Die 18-Jährige stürzte aus unbekannter Ursache ins Meer. Die sofort eingeleitete Rettungsaktion für die Offiziersanwärterin blieb bis gestern Abend erfolglos. Es gibt kaum noch Hoffnung.

Als die 18-jährige Offiziersanwärterin der Deutschen Marine in der Nacht zum Donnerstag, kurz vor 24 Uhr, von Deck des Segelschulschiffs "Gorch Fock" in die Nordsee stürzte und spurlos verschwand, schienen die Chancen für eine schnelle Rettung nicht schlecht zu stehen: Ein Wachsoldat an Deck hatte "einen dunklen Schatten über Bord gleiten" gesehen und sofort Alarm geschlagen. Die Wassertemperatur lag bei 17 Grad Celsius und Seeleute schätzten die Überlebensdauer für einen jungen, gesunden Menschen auf fünf bis sieben Stunden.

Nach dem Alarmschrei "Mann über Bord!" wurde eine Rettungsboje ins Wasser geschleudert, die sich zu einer Vier-Mann-Insel entfaltete. Die Kadettin hätte sie, falls sie nicht bewusstlos war, schwimmend erreichen können. Die Segelwache nahm die Untersegel weg und drehte den Großmast um, sodass der unter vollen Segeln mit rund 13 Knoten (ca. 23 km/h) laufende Windjammer nach knapp fünf Minuten und 1500 Metern stoppte, worauf die Crew zwei Rettungsboote aussetzte, die der Spur des Kielwassers bis zum vermutlichen Aufschlagpunkt des menschlichen Körpers folgten.

Es herrschte Südwestwind mit Stärke 7 (etwa 60 km/h), die Wellen waren zwei Meter hoch, der Notfall geschah 20 Kilometer nördlich der Insel Norderney, sodass zusätzliche Hilfe schnell zur Hand sein konnte.

Die Kadettin hatte allerdings, wie alle Mitglieder der 30-köpfigen Seewache an Deck, keine Schwimmweste getragen, wie es unter diesen Umständen üblich ist.

Bis zur Einstellung der Suchaktion am gestrigen Abend, an der sieben Schiffe und fünf Hubschrauber unter Führung eines viermotorigen Seeaufklärers vom Typ "Orion" teilgenommen hatten, war von der vermissten jungen Frau aus Nordrhein-Westfalen keine Spur entdeckt worden. An Bord des Segelschulschiffs waren auf dieser Ausbildungsfahrt, die zu dreitägigen Geburtstags- und Freundschaftsfeierlichkeiten in Hamburg führen sollte, rund 100 Mann Stammcrew sowie 107 Offiziers- und Unteroffiziersanwärter, unter ihnen 24 Frauen, die ihre seemännische Grundausbildung durchlaufen sollten, wie 14 000 Kameraden in den vergangenen 50 "Gorch Fock"-Jahren auch.

In diesem Zeitraum sind fünf oder sechs Seeleute und Kadetten ums Leben gekommen, ertrunken aber ist noch keiner.

"Gorch Fock"-Fahrer, wie auch der Abendblatt-Reporter, der auf diesem Schulschiff zwei Orkane erlebte, sind auffallenderweise der Ansicht, dass es selbst bei Schlechtwetter "schwer sei, über Bord zu gehen - es sei denn, man wollte es".

Die stolze "blaue Botschafterin" der Deutschen Marine sollte gestern Nacht in den Marinestützpunkt Wilhelmshaven umgeleitet werden, wo Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufnehmen werden: Warum und wie ist die junge Soldatin gestorben? Durch einen Unfall? Durch Selbstmord? Durch Verschulden anderer? Auf See ist, wie Seefahrer wissen, fast alles möglich.

Die Marine trauert. Die Festlichkeiten in der Patenstadt Hamburg sind abgesagt worden wie der Marine-Ball in Flensburg. In der Diele des Hamburger Rathauses erinnert nur ein mächtiges Modell der immer so glücklichen "Gorch Fock" an das geplante Rendezvous mit der alten Seefahrer- und Handelsstadt. Und was aus der dreimonatigen Ausbildungsreise, die kommende Woche beginnen sollte, werden wird, ist nicht bekannt. Die stolze Bark ist zum Schauplatz eines Nordseedramas geworden.