Hamburg. Im Dezember soll Notstandort in Industriehalle für bis zu 800 Menschen öffnen. Doch Sozialbehörde braucht weit mehr Plätze. Die Pläne.
- Stadt plant Notstandort für 650 Flüchtlinge in Bahrenfeld mit Ausbaureserve von 150 Plätzen.
- Anwohner kritisieren späte Information über geplante Unterkunft für Flüchtlinge.
- Sozialbehörde geht davon aus, dass große Unterkunft nicht ausreicht und plant mehr.
Die Zahlen sprechen für sich. 1000 Menschen kommen derzeit pro Monat nach Hamburg, die hier Asyl oder Schutz suchen. 1000 Geflüchtete, die ein Dach über dem Kopf brauchen und damit einen Platz in einer städtischen Unterkunft. „Das entspricht in etwa der Kapazität von drei mittleren Standorten“, erklärte Thomas Melchert, Leiter der Hamburger Stabstelle Flüchtlinge. 97,2 Prozent aller Hamburger Plätze seien belegt. Das entspreche einer Vollauslastung. Und deshalb sucht man händeringend neue Standorte – wie in Bahrenfeld.
Es ist Dienstagabend. In der Aula der Max-Brauer-Schule haben sich rund 200 Interessierte versammelt. Der Bezirk Altona hat für die Sozialbehörde zur Veranstaltung geladen, um über die neue Unterkunft in Bahrenfeld zu informieren. Wie berichtet, plant die Stadt, eine Notunterkunft für 650 Personen in den leeren Selgros-Hallen zu errichten. Im Dezember soll es bereits losgehen. Die Eile, die Unterkunft, der Standort: Das passte so einigen Anwesenden nicht.
Flüchtlinge Hamburg: Notunterkunft in Bahrenfeld – Standard „unterdurchschnittlich“
Vor allem zu Beginn der gut besuchten Veranstaltung war die Stimmung sehr gereizt. Anwohner aus der Nachbarschaft kritisierten, dass es keine Diskussion um das Ob geben würde, sondern lediglich eine Information über das Wie. Die vollendeten Tatsachen, die die Stadt schafft – beziehungsweise schaffen muss –, verlangt viel ab. Viel Verständnis und Entgegenkommen derer, die hier bereits leben. Es verlangt aber auch denen einiges ab, die in der Notunterkunft untergebracht werden. Denn der Standard ist unterdurchschnittlich, wie die Sozialbehörde selbst in einem Schreiben erklärt hat.
Die bis zu 650 Geflüchteten werden in Kompartiments leben. Das Wort klingt schöner, als die Realität ist. Denn dabei handelt es sich um lediglich mit Leichtbauwänden voneinander abgetrennte Bereiche innerhalb der Industriehalle. Dabei gehen die Leichtbauwände nicht bis zur Decke und sind mehr Sicht- als Lärmschutz.
Für Familien sind Bereiche für sechs bis acht Personen vorgesehen. Für allein reisende Männer sind Kompartiments von acht bis zwölf Personen geplant. „Wenn möglich sollen keine allein reisende Frauen und Säuglinge unter sechs Monaten hier untergebracht werden“, erklärte Melchert.
Bahrenfeld: Kinder aus Notunterkunft werden teils in der Halle unterrichtet
Die Stadt rechnet mit etwa 100 Schülern im Alter von sechs bis 15 Jahren. 40 davon werden voraussichtlich im Grundschulalter sein und direkt vor Ort im Obergeschoss der Halle unterrichtet. Die älteren Kinder werden auf Hamburger Schulen verteilt.
Die Sozialbehörde geht von noch einmal 97 Kindern unter fünf Jahren aus, die in der Notunterkunft untergebracht werden. Auch sie sollen vor Ort betreut werden. „Das ist eine extreme Belastung für die jüngsten Bewohner, die wir so gering wie möglich halten wollen“, sagte Hanny Lorzenz als Behördenvertreterin.
Zudem sind ein Kantinenbetrieb zur Versorgung der Geflüchteten sowie ein Ordnungs- und Sicherheitsdienst vorgesehen. Betrieben werden soll die große Unterkunft, die bei Bedarf und in Absprache mit dem Bezirk Altona um zusätzliche 150 Plätze aufgestockt werden könnte, von einem externen Betreiber. Die europaweite Ausschreibung dazu laufe, so die Vertreter der Sozialbehörde. Am 3. Dezember soll die Notunterkunft schon so weit hergerichtet sein, dass sich Interessierte ab 18 Uhr auch vor Ort einen Eindruck verschaffen können.
Flüchtlinge Hamburg: Mietvertrag für Halle läuft ein Jahr, Verlängerung erhofft
Im Vergleich zur Veranstaltung am selben Abend in Eimsbüttel, wo die AfD im Vorfelde getrommelt hatte und die Polizei mit einem größeren Aufgebot vor Ort war, blieb die Stimmung in der Bahrenfelder Schulaula deutlich unterkühlter – in alle Richtungen. Es gab kaum Nachfragen, wie man sich engagieren könne, oder lautstarke Befürworter. Aber es gab auch keine Anfeindungen, Zwischenrufe oder Entgleisungen. Möglicherweise hat es mit der zeitlichen Begrenzung zu tun.
Denn der Notstandort soll bis zur vorgesehenen Wohnbebauung auf dem Gelände an der Tasköprüstraße laufen. Petra Lotzkat, Staatsrätin der Sozialbehörde, erklärte dazu: „Wir haben den Mietvertrag für ein Jahr geschlossen.“ Solange brauche der Bezirk voraussichtlich, um die Fläche in Zusammenarbeit mit dem Eigentümer zu entwickeln, der hier 400 neue Wohnungen und eine Unternehmensansiedlung plant. „Wohnungsbau wird nicht behindert. Der geht vor“, so Lotzkat.
Wenn die nötige Änderung des Bebauungsplans sich aber verzögere, würde man eine Verlängerung um einen weiteren Winter als Option gern nutzen. „Besonders der Winter macht uns große Sorgen“, so Lotzkat. Denn man wisse nicht, wie viele Menschen vor der Kälte aus der durch den Krieg zerstörten Ukraine flüchten würden.
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Flüchtlinge Hamburg: Behörde plant, Messehallen notfalls wieder zu nutzen
In der Sozialbehörde rechnet man offenbar damit, dass auch der Notstandort in Bahrenfeld trotz seiner Größe bei Weitem nicht ausreicht. „Daher bereiten wir uns darauf vor, die Messehallen auch in diesem Jahr als Notstandort wieder zu nutzen“, so Lotzkat. In den vergangenen beiden Wintern wurden hier bereits Hunderte Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht.
Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) appellierte an die Anwesenden, die Ankommenden mit „Würde und Anstand willkommen zu heißen“. Und sie erinnerte zudem an die besondere Bedeutung des Orts. Denn sowohl die Benennung der Straße als auch ein Gedenkstein erinnern an den durch die NSU ermordeten Bahrenfelder Süleyman Tasköprü. Der Gemüsehändler mit türkischen Wurzeln starb durch drei Kopfschüsse. Er war das dritte von zehn Mordopfern, einer Serie rechter Gewalt, die erst spät aufgedeckt wurde und bis heute viele Fragen offenlässt.