Eine Katastrophe für Deutschlands größten Hafen Seit Ende 1929 bekam die Stadt den Konjunktureinbruch in vollem Ausmaß zu spüren. Betroffen war sowohl der bis dahin noch florierende Außenhandel als auch - wegen fehlender Konjunkturhilfen - der Binnenmarkt. Die Arbeitslosenzahl verdoppelte sich zwischen den Jahren 1928 und 1930 von 50.000 auf 100.000. Zwei Jahre später war bereits jeder Zehnte der 1,4 Millionen Einwohner ohne Job.

Hamburg vor 80 Jahren: In Deutschlands zweitgrößter Stadt ist von einer Krise noch nichts zu spüren. Im Gegenteil, wer die Hansestadt damals besucht, erlebt eine geschäftige Metropole. Im Hafen herrscht Hochbetrieb, Waren aus aller Welt werden entladen und deutsche Produkte in alle Welt exportiert. In Hamburg können wieder Schiffe gebaut werden, und viele Werften haben volle Auftragsbücher. Der Krieg liegt jetzt mehr als ein Jahrzehnt zurück, und die Menschen hoffen, dass auch seine Folgen nach und nach überwunden werden.

Die Cafes am Jungfernstieg sind gut besucht. Wer die Straße überquert, muss sich in Acht nehmen, denn der Verkehr nimmt ständig zu. Am 1. Juli werden in Hamburg erstmals mehr als 10 000 Personenkraftwagen registriert, und ein Jahr später hat sich die Anzahl schon fast verdreifacht.

Hamburgs Arbeiter und kleine Angestellte können sich zwar kein Auto leisten, aber sie können günstig einkaufen, zum Beispiel in 254 Kolonialwarengeschäften, 118 Schlachtereien und zwei Kaufhäusern, die sich zur Hamburger "Konsumgenossenschaft Produktion" zusammengeschlossen haben. Fast 130 000 Hamburger sind Mitglieder bei der "Pro"; wenn sie dort einkaufen, bekommen sie Rabatt. Da bleibt oft noch Geld für eine Kinokarte übrig, vielleicht sogar für den Besuch des Ufa-Palastes an der Ecke Valentinskamp/Dammtorstraße, der am 21. Dezember als größtes Kino Europas seine Pforten öffnet. Wer sich auf einem der 2667 samtbezogenen Sitzen niederlässt, staunt erst einmal über die Pracht des Raumes, der an ein pompöses Theater erinnert. Aber der Ufa-Palast ist nur eines von 70 Hamburger Kinos, die im Jahr 1929 14 Millionen Besucher verzeichnen. Statistisch geht also jeder Hamburger 13-mal in eines der "Lichtspielhäuser", um Stummfilme wie zum Beispiel "Das Tagebuch einer Verlorenen" oder "Die Büchse der Pandora" zu sehen.

Vom Schwarzen Freitag, bei dem am 25. Oktober in New York die Börse zusammenbricht, viele Anleger ihr gesamtes Vermögen verlieren und verzweifelte Makler sich gleich reihenweise das Leben nehmen, erfahren die Hamburger bestenfalls aus der Zeitung. Für die Hafen- und die Werftarbeiter, die kleinen Angestellten in den Exportfirmen und die Verkäuferinnen in den Kolonialwarenläden sind das alles Nachrichten aus einer fernen Welt. Doch die Mitglieder der Hamburger Handelskammer blicken schon sorgenvoll auf die Börsenkurse und in ihre Auftragsbücher.

Schon seit 1928 beginnt das Wachstum der deutschen Wirtschaft zu stagnieren, doch zunächst ist Hamburg davon noch nicht betroffen. Dank der starken Ausrichtung auf den zunächst noch florierenden Außenhandel ist der Hansestadt eine Schonfrist vergönnt. Doch das wird sich bald ändern. "Als die Wirtschaftskrise die negativen Tendenzen dramatisch verstärkte, bekam Hamburg seit Ende 1929 den Konjunktureinbruch in vollem Ausmaß zu spüren, ja es wurde nun besonders schwer und nachhaltig betroffen", schreibt die Hamburger Geschichtsprofessorin Ursula Büttner (siehe auch Interview). Kredite, vor allem von amerikanischen Geldgebern, werden kurzfristig fällig, was viele Firmen die Existenz kostet. Der Export bricht ein, weil die Preise auf breiter Front verfallen und viele Länder ihre Binnenmärkte schützen wollen und mit protektionistischen Maßnahmen die Einfuhr fremder Waren verhindern. Für Deutschlands größten Hafen ist das schlicht eine Katastrophe, die Schiffe fahren - wenn überhaupt - oft nur noch mit halber Ladung. Werft- und Hafenarbeiter werden massenweise entlassen. Blohm&Voss setzt zwischen 1929 und 1932 insgesamt 8251 Beschäftigte vor die Tür. Die Überseehandelsfirma Schubbach, Thiemer und Co., die Kontakte in alle Welt unterhält und große Plantagen in Afrika besitzt, geht 1931 pleite. Und das ist kein Einzelfall. Nicht etwa nur einfache Arbeiter, sondern auch qualifizierte Angestellte verlieren ihre Jobs. Aber auch der Binnenmarkt geht in die Knie, denn statt ihn mit Konjunkturhilfen zu beleben, setzt die Reichsregierung ein eisernes Sparprogramm durch, das die Krise nur noch verschlimmert.

Die Resultate sind verheerend: Suchten im Dezember 1928 noch 50 000 Menschen in Hamburg eine Arbeit, sind es 1930 bereits 100 000 und 1932 bereits 165 000 - bei einer Einwohnerzahl von 1,14 Millionen waren das mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Und der Verlust des Arbeitsplatzes ist oft gleichbedeutend mit dem Absturz in bittere Armut. Die meisten Hamburger Arbeitslosen erhalten nur 37 Prozent ihres früheren Einkommens als Arbeitslosenunterstützung - und auch das nur für ein halbes Jahr. Aber wie soll ein Arbeiter von wöchentlich 15 bis maximal 22 Reichsmark seine Familie ernähren? Frauen erhalten sogar noch weniger, nämlich nur 10 bis 13 Reichsmark pro Woche.

Wer länger arbeitslos bleibt - und das betrifft zu dieser Zeit die allermeisten - ist schon bald auf die Wohlfahrtshilfe der Stadt angewiesen und wird dafür demütigenden Prozeduren unterworfen. Betroffen sind nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern auch die kleinen Gewerbetreibenden und Kaufleute. Der Kolonialwarenhändler an der Amsinckstraße, der Schuhmacher am Großneumarkt, der Friseurmeister an der Hammer Landstraße, der Papierwarenhändler am Barmbeker Wiesendamm, sie alle müssen ihre Läden dichtmachen, weil die Kunden ihre Waren oder Dienstleistungen einfach nicht mehr bezahlen können.

Und auch die Stadt fällt als Auftraggeber aus, da sie - wie die Reichsregierung - einen gnadenlosen Sparkurs fährt. Übrigens keineswegs aus freiem Willen, sondern weil sie durch die finanzielle Abhängigkeit von Berlin durch die Reichsregierung dazu gezwungen wird. Dabei zeigt sich bereits, wie die wirtschaftlichen Mechanismen funktionieren. Der sozialdemokratische Bürgermeister Rudolf Roß bringt die damalige Situation auf den folgenden Nenner: "Augenblicklich erleben wir den merkwürdigen Vorgang einer sich selbst herunterstufenden Wirtschaft, immer weitere Einschränkungen, die sich wechselseitig bedingen. Diese Schrumpfung, dieses Absteigen, kann man eine Zeitlang fortsetzen, aber schließlich ist man am Ende der Treppe, es heißt 'halt' oder man stürzt in den Abgrund."

Niemand gebietet dieser Entwicklung damals Einhalt. 1931 kann Hamburg nur durch Intervention der Reichsbank den Staatsbankrott abwenden.

Wer jetzt Hamburg besucht, wird die Zeichen der Krise kaum mehr übersehen: Überall wird die allgemeine Not im Stadtbild sichtbar. Da es der Stadt an Geld fehlte, verwildern die Grünanlagen, die Parks und Spielplätze werden nicht mehr gepflegt und müssen oft geschlossen werden. Straßenschäden werden nicht mehr ausgebessert, Reparaturen veranlasst die Stadt nur noch, wenn Lebensgefahr droht. "Wie sehr die Reduzierung dieser Ausgaben um 90 Prozent die örtliche Wirtschaft schädigte, liegt auf der Hand", schreibt Ursula Büttner.

Doch aussagekräftiger als alle Statistiken sind jene Bilder aus Zeit der Weltwirtschaftskrise, die der Fotograf Erich Andres (1905- 1992) damals auf den Straßen der Hansestadt aufgenommen hat: Arbeitslose, die unmittelbar nach der Büroöffnung in das Arbeitsamt an der ABC-Straße stürmen, um vielleicht eine der ganz wenigen freien Stellen zu ergattern. Lange Schlangen vor dem Freitisch des Arbeiterrats, an dem sich Arbeitslose und Rentner eine warme Mahlzeit abholen können. Die Bilder zeigen Menschen, die alle Hoffnung verloren zu haben scheinen, Gesichter, die das ganze Ausmaß dieser Wirtschaftskrise begreiflich machen, einer Wirtschaftskrise, die schon bald in eine politische Tragödie münden wird.