Hamburger Abendblatt:
Was war das Besondere an der Hamburger Situation 1929? Was war anders als in vergleichbaren deutschen Großstädten?
Prof. Ursula Büttner:
Vor allem Hamburgs starke Abhängigkeit vom Außenhandel. Die Umsätze wurden zu 75 Prozent im Außenhandel getätigt. Das hatte zur Folge, dass nicht nur die großen Überseehandelshäuser, sondern auch die Hafenbetriebe, die Werften und letztlich auch die gesamte Konsumgüterindustrie und der Einzelhandel davon abhängig waren. Die Masse der Hamburger Beschäftigten hing in irgendeiner Weise vom Außenhandel ab. Für eine Stadt, die so extrem exportabhängig war, wirkte sich der Zusammenbruch des Weltmarkts natürlich gravierend aus.
Abendblatt:
Aber stand Hamburg am Anfang der Krise nicht ganz gut da?
Büttner:
Das stimmt. In Deutschland traf die Weltwirtschaftskrise auf eine bereits angelaufene deutsche Strukturkrise. Und diese wirkte sich vor allem auf Branchen aus, die für den Binnenmarkt produzierten. In dieser Situation konnte Hamburg noch vom Export profitieren.
Abendblatt:
Wie schnell änderte sich das nach dem 25. Oktober 1929, dem Schwarzen Freitag?
Büttner:
Nach dem großen New Yorker Börsencrash wurde Hamburg sehr schnell mit doppelter Wucht getroffen: Nun wirkten sich die deutsche Binnenkrise und die Weltmarktkrise gleichzeitig aus und stürzten Hamburg sozusagen in den Abgrund.
Abendblatt:
Warum wurde Hamburg finanziell so stark getroffen?
Ursula Büttner:
Seit 1926 hat Hamburg in starkem Maß langfristige Investitionen mit kurzfristigen Anleihen finanziert. Als die Geldgeber, überwiegend in den USA, nach dem New Yorker Börsenkrach keine neuen Kredite mehr gewährten, geriet die Stadt in erhebliche Schwierigkeiten.
Abendblatt:
Aber warum hat Hamburg sich auf kurzfristige Anleihen eingelassen?
Büttner:
Weil es eine Reichsvorschrift gab, dass sich die Länder - und Hamburg war als Stadtstaat ein Land - nicht langfristig Geld im Ausland leihen dürfen. Die dafür zuständige Beratungsstelle für Auslandskredite hat den Gemeinden vollkommen und den Ländern in starkem Maß den Zugang zum internationalen Kreditmarkt verwehrt. Und da durch die Inflation das Geld in Deutschland in großem Umfang vernichtet worden war, bot der deutsche Kreditmarkt keine Alternative. Er war schlicht zu teuer. Um dennoch an billiges ausländisches Geld zu kommen, hat Hamburg den Ausweg kurzfristiger Kredite gewählt, denn diese waren nicht genehmigungspflichtig. In der Krise erwies sich das als verhängnisvoll.
Abendblatt:
Woher kam das Geld?
Büttner:
Überwiegend von amerikanischen Banken, zum Beispiel von der New Yorker Bank Kuhn, Loeb & Co., die enge geschäftliche und persönliche Verbindungen zur Warburg-Bank unterhielt. Und Warburg war praktisch die Hamburger Staatsbank.
Abendblatt:
Welche Folgen hatte die Krise zum Beispiel für große Reedereien wie die Hapag?
Büttner:
Für die großen Reedereien war die Ausgangslage schwierig, weil sie nach dem Ersten Weltkrieg ihre Flotten hatten abliefern müssen. Dafür bekamen sie zwar von der Reichsregierung eine finanzielle Entschädigung, die aber durch Inflation gleich entwertet wurde. So mussten sie ohne Eigenkapital neu starten. Es gelang ihnen sogar relativ schnell, wieder in den Weltmarkt einzusteigen, etwa durch Kooperationen mit amerikanischen Partnern. 1929 waren die Flotten schon wieder so groß wie vor dem Krieg und deutlich moderner und leistungsfähiger, aber sie waren eben mit Krediten finanziert. Daher ging es der Hapag nicht anders als dem Hamburger Staat: 1931 stand sie am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Nach schwierigen Verhandlungen bekamen die großen Reedereien schließlich Hilfen des Reichs, die das Überleben ermöglichten.
Abendblatt:
Und wie stand es um die Werften?
Büttner:
Noch schlechter. Sie bekamen keine Staatshilfen und fuhren deshalb einen harten Sanierungskurs mit dramatischem Personalabbau. Es gab auch keine Bauaufträge mehr. Bei den wenigen Aufträgen, die Hamburger Werften noch bekamen, ging es um das Abwracken von Schiffen. So wollte man Überkapazitäten abbauen. Für ältere Schiffe zahlte der Staat damals Abwrackprämien - so wie heute für ältere Autos.
Abendblatt:
Wann hat die Krise den Menschen in Hamburg so richtig erreicht?
Büttner:
Sie machte sich erst allmählich bemerkbar. 1930 spiegelte sich das in den Zeitungen schon deutlich wider. Beamte mussten bald die ersten Gehaltskürzungen hinnehmen. Arbeiter wurden entlassen oder waren von Kurzarbeit betroffen. Als großes Problem, das die gesamte Gesellschaft erfasst, wurde die Krise wohl erst 1931 wahrgenommen. Die Arbeitslosigkeit schnellte hoch, in der Bauwirtschaft und in Teilen des Einzelhandels gab es Umsatzeinbrüche von 60 Prozent. Hinzu kam im Juni 1931 die Bankenkrise. Wer Geld abheben wollte, bekam nichts oder nur noch eine begrenzte Summe - sofern die Banken überhaupt geöffnet hatten.
Abendblatt:
Wie weit war das Bürgertum betroffen?
Büttner:
Vielen Mittelständlern ging es zunehmend schlecht: Angestellte verloren ihre Stelle und fühlten sich damit auch in ihrem Sozialprestige beschädigt, zahlreichen Selbstständigen ging es nicht besser. Viele mussten Umsatzeinbußen von 50 Prozent hinnehmen, und dabei war schon die Ausgangslage schwierig genug.
Abendblatt:
Wann ging die Krise für Hamburg zu Ende?
Büttner:
Später als im übrigen Reich. Wirklich beendet war sie eigentlich erst 1937.
Abendblatt:
Warum so spät?
Büttner:
Weil die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik stark binnenwirtschaftlich ausgerichtet war. Im Zuge der Kriegsvorbereitungen ging es darum, Deutschland möglichst autark zu machen. Das war übrigens auch ein wichtiger Grund für das Groß-Hamburg-Gesetz 1937: Damit wurden außer Altona auch die Industriegebiete Harburg und Wilhelmsburg eingemeindet. Von da an war Hamburg sehr viel stärker industriell bestimmt und konnte von der Rüstungskonjunktur profitieren.