Hamburg. Zwischen Othmarschen und Bahrenfeld fahren Busse statt S-Bahnen. Wobei: Eigentlich stehen sie nur. Ein Bericht aus der Verkehrshölle.

Schon wieder heißt es: stehen. Im Bus, eingepfercht zwischen all den Leidensgenossen, und auf der Straße, Stoßstange an Stoßstange im Feierabendverkehr. „Wie Sie sehen“, befindet dann auch der Busfahrer, „stehen wir hier.“ Doch er hat diesem unausweichlichen Fakt noch eins draufzusetzen: „Aus meinen vorherigen Runden kann ich Ihnen sagen, es wird noch mindestens 20 Minuten dauern, bis wir an der Haltestelle Othmarschen sind.“

Willkommen im Schienenersatzverkehr in Hamburg, dem Transportmittel aus der Hölle. Wenn S- oder U-Bahnen nicht fahren und dafür als Ersatz Busse eingesetzt werden, heißt das: Es wird voll, es wird eng, und es wird vor allem Zeit kosten. Jeden Morgen, jeden Abend. Mit anderen Worten: Es wird nervig, auf ganzer Linie. In diesem Fall, auf der Strecke der Linie S1 zwischen Bahrenfeld und Othmarschen, bekommt nervig jedoch eine neue Dimension.

S-Bahn Hamburg gesperrt: Im Westen geht auf den Straßen gar nichts mehr

Das Problem auf diesem Abschnitt: Auf den umliegenden Straßen im Hamburger Westen geht gar nichts mehr. Bau des Autobahndeckels, Verlegung der Fernwärmeleitungen, Ausbau der Velo-Routen – die Elbvororte sind ein reines Staugebiet. Selbst ortskundige Autofahrer landen oft in Sackgassen und verzweifeln, wer schlau ist, lässt den SUV in der Doppelgarage. Doch in Zeiten des Schienenersatzverkehrs ist das Umsteigen ebenfalls eine Herausforderung. Denn die Busse, die ersatzweise zwischen den zwei oben genannten Haltestellen pendeln, stehen eben auch.

Ein Dauerregen-Morgen in Schienenersatzverkehr-Woche zwei, die Fenster des Busses sind beschlagen, grauer kann die Welt nicht mehr werden als hier. Die Fahrgäste gucken stoisch, fast schon resigniert, sie kennen diese Strecke vom Othmarscher Bahnhof stadteinwärts mittlerweile zu gut, sie wissen, was sie erwartet. Die S-Bahn braucht normalerweise zwei Minuten bis zur Haltestelle Bahrenfeld. Der Ersatz-Bus hat sich nach zehn Minuten gerade einmal über die Autobahnausfahrt Othmarschen gequält.

Schienenersatzverkehr auf der Linie S1 in Hamburg: Im Bus steht eine Schicksalsmannschaft

Dahinter, auch das wissen die meisten hier, wird es in der Regel noch voller. Minute um Minute kriecht das Fahrzeug um die Kreuzkirche am Hohenzollernring, ein kleiner Extra-Schwenk auf der angesichts der Geradlinigkeit der S-Bahn-Gleise ohnehin schon ausschweifenden Route. Die Hamburg-News auf dem Handy sind gelesen, die ersten Mails des Tages geschrieben, private WhatsApp-Nachrichten beantwortet. Der Bus fährt immer noch. Die Lampe mit der Aufschrift „Wagen hält“ leuchtet wie zum Hohn die gesamte Fahrt.

Auf den letzten Metern geht es etwas zügiger, die Station Bahrenfeld rückt in Sichtweite. Da, eine Bushaltestelle erscheint. Der Wagen hält. Die Schicksalsmannschaft schöpft Hoffnung, erste Bewegungen gen Tür, raus, nur raus. Aber nein, es ist nur die Haltestelle für den regulären Bus. Die Ampel war rot. Weiter geht‘s. Bis zur Haltestelle des SEV, die einzige Abkürzung, die der Schienenersatzverkehr kennt, sind es noch ein Dutzend weitere Ruckler.

Hamburger S-Bahn fährt nicht: Von Bahrenfeld nach Othmarschen dauert es eine Stunde

Jetzt aber schnell zur Bahn, die Reise ist ja schließlich noch nicht zu Ende. Doch kaum hat sich die SEV-Menge die schmale Treppe auf das Bahrenfelder S-Bahn-Tableau hochgekämpft, wartet erneute Ernüchterung: Auch die Bahn steht. Abfahrt in acht Minuten. Unter diesen Umständen gefühlt wie 18.

Um bis zu 20 Minuten könne sich die Fahrzeit durch den Schienenersatzverkehr verlängern, heißt es von der Bahn. In der Regel, das zeigt die leidige Erfahrung, dauert es mit Umsteigen doppelt so lange. Am Wochenende, als auch noch der HSV zu Hause spielte, brauchte der Ersatz-Bus von Bahrenfeld nach Othmarschen mehr als eine Stunde.

Gibt es eine Statistik darüber, wie viele Wochen ein Mensch in seinem Leben im Schienenersatzverkehr verbringt? Diese S1-Sperrung würde auf jeden Fall für einen Ausreißer sorgen.

S1 gesperrt: Schienenersatzverkehr gerät in Hamburg in verfahrene Situation

Apropos Lebenszeit verschwenden: Was denken wohl die ganzen größtenteils jungen, warnbewesteten Menschen, die den Betroffenen an den Stationen im Auftrag der Bahn den Weg weisen? Kommen ein Bus oder eine S-Bahn an, strecken sie den Arm in die entsprechende Laufrichtung, ansonsten verbringen sie den Tag damit, in schlecht gelaunte Büromenschengesichter zu gucken. Allein dafür sollten sie nach der Sperrungszeit am 3. November (Betriebsschluss!) einen Depri-Bonus ausgezahlt bekommen.

Bei allem Gejammer muss man natürlich sagen: Bauarbeiten sind unvermeidlich. So wie in diesem Fall an der Eisenbahnüberführung Baurstraße und der A7. Auch die Sperrung in die Herbstferien zu legen, ist schlau – nicht auszudenken, wie es wäre, wenn Hamburg und damit die Ersatzbusse voll besetzt wären. Doch hier im Hamburger Westen gerät dieser geplante Schienenersatzverkehr eben in eine besonders verfahrene Situation.

S-Bahn Bahrenfeld in Hamburg: Busse des SEV können hier nicht wenden

Hinzu kommt, dass die Busse zwischen den Haltestellen im Kreisverkehr fahren müssen, weil es in Bahrenfeld keine Möglichkeit gibt, zu wenden. Dadurch nehmen sie alle neuralgischen Punkte mit, die man auf der Strecke passieren kann. Und wer schon am Morgen stadteinwärts genervt ist, verzweifelt nach Feierabend stadtauswärts erst recht.

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Da führt die Strecke über die Friedensallee zur A7-Anschlussstelle Bahrenfeld, an der ja nun gerade gebaut wird. Sich hier einzufädeln, ist ein Geduldsspiel, dass nur Verlierer kennt. Hier heißt es fast nur Stop statt Go, und man fragt sich, während die Hausnummern nur im Schneckentempo vorbeiziehen, warum man nicht eigentlich selbst zu Fuß gegangen ist.

S-Bahn Hamburg: Ein Hoch auf den Busfahrer vom Schienenersatzverkehr der S1

Das spürt auch der eingangs erwähnte Busfahrer. Er hält mitten auf der Strecke an einer normalen Bushaltestelle und bietet allen an, auszusteigen. Die meisten bleiben jedoch, jetzt ist es auch egal. Und dann, jenseits der Autobahn auf dem Kalckreuthweg, läuft es ganz plötzlich wieder. Also zumindest mehr als Schrittgeschwindigkeit.

Als am Horizont die Haltestelle Othmarschen auftaucht, meldet sich der Busfahrer wieder. „Ich möchte mich dann recht herzlich von Ihnen verabschieden“, sagt er. „Ich wünsche Ihnen trotz aller Unannehmlichkeiten noch einen angenehmen Abend.“ Auch das ist Schienenersatzverkehr in Hamburg.