Hamburg. Die Lage um das Drob Inn bleibt angespannt. Es gibt neue Ideen zur Problemlösung – und prominente Kritik an der Deutschen Bahn.

Die angespannte Situation rund um den Hamburger Hauptbahnhof und die Drogenhilfe-Einrichtung Drob Inn hat zu neuen Ideen und Initiativen geführt. Auch die Leiterin des angrenzenden Museums für Kunst und Gewerbe, Tulga Beyerle, hat sich in die Debatte eingeschaltet. Bei einer Diskussionsveranstaltung auf Kampnagel erklärte sie, die Lage sei seit der Corona-Pandemie „intensiver“ geworden. Der Hamburger Hauptbahnhof und seine Umgebung signalisierten den rund 550.000 Menschen, die ihn täglich nutzen: „Bleib nicht hier, lauf weg!“

Sie frage sich, wie man den Hauptbahnhof und die angrenzenden Flächen zu einem lebendigen Ort machen könne, der zum Flanieren, zum Verweilen einlade. Dabei blendet sie nicht etwa die Situation um die vielen Wohnungs- oder Obdachlosen aus, die im Umfeld leben. Nach Angaben des Drob Inn (das Abendblatt berichtete) sind drei von vier der dort Betreuten ohne feste Unterkunft.

Beyerle sprach sich für das Konzept von „Housing first“ aus. Es meint, dass für Betroffene zunächst ein festes Dach über dem Kopf entscheidend ist und alle weiteren Problemlösungen danach angegangen werden sollten. Beyerle sagte: „Housing first, dann Entzug, dann Reintegration in die Gesellschaft – das dauert.“

Hamburg Hauptbahnhof: Wie viele Obdachlose und Drogenabhängige gibt es?

Ihr Museum hat mit der Ausstellung „Who’s next?“ die Obdachlosigkeit vor dem Hintergrund von Architektur und Stadtentwicklung thematisiert. Bundesbauministerin Klara Geywitz hatte nicht nur die Schirmherrschaft übernommen, sondern war auch vor Ort, ebenso Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (beide SPD). Nicht im Museum gesehen wurden nach Beyerles Worten: Vertreter der Sozialbehörde. „Wie kann man einfach, aber gut für Bedürftige Unterkünfte bauen, ohne dass das gleich ein Containerdorf ist?“, fragte Beyerle. Sie sei erschrocken, wie viele Menschen in Hamburg auf der Straße lebten.

Doch wie viele sind es überhaupt? Und wie ist ihr Hintergrund, wie ist diese Gruppe zusammengesetzt? Ulrich Hermannes ist der Geschäftsführer der Hoffnungsorte Hamburg, zu denen die Bahnhofsmission, das Herz As und weitere Einrichtungen gehören. Er sagte, es müsste mal „der politische Wille und auch die Mittel“ da sein, um diese Daten zu erheben – und zu erfragen, welche Bedarfe die Menschen rund um den Hauptbahnhof hätten. Vor Corona habe man gerechnet, dass auf Hamburgs Straßen rund 2000 Menschen lebten, saisonal schwankend, einige Hundert als häufige oder Dauergäste der Unterkünfte.

Bahnhofsmission Hamburg: „Die meisten ohne Anspruch auf Sozialleistungen“

Auch in einigen Stadtteilen gebe es „Hotspots“ von Obdachlosen. „Am Drob Inn sehen wir 300 oder 500 Individuen, jeder dieser Menschen ist in einer prekären Lebenslage.“ Das seien geschätzt zu 80 Prozent Männer. Im neuen Notpflegeangebot der Bahnhofsmission, die vor einigen Monaten ihre neuen Räume am Hauptbahnhof gegenüber der Kunsthalle bezogen hat, sei das anders: Das Männer-Frauen-Verhältnis sei 50:50. „Die meisten von ihnen haben keinen Anspruch auf eine Sozialleistung.“

Ihm ist offenbar an einer Umsetzung der „Housing first“-Idee gelegen. Er sagte: „80 Prozent unserer Besucher würden eine mehr oder minder stabile Lebensführung hinbekommen, wenn sie eine Wohnung hätten.“

Die Sozialbehörde und Bezirksamtsleiter Ralf Neugebauer verwiesen zuletzt darauf, dass die neue Tagesstätte in der Spaldingstraße die Lage etwas entspannt habe. Sie soll bis Ende 2023 geöffnet bleiben, möglicherweise sogar darüber hinaus. Diese Einrichtung hob auch Bezirkspolitiker Oliver Sträter (SPD) hervor, selbst Anwohner in St. Georg. Die Lage um den Hansaplatz habe sich im Vergleich zu früheren Jahren verbessert, aber: „Andere Bereiche sind deutlich schlimmer geworden.“

Hauptbahnhof Hamburg: Ein zweites Drob Inn?

Sträter ging nicht auf den seit Monaten kursierenden Plan ein, ein zweites Drob Inn im Umfeld zu schaffen. Darüber gehen die Meinungen auseinander. Denn es müsste in der Nähe des „Originals“ sein, um keinen „Treck des Elends“ durch die Stadt oder „Dealer-Tourismus“ zu produzieren, wie von Experten befürchtet wird. Denn rund um das Drob Inn wird selbstverständlich mit Drogen gehandelt. Sträter brachte allerdings die Idee ins Spiel, die Kirchenallee vor dem Hauptbahnhof für den allgemeinen Straßenverkehr zu sperren und mehr Grün zuzulassen.

Möglicherweise wäre das auch im Sinne von Museumsdirektorin Beyerle und ihren Vorstellungen zur Verbesserung der sogenannten „Aufenthaltsqualität“. Somit kristallisieren sich drei Wege in Richtung einer Problemlinderung am Hauptbahnhof heraus: Wohnungen für Bedürftige, das Umfeld für alle attraktiver gestalten – und die Bahn zu einem Umdenken bewegen.

Deutsche Bahn mit Mega-Projekten am Hamburger Hauptbahnhof

Denn der staatliche Mobilitätskonzern will an seinem deutschen Hotspot in den kommenden Jahren mehrere – zumindest heftig diskutierte – Projekte umsetzen. Ein Verbindungsbahnentlastungstunnel soll gebaut werden, das Bahnhofsgebäude erweitert. Beyerle kritisierte die Bahn-Pläne und die Modelle für eine Ausdehnung nach Süden harsch. Sie sagte, man habe die Menschen rund um den Bahnhof dabei völlig vergessen und schloss dabei ausdrücklich Anwohner und Randgruppen ein. „Der Plan, da Shopping und Büros anzubauen, ist keine Inklusivität. Selbst wir als riesiges Museum stehen da im Schatten eines Bürogebäudes.“