Hamburg. Rosalin Kuiper ist die einzige Frau, die alle Etappen bestritten hat. Warum die sechste Etappe für sie ganz besonders ist.
Die Frau an Bord der Malizia – Seaexplorer von Boris Herrmann ist seit der ersten Etappe des Ocean Race Rosalin Kuiper. Damit hat die 28-Jährige derzeit den vermutlich härtesten Jobs im Hochseesegeln.
Doch die gebürtige Holländerin ist viel mehr als nur die Frau im Team des Hamburger Extremseglers, der mit seiner Familie in Ottensen lebt. Sie ist immer bereit alles zu geben, kennt keine Angst. Und sie ist ohne Frage diejenige, die für gute Stimmung innerhalb der Crew sorgt. Egal ob auf Fotos, Videos oder im Hafen, ob im knapp 30 Meter hohen Mast, auf dem stampfenden und nassen Vorschiff oder unter Deck – die 28-Jährige lacht eigentlich immer.
Ocean Race: Rosalin Kuiper – die Frau im Team von Boris Herrmann
Selbst als sie im Südpolarmeer aus ihrer Koje fällt, sich eine Platzwunde über dem Auge und eine Gehirnerschütterung zuzieht, verliert sie ihren Humor nicht. „Ich sehe jetzt aus wie Piratin Rosie“, sagt sie trocken kurz nach dem Unfall. Und lächelt tapfer in die Kamera, das Gesicht noch voller Blutspritzer.
Aufgeben ist für die junge Frau auch in einer solch unangenehmen Lage keine Option. Sie legt sich einige Tage in ihre Koje, versucht die Gehirnerschütterung so gut es geht bei den hohen Wellen auszuheilen – und packt schon nach kurzer Zeit wieder mit an. Schließlich will sie ihr Team nicht im Stich lassen. Die Schläge des Bootes seien „zwar ziemlich hart und hallen in meinem Kopf, aber ich werde wieder gesund. Die Jungs kümmern sich sehr gut um mich.“
Rosalin Kuiper ist die einzige Frau, die auf allen Etappen dabei war
Die Jungs, das sind vier Männer an Bord der Malizia – Seaexplorer. Zwei von ihnen, Co-Skipper Will Harris und Onboard-Reporter Antoine Auriol, haben genauso wie sie alle Etappen bestritten. Die anderen beiden haben hin und wieder gewechselt. So hat weder Boris Herrmann selbst alle Rennen des Ocean Race bestritten, noch Navigator Nicolas Lunven. Ersetzt werden beide von Yann Elliès, Christopher Pratt – und auf der sechsten Etappe erstmals von einer weiteren Frau, der Französin Axelle Pillain.
Rosalin Kuiper hat keine Probleme damit, wochenlang auf engstem Raum nur mit ihren Jungs zusammen zu sein. Ganz im Gegenteil, sie scheint es zu genießen. Nur zum Ende einer der ersten längeren Etappen verrät sie: „Jetzt freue ich mich wieder darauf, andere Menschen an Land zu sehen – und auch auf das ein oder andere Gespräch mit den Mädels.“
Die Mädels, das sind die Frauen aus dem Team von Herrmann, die an Land verschiedene Aufgaben haben. Ansonsten liebt sie ihre „Bubble“ an Bord, wie sie sagt. Und ist zumeist traurig, wenn sich die einzelnen Etappen dem Ende neigen.
Team Malizia: Rosalin Kuiper hat das Segeln in Holland gelernt
Die fröhliche Frau ist gebürtige Holländerin. Gelernt hat sie das Segeln als kleines Mädchen auf einem Optimisten auf einem See unweit ihrer Heimatstadt Zoetenmeer bei Den Haag. Schnell nahm sie an ersten Regatten teil. „Ich habe schon immer den Wettbewerb geliebt“, sagt sie dem Abendblatt kurz vor dem Start zum Ocean Race.
Doch als Teenager verlor Rosalin Kuiper das Segeln ein wenig aus den Augen. „Ich hatte irgendwie keine Zeit mehr.“ Hockey und Leichtathletik waren wichtiger.
In Australien entdeckt die 28-Jährige das Segeln wieder für sich
Erst in Australien, wo Rosalin Kuiper als 18-Jährige einige Zeit verbrachte, entdeckte sie die Leidenschaft für den Wassersport wieder. Und ist damit streng genommen beinahe ein Neuling in der Hochseesegel-Szene. „Ich habe in Australien unheimlich viel Zeit in den Häfen verbracht und mich in die Schiffe und das Wasser verliebt.“
Doch Rosalin Kuiper ist kein Mensch, der diese neu entdeckte Leidenschaft einfach so geschehen lässt. Nein, spontan heuerte sie noch Down Under auf einem Segelschiff, das in den Whitsunday Islands unterwegs war, als Deckshand an.
Rosalin Kuiper wurde in die Segelakademie aufgenommen
Seitdem hat sie das Segeln nicht mehr losgelassen. Zurück in Europa verfolgte Rosalin Kuiper gezielt den Traum, eine professionelle Segelkarriere zu beginnen. Und wurde in die Jugendakademie des ehemaligen Volvo-Ocean-Race-Skippers Roy Heiner aufgenommen. „Für mich war immer klar, dass ich Hochseesegeln machen möchte“, sagt sie. „Ich wollte nicht abends wieder in den Hafen einlaufen, ich wollte auf dem Meer auch über Nacht bleiben können.“ Der Traum von einer Teilnahme am Rennen einmal um die Welt, dem Ocean Race, nahm Gestalt an.
Die junge Frau nahm an verschiedenen großen Offshore-Regatten teil – wie dem legendäre Sydney-Hobart Rennen vor der Küste Australiens, dem Fastnet Race, dem Middle Sea Race und dem Caribbean 600. 2021 war sie dann sogar beim Ocean Race Europe dabei, als Trimmer auf der Volvo 65 AkzoNobel.
Ocean Race: Co-Skipper Will Harris hat Rosalin Kuiper ins Team gebracht
Hier lernte sie Will Harris kennen, der sofort erkannte: Die junge Frau passt zu uns, zum Team Malizia. Und Herrmann musste nicht lange überzeugt werden. Bis heute ist er glücklich, sie im Team zu haben. „Wir sind dankbar, dass Will erkannt hat, wie gut sie zu uns passt.“ Und nicht nur das – Herrmann ist überzeugt von ihren Qualitäten. „Sie ist furchtlos und tough“, sagt er. Sie sei trotz der Kürze der Zeit, die sie im Profisegeln aktiv sei, schon sehr erfahren.
Dazu habe sie wirklich immer gute Laune. „Und diese Kombination aus beidem ist sehr selten.“ Viele der sehr guten Seglerinnen würden oft ein wenig verschlossen wirken und eher grimmige Stimmung verbreiten, so sein Eindruck. „Und das ist bei ihr nicht so.“ Rosalin Kuiper sei sehr kommunikativ, immer gut drauf – und dann noch extrem engagiert. Sie sei einfach mit den perfekten Teamplayer-Eigenschaften ausgestattet.
Ocean Race: Rosalin Kuiper reparierte im Südpolarmeer den Mast
Dass sie für ihr Team alles gibt, das hat Rosalin Kuiper in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder bewiesen. Als auf der drittem Etappe der Mast im Südpolarmeer zu brechen drohte, war sie es, die als erste in die Höhe stieg, um den Riss zu begutachten. Gemeinsam mit Co-Skipper Harris beseitigte sie dann bei schwierigsten Bedingungen in fast 30 Metern Höhe den Schaden – und rettete das Team so vor dem Aufgeben – und dem drohenden Verlust des Mastes.
„Ich möchte im Team segeln und arbeiten“, sagt die studierte Psychologin, die sich in ihrer Abschlussarbeit – wie könnte es anders sein – mit der Organisation von Gruppen beschäftigt hat. „Mich fasziniert die Dynamik. Natürlich könne sie auch gut allein sein, „aber die Gruppe reizt mich mehr“. Sie sehe ihre Aufgabe beim Ocean Race unter anderem darin, immer wieder das Beste aus Herrmann und Harris rauszuholen. „Und ich glaube, es gibt gar nicht so viele Menschen, die das können“, sagt sie und lacht.
In den Niederlanden möchte Kuiper Familie und Freunde treffen
Das wird sie in der derzeit laufenden sechste Etappe ganz besonders tun. Denn schließlich endet diese in Den Haag, ihrer Heimatstadt. „Ich bin unheimlich aufgeregt, hier einzulaufen – und möchte natürlich auch an erster Stelle durchs Ziel gehen“, sagt sie kurz vor dem Start und lacht. Endlich könne sie ihren Freunden und ihrer Familie zeigen, was sie seit Jahren antreibe. „Und warum ich Hochzeiten, Beerdigungen oder Geburten von Babys verpasst habe.“
Denn Rosalin Kuiper lebt schlicht ihren großen Traum und könnte nicht glücklicher sein. „Ich habe seit Jahren dieses Ziel Ocean Race verfolgt und bin überzeugt, dass man seine Träume verwirklichen kann, wenn man nur ganz fest dran glaubt“, sagt sie. Ihrer sei ja bereits wahr geworden. Selbstvertrauen sei wichtig, immer wieder daran zu glauben, dass das, was man tue, das Richtige sei. „Ich bin unheimlich dankbar.“
Ocean Race: Boris Herrmann will Kuiper langfristig ans Team binden
Und was ist nach dem Ende des Ocean Race? Schließlich sind es nur noch wenige Wochen bis zum großen Finale in Genua. Klar ist, mit ihrer Art, ihrem Engagement und ihrer Furchtlosigkeit gehört sie schon jetzt zu den Entdeckungen des diesjährigen Ocean Race.
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Und so ist es nicht verwunderlich, dass Herrmann Rosalin Kuiper gern auch nach dem Ocean Race weiter zu seinem Team zählen möchte. „Sie weiter mit aufzubauen“, wie er sagt. „Um, wenn alles gut läuft, vielleicht das kommende Ocean Race wieder in dieser Crew-Konstellation zu segeln.“