Hamburg. Seit zehn Jahren versorgt Julia Radojkovic Bedürftige. Früher aus ihrem Bully, heute auch fest vor Ort. Die Not wird immer größer.
Auf St. Pauli erkennt beinahe jeder „Bully-Julia“ auf der Straße. „Wenn sie Sorgen und Kummer haben, dann kommen sie zu mir“, sagt die Hamburgerin. Seit fast zehn Jahren leitet die 59-Jährige die Geschäfte des Vereins „Bullysuppenküche“, eine Hilfsinitiative für Obdachlose, über die in der Stadt derzeit viel diskutiert wird.
Gegründet hat Julia Radojkovic sie vor zehn Jahren ganz nach dem Motto: „Besser drauf mit warmem Essen im Bauch.“ Mittlerweile ist die Suppenküche aber nicht mehr nur im Bully unterwegs, sondern hat ihr ganz eigenes Plätzchen gefunden, die „Bullyecke“ auf dem Hein-Köllisch-Platz im Stadtteil Altona-Altstadt.
Hamburg-Altona: Suppenküche ist neuer Treffpunkt für Obdachlose
Damit zog die Küche aus dem namensgebenden Bully-Bus heraus und in feste Räumlichkeiten hinein, die sich im Besitz des Wohnungsunternehmens Saga befinden. Früher befand sich hier, am Hein-Köllisch-Platz 6, das Kiez-Restaurant Abendmahl. Doch seit der Schließung der Gaststätte im Jahr 2018 standen die Räume leer.
Im Laufe der Jahre habe man die Örtlichkeit verrotten lassen, sagt Radojkovic. Um die Suppenküche hier unterzubringen, hat man sie umgebaut und die Räume renovieren lassen. Jetzt finden Besucher hier eine gemütliche Gaststätte vor. Die Innenräume sind lichtdurchflutet, Topfpflanzen sorgen für etwas Grün, es gibt Sessel und mehrere Kamine. Draußen hängt eine cremefarbene Markise, unter der Lebensmittel verteilt werden.
Die Atmosphäre ist Radojkovic wichtig: „Wir wollen ja keine Behörde sein“, sagt sie. Sie setze auf „Gastfreundschaft und einen großen Tisch, an dem sich man trifft“.
Obdachlose Hamburg: Bullysuppenküche ist ihr „Lebenswerk“
„Das ist mein Lebenswerk“, sagt Radojkovic stolz, während sie hinter dem Tresen Kaffee für ihre Mitarbeiter aufbrüht. Es ist Donnerstag, einer der Tage, an dem sich Bedürftige an der Bullyecke eine warme Mahlzeit abholen können.
Die Geschichte der Bullysuppenküche beginnt im Jahr 2014. Damals hat die Kroatin begonnen, mit ihrer geliebten „Bullylady“, einem VW-T3-Camper, durch Hamburg-Mitte zu fahren, um Obdachlose mit warmen Essen zu versorgen. Nach vielen Jahren in der Familienarbeit habe sie sich erschöpft gefühlt und wollte ihre Zeit in etwas anderes investieren, erzählt sie.
Auf die Idee mit der Bullysuppenküche kam sie aus eigener Betroffenheit. Denn als alleinerziehende Mutter habe sie schon selbst Erfahrungen mit Armut machen müssen. „Ich war raus aus dem Arbeitsmarkt“, erinnert sich Radojkovic an die harten Zeiten.
Am Rande des Hamburger Hauptbahnhofs habe sie beobachtet, dass immer mehr Menschen auf der Straße leben. Das war der Moment, in dem sie entschied, sich zu engagieren. Denn: „Ein satter Mensch ist immer ein zufriedenerer Mensch als ein hungriger“, sagt sie. Derzeit schuftet die Hamburgerin bis zu 70 Stunden in der Woche, um die Obdachlosen zu versorgen.
Obdachlose Hamburg: Bullysuppenküche ist auf Spenden der Tafel angewiesen
Zu Beginn waren es um die 70 Obdachlose, die Radojkovic und ihre 42 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer hier regelmäßig versorgt haben – doch die Zahl steigt. Auch bei den weiterhin stattfindenden mobilen Essensverteilungen – alle zwei Wochen sonntags am ZOB und zwischendurch nach Bedarf zwischen Altona und dem Bezirk Mitte – kämen immer mehr Bedürftige.
Doch es besuchen längst nicht ausschließlich Obdachlose die Bullyecke. Auch Familien stellen sich an oder Rentner. Gerade Menschen der älteren Generation hätten oft Scham, Hilfe bei Ämtern zu suchen, erzählt Radojkovic. Auch wenn die Zielgruppe in erster Linie Obdachlose sind, bekommt hier jeder Bedürftige Hilfe. „Wir sind besorgt über die Armut, die Frauen, Familien, Rentner und somit auch Kinder betrifft.“
Neben warmen Mahlzeiten gibt es für die Menschen auch Lebensmittel, Schlafsäcke, Kleidung oder Hygieneartikel. Auch auf soziale Beratungen, Gesprächsrunden für Geflüchtete sowie auf ärztliche Unterstützung können Radojkovics Gäste zählen.
Hamburger Hilfsinitiative: „Von der Stadt kriegen wir keinen Cent“
Die Bullysuppenküche e. V. gehört zum Teil eines breiten Netzwerks von Hilfsorganisationen in Hamburg. Radojkovic arbeitet eng mit anderen Einrichtungen wie der Hamburger Tafel und Hanseatic Help zusammen. „Die Hamburger Tafel ist zentral wichtig für unsere Lebensmittelspenden“, sagt sie. Sachspenden werden zudem immer gebraucht und können während der Öffnungszeiten abgegeben werden (siehe unten).
Denn die Bullysuppenküche finanziert sich ausschließlich über Spenden, weshalb die Finanzierung immer Thema ist. „Von der Stadt Hamburg kriegen wir keinen Cent“, sagt Radojkovic. Betrieben werde der Verein allein von Menschen, die freiwillig Zeit und Geld für den guten Zweck geben.
Darunter finden sich Menschen aller Altersgruppen, derzeit von 21 bis zu 95 Jahren. Viele davon seien „Menschen, die nach der Arbeit oder neben dem Studium hier helfen“, sagt die Betreiberin. Daraus ist so etwas wie eine große Familie erwachsen: „Wir lieben und wir streiten uns auch mal“, so Radojkovic.
Nicht nur Obdachlose kommen – auch Familien und Rentner
Auch an diesem Donnerstag dauert es nicht lange, bis sich unter der Markise eine Schlange Hungriger bildet. Darauf sind Radojkovic und ihr Team aber gut vorbereitet. Manchmal kämen die Leute schon zwei Stunden vor der Ausgabe, um den besten Platz zu ergattern. „Wir versuchen aber, alles möglichst gleichmäßig zu verteilen.“
- Wieder Einbruch bei Tafel – diesmal knacken Täter den Tresor
- Hamburger Hauptbahnhof- Drei Wege aus dem Elend?
- José, 56, abhängig- „Das Drob Inn ist mein zweites Zuhause“
Obdachlose Hamburg: Bullysuppenküche hat festen Standort auf dem Kiez
Die Vorbehalte vieler gegenüber Obdachlosen stimmten selten mit der Realität überein, deshalb führen „menschliche Begegnungen oft zu Problemlösungen“, sagt Radojkovic. Sie will durch den Kontakt miteinander den Abstand zwischen den Menschen verringern, Vorurteile abbauen und neue Einsichten wecken, um so für mehr Akzeptanz zu sorgen.
Vor einiger Zeit habe der Verein mit einer Schule kooperiert. Die Schülerinnen und Schüler übernahmen dabei die Essensausgabe in der Bullyecke. „Sie waren sehr überrascht, wie nett das hier ist, wir hatten sehr positive Rückmeldungen“, sagt Radojkovic.
Allein der Kontakt mit den Bedürftigen führe dazu, „dass all die Kinder, die ihren Familien zu Hause von der Bullyküche erzählen, ihr Verhalten verändern, wenn sie das nächste Mal einen Obdachlosen auf der Straße treffen“.
Ausgaben-Termine der Bully-Ecke:
Montags, 16–19, Uhr Wasch- und Duschzeit + Versorgung durch eine Krankenschwester
Dienstags, 18.30–20.30 Uhr, Kaffee, Getränke, Gebäck und warmes Essen + Kleiderausgabe
Donnerstags, 10.30–13.30, offene Sprechstunde für soziale Beratung, 17–18.30 Uhr Kaffee, Getränke und Kuchen, ab 18.30 Uhr warmes Essen, 18.30–20 Uhr Lebensmittelausgabe
Jeden letzten Donnerstag im Monat, 16–18 Uhr, medizinische Beratung für Frauen
Sonntags, 17–21 Uhr Kaffee, Kuchen, Getränke, warmes Essen + Kleiderausgabe