Genua. Nicolas Lunven ist der Navigator an Bord. Sein geschickter Schachzug brachte das Team in Führung. Was sein größter Traum ist.
Er ist der Denker an Bord der „Malizia – Seaexplorer“:Nicolas Lunven ist der Navigator und Wetterexperte im Team von Boris Herrmann. Und ein ausgesprochen guter, wie er gerade auf der letzten Etappe des Ocean Race von Den Haag nach Genua wieder einmal bewiesen hat.
Ein geschickter Schachzug sorgte in der Nacht zum Dienstag dafür, dass sich die „Malizia – Seaexplorer“ vor die Yachten der Konkurrenten schieben konnte und sich die Führung bis zur Ziellinie nicht mehr abnehmen ließ.
Ocean Race: Boris Herrmann – Navigator setzte auf richtige Taktik
Lunven berichtet mit einem breiten Grinsen im Gesicht nach dem Einlaufen von der Taktik am Schluss des Rennens. „Der Wetterbericht für den letzten Tag war recht ungenau, das Wetter ziemlich unvorhersehbar“, sagt er. Gemeinsam mit Herrmann habe er am Abend Wache gehabt. Und die Idee entwickelt, nahe unter Land zu fahren, um dort eine Brise zu erwischen, die es ihnen ermöglichte, schneller als die anderen zu sein.
„Es war so eine Intuition, und natürlich war nicht klar, ob das auch wirklich so klappt“, so Lunven. Aber sie hätten sich angesehen und gesagt: „Lass es uns machen.“ Konkurrent Biotherm habe das Gleiche versucht, habe mit der Idee aber nicht so viel Glück gehabt wie die „Malizia – Seaexplorer“.
Nicolas Lunven ist der Taktiker an Bord der „Malizia – Seaexplorer“
Dies ist nur eines der Beispiele, die zeigen, welch wichtige Funktion Lunven an Bord hatte. Oft saß der eher zurückhaltende Franzose vor dem Laptop, um Winde und Wetterentwicklungen zu studieren – und dann die passende Taktik für die Route der Rennyacht vorzuschlagen. Still wirkt der sympathische Franzose, in sich gekehrt. Sehr fokussiert auf seine Aufgabe.
Er komplettierte das Team damit nicht nur mit seinem Wissen und seinen navigatorischen Fähigkeiten, auch seine ruhige unaufgeregte Art passte perfekt in die Crew – wie man in den vergangenen Monaten immer wieder beobachten konnte.
Der 40-Jährige ergänzte das Team um den Hamburger Extremsegler Boris Herrmann, die fröhliche Rosalin Kuiper, den engagierten Will Harris und den lustigen Onboard-Reporter Antoine Auriol perfekt. Mit seiner Wahl hat Herrmann einmal mehr bewiesen, wie gut sein Gespür für die Zusammensetzung einer Crew ist.
Boris Herrmann und Nicolas Lunven kennen sich bereits seit einigen Jahren
Herrmann und Lunven kennen sich bereits länger, wie sie verraten. Kein Wunder, schließlich ist der Bretone ein erfahrener Hochseesegler und in der Szene schon lange aktiv. „Wir haben uns vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den IMOCA-Rennen getroffen“, sagt Lunven.
Herrmann sei ein freundlicher, zugewandter Mensch, also hätten sie hier und da Kontakt gehabt. Dann, eines Tages, habe der Hamburger ihm von seiner neuen Rennyacht erzählt – und von dem Plan, mit der „Malizia – Seaexplorer“ am Ocean Race teilzunehmen. „Und als Boris mich dann fragte, ob ich mir vorstellen könne, dabei zu sein, habe ich sofort zugesagt.“
Lunven war schon auf Segelbooten, bevor er laufen konnte
Lunven ist ohne Frage der erfahrenste Segler in der Stammcrew. Aufgewachsen ist er in der Bretagne, dem Segelmekka der Franzosen. Bereits sein Vater war ein bekannter Hochseesegler, der 1973 am ersten Ocean Race teilnahm – das damals noch „The Whitbread Round the World Race“ hieß. Auch die berühmten französischen Figaro-Wettfahrten bestritt Lunvens Vater.
Der Bretone war also schon auf Segelbooten, bevor er richtig laufen konnte. Gemeinsam mit der Familie sei er viel gesegelt, berichtet Lunven. Als Kind und Jugendlicher habe er jede freie Minute auf dem elterlichen Schiff im Golf de Quiberon verbracht – oder auf den Yachten von Freunden.
Nicolas Lunven hat Betriebswirtschaft studiert
Lunven hat Betriebswirtschaft studiert. Doch schon während des Studiums begann er mit dem professionellen Segeln. Und stieg in die Figaro Szene ein, jene Klasse, in der die jungen, ambitionierten Hochseesegler Frankreichs durchstarten. Sie gilt unter anderem als Sprungbrett für die IMOCA-Klasse, zu deren Höhepunkt eine Teilnahme an der Vendée Globe gehört, der härtesten Einhandregatta der Welt.
Mit gerade einmal 26 Jahren konnte Lunven relativ überraschend die Solitaire de Figaro im Jahr 2009 gewinnen – und damit wesentlich bekanntere und erfahrenere Segler hinter sich lassen. Die gleiche Serie gewann er 2017 erneut und ist seitdem in der Riege der großen französischen Segler angekommen. Im selben Jahr wurde Lunven French Offshore Racing Champion, nachdem er eine Reihe weiterer Regatten für sich entscheiden konnte.
Bereits zweimal nahm Lunven am Ocean Race teil
Doch vermutlich mindestens genauso wichtig für seine Karriere – und für Herrmann – sind die zwei Teilnahmen am Ocean Race in den Jahren 2014/15 und 2017/18. Er wusste also als Einziger ganz genau, auf was er sich bei dem Abenteuer einließ.
Lunven kann beides, alleine segeln und im Team, sagt er. Das hat er auch immer wieder bewiesen. Gestartet sei er mit dem Segeln in Crews, später im Figaro habe er das Einhandsegeln schätzen gelernt. „Das Segeln im Figaro ist ein harter Kampf“, sagt Lunven. Und nicht selten ein Kampf gegen sich selbst. „Du bist da draußen allein. Und du weißt, wenn du jetzt schläfst, dann verlierst du wichtige Meilen.“
Lunven bezeichnet das Team Malizia als seine Familie
Der Bretone ist in den vergangenen Monaten zu einem festen und wichtigen Bestandteil im Team Malizia geworden. Bereits beim Bau der neuen „Malizia – Seaexplorer“ war er dabei, kennt das Schiff also so gut wie wenige andere. Für ihn sei das Team Malizia wie eine Familie geworden, berichtete der Franzose kurz vor dem Ende des Ocean Race. „Es ist ein großes Vergnügen, mit all diesen tollen Menschen zusammenarbeiten zu können.“
Nach dem Abschluss des Rennens ergänzt Lunven dann, dass er trotz der Freude über die gewonnene letzte Etappe auch sehr traurig sei, dass nun alles vorbei sei und man erst einmal auseinandergehe. Und fügt dann hinzu: „Ich würde Team Malizia gern in ,Family Malizia‘ umbenennen.“
Ein beinahe ungewöhnlicher Gefühlsausdruck für den zurückhaltenden Navigator, der aber auf den Punkt bringt, was viele im mehr als 40-köpfigen Team denken und fühlen. Die Gemeinschaft beim Ocean Race habe sich in vielerlei Hinsicht wie eine Familie angefühlt. Innerhalb der Crew an Bord, mit dem gesamten Team an Land – und sogar mit den Konkurrenzseglern sei man eng zusammengewachsen.
Ocean Race: Zwei Etappen pausierte der Franzose
Anders als Rosalin Kuiper, Will Harris und Antoine Auriol fühle er sich nach sechs Monaten Ocean Race noch erstaunlich fit, berichtet der freundliche Franzose weiter. „Das mag aber auch daran liegen, dass ich eine Auszeit hatte.“
Die fünfte und sechste Etappe hatte er pausiert – und viel Zeit mit seiner Frau und seinen drei Kindern verbracht. „Aber auch die beiden Stopover in Kapstadt und Brasilien waren besonders schön und haben es mir ermöglicht, mich wieder zu erholen.“
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Bleibt noch die Frage, wie es für Lunven nach dem Ocean Race weitergeht. Erst einmal werde er an der Transat Jacques Vabre teilnehmen. Die Transatlantikregatta, die zu zweit gesegelt wird, startet in diesem Herbst in Le Havre.
Der große Traum von Lunven ist eine Teilnahme an der Vendée Globe
Aber wie so viele andere Hochseesegler hat auch Lunven einen großen Traum: Die Teilnahme an der Vendée Globe. Bisher konnte er noch keine eigene Kampagne auf die Beine stellen. Aber Lunven ist noch verhältnismäßig jung – und hat Zeit.
Und solange er nicht selbst zu der berühmten Einhandregatta aufbricht, segelt er weiter mit namentlichen Hochseeseglern, sammelt Meilen und Erfahrung – es gibt vermutlich Schlimmeres im Leben eines professionellen Seglers.