Sie werden als Verdächtige vernommen. Bekannte des Opfers Wolfgang L. beschreiben ihn als “ruhigen Typen“, der aber “auch gern mal impulsiv war“.
Zwei Tage nach dem tödlichen Faustschlag in der S-Bahn-Linie 1 haben sich gestern Nachmittag sechs Jugendliche bei der Polizei gestellt. Nacheinander meldeten sich die Jungen im Alter von 16 bis 18 Jahren auf der Wache 45 in Harburg. Nach Abendblatt-Informationen haben die Ermittlungen der Mordkommission ergeben, dass Wolfgang L. offenbar mit dem Streit begonnen hat. Er soll auch als Erster gewalttätig geworden sein.
Die Auswertung der "kilometerlangen Videobänder" der Haltestellen sei erst einmal bis auf Weiteres gestoppt worden, sagte die Sprecherin: "Wir suchen dennoch dringend Zeugen, da sich bislang niemand gemeldet hat."
Nach Abendblatt-Informationen fußten die Ermittlungen zunächst im Wesentlichen auf den Aussagen der Freundin des Opfers, der 37 Jahre alten Astrid L. Demnach hatte eine Gruppe "von fünf bis sechs Jugendlichen" am Sonntag gegen sechs Uhr früh in der S 1 von Wedel Richtung Reeperbahn Fahrgäste verbal belästigt. Wolfgang L. (52) habe die Jugendlichen aufgefordert, die Provokationen zu unterlassen, und ihnen Schläge angedroht. Daraufhin habe ihm einer aus der Gruppe ins Gesicht geschlagen. Um weitere Auseinandersetzungen zu vermeiden, stieg der 52-Jährige mit Astrid L. in Othmarschen aus. Auf dem Bahnsteig brach er plötzlich bewusstlos zusammen, auch eine Notoperation konnte den Wedeler nicht mehr retten. Wolfgang L. starb am Montag gegen 16 Uhr im UKE.
Wer ist der Mann, der nach dem Streit in der S-Bahn ums Leben kam? Seine Schwester Brigitte L. (43) beschreibt ihn als "netten, lieben Menschen, der nie jemanden etwas zuleide getan hat." Auch andere Bekannte schildern den gelernten Schlachter als "im Prinzip ganz ruhigen Typen", der aber "auch gern mal impulsiv war". Es sei typisch für ihn gewesen, Streitereien schlichten zu wollen, so die Schwester: "Das hat er im Bekanntenkreis auch immer gemacht, dafür war er bekannt." Immer wieder stockt ihre Stimme, wenn sie versucht, über ihren Bruder zu sprechen. Ihr Gesicht sieht eingefallen aus.
Gemeldet ist der 52-Jährige in einer ungepflegten Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger in einer kleinen Seitenstraße von Wedel. 2002 war L. aus Hamburg in die Stadt im Speckgürtel gezogen. Zuletzt wohnte der 52-Jährige aber meist bei seiner 15 Jahre jüngeren Freundin und ihren zwei Kindern, ebenfalls in Wedel. Seit sechs Jahren ist er arbeitslos, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. "Wolfgang war ein Lebemann, er hat gern gefeiert, war gesellig. Aber er hatte nie Ärger", sagt die Schwester. Ein Mitbewohner spricht dagegen von Partys und wiederholten Polizeieinsätzen.
So feierte Wolfgang L. wohl auch in der Nacht auf Sonntag. Gegen fünf Uhr früh beschlossen er und seine Freundin Astrid L., noch auf einen "Absacker" von Wedel mit der S 1 auf den Kiez zu fahren . . .