Hamburg. Risse in den Wänden, kaputte Zäune, Sperrungen – über Jahre. Wie der Trassenbau durch Hamburgs Westen zur Belastungsprobe wird.
Vor mehr als zwei Jahren ging es los. Da hielt die Baustelle vor der Tür von Friederike Werner an der Parkstraße in Othmarschen Einzug. Und mit ihr kamen riesige Baufahrzeuge, Straßensperrungen, Lärm, Risse in den Wänden und eine kaputte Einfahrt. Wie lange das hier noch dauert? „Lange“, sagt Werner.
Das ist zumindest die Antwort, die die Anwohner erhalten, wenn sie die Bauarbeiter vor Ort nach einem Zeitfenster fragen. An solchen Anhaltspunkten orientiert sich Friederike Werner, denn andere Informationen erhalte man nicht, so die Hamburgerin, die mit dieser Kritik nicht allein ist.
Othmarschen: Neue Fernwärme-Trasse zieht sich quer durch den Westen Hamburgs
Grundsätzlich befürwortet Werner die Baustelle beziehungsweise den Grund dafür, betont sie. „Das ist ein wichtiges und gutes Projekt für die Stadt.“ Denn was da vor ihrer Haustür in den Elbvororten entsteht, ist die neue Fernwärme-Trasse zur zukünftigen Versorgung des Hamburger Westens und ein wesentlicher Baustein, um das Kohlekraftwerk in Wedel abzuschalten.
Die neue Trasse führt vom „Energiepark Hafen“ im Süden Hamburgs unterhalb der Elbe entlang bis zum Hindenburgpark an der Elbchaussee, weiter durch die Parkstraße, die Groß Flottbeker Straße, unter der Osdorfer Landstraße entlang, die Straße Zum Hünengrab in Bahrenfeld hoch bis zur Hauptleitung an der Luruper Chaussee, wo sie dann angeschlossen wird. Sprich: überall dort, wo derzeit gebuddelt wird.
Verkehr Hamburg: Baustellen in Othmarschen, Groß Flottbek und Co. – Nerven liegen blank
Vor Beginn der Arbeiten war den Bewohnern eine Wanderbaustelle mit punktuellen Belastungen und Sperrungen versprochen worden. In der Praxis fühlt es sich aber wie eine lange, große Dauerbaustelle an, die sich einmal quer durch den Hamburger Westen zieht. Das nagt an den Nerven von vielen Verkehrsteilnehmern und eben auch am Nervenkostüm der betroffenen Anwohner. Es war auch mit ein Grund dafür, warum der Streit um die geplante Baustelle Reventlowstraße so eskalierte.
„Es ist einfach Wahnsinn“, sagt Almut Batelt. Sie wohnt ebenfalls an der Parkstraße in Othmarschen. „Es dauert schon ewig, und ein Ende scheint nicht absehbar. Das ist unerträglich.“ Auch beim Bürgerverein Flottbek-Othmarschen melden sich viele Betroffene auf der Suche nach Hilfe. Die Vorsitzende Ute Frank kritisiert die schlechte Planung und die Informationspolitik. „Versprochen worden ist, dass abschnittsweise gebaut wird. Das war gelogen“, sagt Frank. Damals hieß es auch, voraussichtlich 2024 sei die Trasse fertig.
Othmarschen und Groß Flottbek: 50 Prozent der Fernwärmetrasse ist hier fertiggestellt
Danach sieht es bei Weitem nicht aus. Auf Abendblatt-Anfrage erläutert Friederike Grönemeyer als Sprecherin der Hamburger Energiewerke mit Blick auf den Trassenbau nördlich der Elbe: „Aktuell haben wir etwa 1,6 Kilometer fertiggestellt. Insgesamt arbeiten rund 50 Bauarbeiter der von uns beauftragten Firma Vorwerk in durchschnittlich acht bis zehn Kolonnen gleichzeitig auf der Trasse. Es werden immer mehrere Bauabschnitte parallel durchgeführt.“
Auf die Frage, ob man im Zeitplan liege, antwortet sie: „Die Bauarbeiten gehen gut voran. Mittlerweile haben wir rund 50 Prozent der Fernwärmetrasse in Othmarschen und Groß Flottbek fertiggestellt.“ Laut aktuellem Planungsstand rechnen die Hamburger Energiewerke damit, den Leitungsbau nördlich der Elbe 2025 zu beenden. Auch die Anwohner an der Parkstraße müssen so lange ausharren. Denn die Bauarbeiten an der Parkstraße werden laut Unternehmenssprecherin zusammen mit Abschluss der Bauarbeiten für die neue Fernwärmetrasse beendet.
Fernwärme-Baustelle Elbvororte: Anwohner ärgert der Umgang mit Betroffenen
„Ich habe viel Verständnis, und mir war klar, dass diese Baustelle länger dauern wird, als man uns damals versprochen hat“, sagt Friederike Werner. Was die 63-Jährige und ihre Nachbarn ärgert, ist der Umgang mit den Betroffenen vor Ort. „Wir haben direkt nichts davon, können uns nicht an das Netz anbinden. Dafür wäre doch etwas Rücksichtnahme auf die Anwohner, die hier leben, richtig und angebracht“, sagt sie.
Werner berichtet, wie man spätabends erfährt, dass man am Morgen nicht aus der Einfahrt kommt. Und das eine Woche lang immer wieder. Dass man durch Lärm aus dem Bett hochschreckt, von klirrenden Gläsern im Schrank, wie man durch eine plötzliche Sperrung der Straße mit Einkäufen und Tiefkühlware mit dem Auto feststecke und die Sachen dann wegwerfen müsse. Und dass durch die ständigen sich ändernden Sperrungen Anwohner, Besucher und Autofahrer, die durch das Viertel fahren, umherirren und dabei viel CO2 produzieren.
Das alles „seit einem Jahr und 13 Monaten“, wie Anwohnerin Werner aufzählt. Und dann sind da noch die Schäden an ihrem Haus.
Hamburg-Othmarschen: Risse an denkmalgeschütztem Haus durch Bauarbeiten?
Die denkmalgeschützte Villa stammt aus dem Jahr 1878, und trotz Vibrationsmessgeräten, die im Gebäude vom Bauträger installiert worden seien, sind laut Werner neue Rissen am Haus entstanden. Auch die ebenfalls denkmalgeschützte Einfahrt sei durch die Bauarbeiten in Mitleidenschaft gezogen und nicht wieder so hergestellt worden. „Beim Nachbarn ist ein Rettungswagen, der durch die Baufahrzeuge zurücksetzen musste, in einen Zaun gefahren“, berichtet Werner weiter. Es sei unklar, wer dafür nun aufkomme.
Gleichzeitig schildern Werner und zahlreiche Anwohner und viele Betroffene, dass die Baustelle schlecht koordiniert sei. „Es wirkt sehr chaotisch“, so die 63-Jährige. „Es gibt viele Wartezeiten, in denen die Baustelle still steht und nichts passiert.“ Gleichzeitig gebe es Bereiche, die seien viermal aufgemacht worden. „Ich habe keine Ahnung, was sie dort suchen, vielleicht hat jemand sein Handy bei den Arbeiten verloren“, versucht es Werner mit Humor.
Verkehr Hamburg: In einzelnen Abschnitten gibt es punktuelle Wanderbaustellen
Das städtische Unternehmen hält dagegen. Die Sprecherin erläutert: „Wir arbeiten in den einzelnen Bauabschnitten maßgeblich mit Wanderbaustellen, die punktuell eingerichtet werden.“ Dabei handelt es sich um zwölf Abschnitte auf der rund drei Kilometer langen Strecke, in denen dann jeweils also Wanderbaustellen unterwegs sind.
„Es ist unser Anliegen, die Verkehrsbeeinträchtigungen für alle Beteiligten räumlich und zeitlich so gering wie möglich und die Querverkehre Ost – West bestmöglich aufrechtzuhalten“, betont Grönemeyer.
Allerdings seien viele Abschnitte gerade auch im Bereich der Parkstraße schmal. Sämtliche Ver- und Entsorgungsleitungen würden bereits einen Großteil des Platzes einnehmen. „Der unterirdische Straßenraum muss daher neu geordnet werden, um die Fernwärmetrasse mit einer Breite von vier Metern zusätzlich unterbringen zu können“, so Grönemeyer.
- Bunker in Altona: Wie Bürokratie ein Vorzeigeprojekt verzögert
- Kurz vor erstem EM-Spiel in Hamburg: A7 wird 55 Stunden gesperrt
- Hätten Sie‘s gesehen? Mini-Schilder werben für Waitzstraße
Die Energiewerke würden teilweise Arbeiten der anderen Leitungsbetreiber schon übernehmen, damit die Baustelle so effizient wie möglich laufe. In einer ersten Bauphase würden zunächst vorhandene Leitungen und Kabel der anderen Versorger umverlegt, um Baufreiheit zu schaffen.
„Damit die vorhandenen, alten Siele aus der Fernwärmetrasse entfernt werden können, müssen neue Siele verlegt werden. Erst wenn der Wasserweg auf die neuen Siele umgeschwenkt wird, können die alten Siele stillgelegt und die Fernwärmerohre verlegt werden“, erläutert die Sprecherin. Dazwischen könne bis zu ein Jahr vergehen. Daher werde temporär mit einer asphaltierten Ersatzfahrbahn gearbeitet.
Othmarschen: Sprechstunde zur Fernwärmebaustelle für Betroffene am Baucontainer
„Wenn uns Schäden gemeldet werden, die im Zusammenhang mit unseren Bauarbeiten stehen sollen, gehen wir diesen Hinweisen selbstverständlich nach und lassen dies von einem externen Sachverständigen begutachten“, verspricht Grönemeyer.
In Sachen Informationspolitik verweist sie auf eine regelmäßige Sprechstunde in der Notkestraße 79a (Baucontainer) – jeden ersten Dienstag im Monat von 15 bis 18 Uhr. Zudem verweist sie auf eine Internetseite und eine Servicenummer (040-6396 34 48). Die Nummer kennt Werner schon. Dort ruft sie an, wenn sie es gar nicht mehr aushält, und dabei wirkt die 63-Jährige im Gespräch wie ein Mensch, der viel aushalten kann.