Mümmelmannsberg: ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender bedauert, daß die Produktionsfirma Geld gezahlt hat. Schulleiter Klaus Reinsch beschwert sich beim Intendanten.. Merkwürdig: In der Fernsehreportage werden ein Täter und ein angeblich mißhandeltes Opfer gezeigt. In Wirklichkeit sind sie Freunde.
In der ZDF-Reportage spielen sie Täter und Opfer - Akim\* (15), der Anführer der Jugendbande, und Anthony (15), der über Monate von der Gang tyrannisiert wird, der nur anonym aussagen will, aus Angst, wieder geschlagen zu werden. Die Lippe hätten die gewalttätigen Jugendlichen ihm aufgeschlagen, das Auge blau, und der Arm sei ihm gebrochen worden, sagt Anthony in dem Filmbeitrag. Im richtigen Leben sind Anthony und Akim Freunde, besuchen gemeinsam die Schule, verbringen die Freizeit miteinander. Das bestätigt auch ihr Lehrer.
Gesamtschule Mümmelmannsberg gestern morgen: Seite an Seite sitzen die beiden 15jährigen und ihre Freunde Tarik (17) und Habib (16) vor einer Leinwand, sehen sich die Reportage noch einmal an. Auch Tarik und Habib haben ihre Rollen gespielt. Szene für Szene schildern sie dem Abendblatt, wie es dazu kam.
Beispiel: Ein Opfer packt aus. "Ich wollte zum Haus der Jugend, als Akim zu mir kam und sagte: ,Spiel doch mal das Opfer fürs Fernsehen.' Die Reporterin hat dann gefragt: ,Kannst du das?' Wir haben einmal ohne Kamera geübt. Danach hat die Frau immer gesagt: ,Mach mal mehr'." Im Film ist es schließlich so, daß Anthony erst eine geplatzte Lippe und ein blaues Augen anführt und sich dann nach einer kurzen Pause auch noch an einen gebrochenen Arm erinnert. Der angebliche Anführer der Gang, die ihn so brutal mißhandelt haben soll, steht nach eigenen Angaben derweil mit den anderen Jungs hinter der Kamera und kann sich das Lachen kaum verbeißen. "Die Frau hat immer wieder gesagt, wir sollen nicht so laut sein, man darf das Lachen nicht hören", sagt Akim.
Beispiel: Gewalt untereinander.
"Die Reporterin hat ihren eigenen kleinen Actionfilm gedreht. Die war hinterhältig, hat Regisseur gespielt", sagt Tarik. "Wir sollten mal ein bißchen Action machen." Daß die Situation außer Kontrolle geraten sei, als einer ein Messer zog und nur die Anwesenheit des Kamerateams Schlimmeres verhindert habe, wie es im Bericht heißt, bestreiten die vier Jugendlichen entschieden. Die Version des ZDF stimme nicht. Die Sache mit dem Messer sei Teil der Action gewesen, niemand sei bedroht worden. "Die Reporter haben uns doch aufgefordert, ein bißchen mehr zu machen", sagt Tarik.
Beispiel: Bandenschlägerei
Laut Beitrag verabreden sich die Jungs übers Internet zu einer Schlägerei mit einer fremden Gang. "Die Antworten auf dem Bildschirm hat jemand geschrieben, der im Internet-Cafe zwei Plätze neben uns saß", sagt Akim. Dann wird gezeigt, wie die Jugendlichen in einem U-Bahn-Tunnel verschwinden. Angeblich zu einer verabredeten Schlägerei in einem anderen Stadtteil. Dazu sagt eine Sprecherin: "Unser Fernsehteam bleibt zurück. Wir wollen diese geplante Gewalt nicht zeigen." Die jungen Männer in der Schule lachen höhnisch. "Wir sind durch den Tunnel zum Kiosk gegangen", sagt Akim.
Und dann sind er und seine Freunde schon wieder entrüstet, als das Jugendzentrum gezeigt wird. Im Fernsehen sagt die Sprecherin: "Erst Tage später können wir wieder mit den Jungs sprechen. Für uns waren sie abgetaucht." "Das stimmt doch nicht. Die Szene im Jugendzentrum ist doch am gleichen Tag gedreht worden", sagt einer Jugendlichen.
Ganz einig sind sie sich nicht, aber daß sie nicht tagelang abgetaucht waren, erinnern sie genau. Und sie erinnern noch etwas. "Die Frau hat ganz klar gesagt: ,Ich brauche einen Drogenkauf im Kasten, eine Schlägerei, ein Opfer und wie ihr euch auf den Weg zu einem Bandenkrieg macht'", sagt Akim.
Die vier Jugendlichen sind sauer, fühlen sich mißbraucht. Natürlich seien sie keine Engel, sagen sie selbst. Doch so, wie es in dem Beitrag dargestellt wurde, seien weder sie noch der Stadtteil Mümmelmannsberg. Sie ärgern sich, daß sie mitgemacht haben. "Das war Sch . . . Wir haben unseren Ruf beschädigt. Vielleicht sind wir mitschuld, wenn Jugendliche aus dem Stadtteil künftig noch schwerer eine Lehrstelle oder einen Praktikumsplatz kriegen", sagt Anthony selbstkritisch.
Und Tarik sagt: "Natürlich passiert hier auch mal was. Aber Gewalt ist nicht die erste Lösung, wenn etwas nicht klappt. Wir wurden ganz schön verarscht. Wir haben uns verkauft. Nachdem ich das gesehen habe, hätte ich mir selbst ins Gesicht spucken können. Dabei haben wir soviel Positives erzählt. Aber wahrscheinlich haben wir zu sehr daran gedacht, daß wir ins Fernsehen kommen."
Wütend ist auch sein Kumpel Habib: "Ich habe denen erzählt, daß ich mein Abi machen und Rapper werden will. Die haben mich dabei sogar gefilmt, nur gezeigt worden ist davon nichts. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, daß die Frau unehrlich ist. Die hat alle guten Sachen weggelassen und bei den schlechten immer übertrieben."
Und Akim?"Das war der größte Fehler meines Lebens. Ich bereue, daß ich den Film gemacht habe. An den Tagen habe ich nicht überlegt, welche Konsequenzen das haben könnte. Bei mir hat nur das Geld geklingelt - an die Folgen oder Nachteile habe ich nicht gedacht."
(\*alle Namen von der Redaktion geändert)