeschränkt. Sie werde bei Festhalten am alten Bergrecht auf einfache Informationen reduziert. Dabei hatte Röttgen doch Anfang des Monats die Beteiligung ähnlich der beim maroden Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel zugesagt. Dort gibt es begleitend zur Schließung eine Art mitwirkenden Beirat. Die Koalition zielt mit ihren Erkundungen jetzt einseitig auf Gorleben. Die Festigkeit des Salzstocks ist zwar auch umstritten, aber nicht mit der vor dem Absaufen stehenden Asse vergleichbar. Eine Parallel-Erkundung anderswo – in Baden-Württemberg und Bayern – mit anderen Gesteinsformationen wie Ton und Granit ist nicht geplant. Auch wenn die Bundesregierung – vom Bundesamt für Strahlenschutz unterstützt – zehn Jahre Erkundungsarbeiten in Gorleben ansetzt: Experten von SPD, Grünen und Linken laufen Sturm dagegen.

Dabei geht es auch um Klagen. Einen Strich durch die Rechnung der Regierung könnte machen, dass mehr als 100 Pachtverträge mit privaten Eigentümern der Grundstücke über der Grube im Jahr 2015 auslaufen. Was dann? Viele Eigentümer die sich damals für die Pacht entschieden hätten, seien nicht mehr zu Neuabschlüssen bereit, heißt es bei SPD und Grünen. Wer abspringe, ziehe auch andere nach. Müsste der Staat dann enteignen oder noch teurere Verträge abschließen? Fragen, die geklärt werden müssen im Falle Gorleben, wo bereits rund 1,5 Milliarden Euro versenkt wurden. Das Thema Gorleben soll in den nächsten Monaten noch von einer anderen Seite aufgerollt werden. Schon vor der Bundestagswahl im Herbst 2009 hatte sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss angekündigt. Der aber kommt derzeit trotz aller in der Opposition erklärten Dringlichkeit nicht in Gang. SPD, Grüne und Linke haben längst einen gemeinsamen Antrag gestellt. Nun muss noch der Geschäftsordnungs-Ausschuss des Bundestages darüber beraten, was in der jetzt beginnenden Haushaltswoche nicht möglich ist. Damit bleibt kaum Zeit, um noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (9. Mai) beim Wähler zu punkten. Der Ausschuss kann erst in der Woche vom

19. bis 23 April eingesetzt werden. Ein zentraler Ansatzpunkt für den Untersuchungsausschuss ist auf Oppositions-Seite die Klärung, ob die frühere Regierung Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1983 wissenschaftliche Expertisen zugunsten eines Endlagers Gorleben manipuliert hat – und so die alternative Suche nach anderen Standorten unterblieb. Einen ersten Vorgeschmack auf parteipolitischen Streit gab es kürzlich in einer Bundestagsdebatte. Beobachter erwarten, dass der Ausschuss die Fronten verhärtet und so auch die Opposition Einfluss auf das gesamte Energiekonzept gewinnen könnte. Ein nationaler Energiekonsens sei aber nur vorstellbar, wenn endgültig auch die Verlängerung der Atommeiler-Laufzeiten vom Tisch wäre. Aber soweit ist man in der Koalition noch nicht.