Den Haag/Hamburg. Will Harris ersetzt den Hamburger, wenn er ausfällt. Am Donnerstag startet die letzte Etappe des Ocean Race – mit beiden Männern.

Er ist der wichtigste Mann für Boris Herrmann – zumindest an Bord. Auch wenn Will Harris das selbst so nie sagen würde. Denn für den Hamburger Extremsegler sind alle seine Crewmitglieder gleich wichtig – dennoch hat Will Harris auf der Malizia - Seaexplorer eine besondere Aufgabe übernommen.

Er vertritt Herrmann, wenn der nicht mitfahren kann, übernimmt die Rolle des Skippers und damit die Verantwortung für das Schiff und die Crew, für die an diesem Donnerstag die siebte und letzte Etappe des Ocean Race beginnt.

Diese Erfahrung hat der Brite ungeplant schon in der zweiten Etappe des Ocean Race von den Kapverden nach Kapstadt machen müssen, als Herrmann mit einer Verbrennung am Fuß ausfiel. Später, auf der vierten Etappe von Brasilien nach Newport in den USA, übernahm er erneut die Verantwortung – und fuhr sogar auf den zweiten Platz.

Ocean Race: Will Harris ist für Boris Herrmann der wichtigste Mann

Harris ist für seine 29 Jahre bereits ein erfahrener Segler. Schon früh hat er mit dem Sport begonnen. In der Nähe von London startete er seine Segel-Karriere, zunächst in Jollen. Zwischenzeitlich gehörte er dem British Sailing Team an. Als besonderen Moment beschreibt er die Teilnahme seiner Landsmännin Ellen MacArthur an der Vendée Globe 2001. Die kleine zierliche Frau segelte auf zweiten Platz, auf der ganzen Welt verfolgten die Menschen ihre Weltumsegelung.

„Das hat mich für viele Jahre geprägt“, so Harris. Elf Jahre sei er damals gewesen und habe sich auf seine Rettungsweste von seinem großen Vorbild ein Autogramm geben lassen.

Harris studierte in Southampton Ozeanografie, beschäftigte sich schon früh mit den Folgen des Klimawandels für die Meere. Hier kam er auch endgültig mit dem Hochseesegeln in Kontakt. Der junge Mann wurde in die Artemis Offshore Academy aufgenommen, in der talentierte Segler gefördert wurden. „Diese Verbindung von Abenteuer und Wettkampf auf See, das hat mich schon immer gepackt“, sagt er.

Ocean Race: Wie Boris Herrmann Will Harris glücklich machte

Nach dem Ende seines Studiums entschied Harris, auch beruflich sein Leben nach dem professionellen Segeln auszurichten. Er stieg in die ambitionierte Figaro-Szene ein, aus der schon viele bekannte Hochseesegler hervorgegangen sind. Mit Erfolg. 2016 konnte er den „Solitaire du Figaro“ gewinnen.

Doch die entscheidende Wende in seinem Segel-Leben war mit Sicherheit sein Einstieg ins Team Malizia. „Eines Tages habe ich von Boris eine E-Mail bekommen – mit der Anfrage, ob wir zusammen segeln wollen“, so Harris.

Glücklich gemacht habe ihn die Anfrage, aber auch wirklich erstaunt. „Denn es gab so viele Hunderte Segler mit viel mehr Erfahrung, als ich sie habe. Bis dahin hatte ich nicht einmal den Atlantik überquert.“ Natürlich habe er sofort zugesagt. „Ich bin bis heute dankbar, dabei sein zu können.“

Ein Journalist gab Boris Herrmann entscheidenden Tipp

Und Boris berichtet: „Ich habe einen Hinweis von einem britischen Journalisten bekommen, ich solle mir Will einmal genauer ansehen “ Der sei wie eine zehn Jahre jüngere Version von ihm selbst und „könnte gut zu mir passen“.

Dieses erste Aufeinandertreffen ist mittlerweile gut vier Jahre her. Harris gehört nun schon seit 2019 fest zum Team. Gemeinsam haben die beiden Segler Rennen wie das Fastnet Race 2019 und das Transat Jacques Vabre 2019 bestritten. Er unterstützte Herrmann außerdem bei der Planung für die Vendée Globe 2020/2021. Und erklärte den Interessierten an Land immer wieder in anschaulichen Videos Wetter und Route während der Wettfahrt einmal um die Welt.

Ocean Race: Will Harris ist an Bord Experte für die Elektronik

Auch an der Planung und Entwicklung der neuen Malizia – Seaexplorer war Harris maßgeblich beteiligt. „Er ist bei uns für die Elektronik zuständig“, sagt Herrmann. Für die Einbauplanung – also wo kommen die Batterien hin, wo welcher Bildschirm. Akribisch gehe er alle Aufgaben an, nehme alles ganz genau.

Harris ist heute eines der ältesten Teammitglieder von Herrmann – und vermutlich auch engsten. So stand es außer Frage, dass er auch zur Crew gehören würde, die das Ocean Race einmal um die Welt bestreitet. Herrmann entschied, dass er die Verantwortung für die Malizia – Seaexplorer übernehmen soll, sobald er nicht da ist. Harris hat das Vertrauen, das Herrmann in ihn setzt, nicht enttäuscht – ganz im Gegenteil. Mit großer Begeisterung engagiert sich der 29-Jährige für den Hamburger und das gesamte Team.

Zweimal stand der Brite bereits auf dem Foil für Reparaturen

Dabei scheut er übrigens auch keine Gefahr. Er war es, der Anfang Februar während der zweiten Etappe von den Kapverden nach Kapstadt nachts auf das Foil im Südatlantik stieg, gesichert von Leinen und gehalten von seinen Crewkollegen. Mühsam musste er in den großen Wellen ein Fischernetz losschneiden, das sich um den roten „Flügel“ der Malizia – Seaexplorer gewickelt hatte.

Etwa einen Monat später stand er erneut auf dem Foil. Dieses Mal auf der dritten Etappe zwischen Kapstadt und Itajaii mitten im rauen Südpolarmeer. Und dieses Mal war es ein Segel, das sich gelöst hatte und sich im Wasser um den „Flügel“ gewickelt war. Wieder war Harris derjenige, der gewissermaßen ins Wasser ging. Von Angst ist bei dem blonden Mann nichts zu spüren.

Ocean Race: Harris-Bilder mit schwarzem Gesicht gingen um die Welt

Als die Crew dann kurz darauf ein großes Loch im Mast entdeckte, verbrachte Harris viele Stunden oben in knapp 30 Metern Höhe. Er schliff die Stelle ab und bereitete alles für die Reparatur vor. Die Bilder des jungen Seglers mit einem schwarzen Gesicht von dem feinen Schleifstaub sind geradezu ikonisch.

Spuren harter Arbeit: Stundenlang schliff Will Harris im Südpolarmeer den Mast, damit er repariert werden konnte. Der Einsatz hinterließ Spuren.
Spuren harter Arbeit: Stundenlang schliff Will Harris im Südpolarmeer den Mast, damit er repariert werden konnte. Der Einsatz hinterließ Spuren. © Antoine Auriol - Team Malizia | Team Malizia

Gesund war die Aktion sicherlich nicht, aber irgendwie alternativlos. Schließlich drohte der 27 Meter hohe Mast komplett zu brechen. Im Südpolarmeer ohne Land in der Nähe wäre das für die gesamte Crew einer Katastrophe gleichgekommen. Ganz zu schweigen von den Folgen für das Rennen.

Will Harris und Rosalin Kuiper reparierten Mast in fast 30 Metern Höhe

So trugen Harris und Rosalin Kuiper anschließend stundenlang in großer Höhe vorbereitete Karbonplatten auf den Mast auf. Nach der geglückten Reparatur zeigten sich die fünf Crewmitglieder überglücklich. „Ich freue mich jetzt einfach nur auf eine Pause in meiner Koje“, sagte Harris sichtlich erschöpft. Das Lob für die gelungene Aktion gab er ganz im britischen Understatement an die Crew zurück. „Ohne deren perfekte Vorbereitung hier unten wäre das oben ja nicht möglich gewesen.“

Kurz vor der siebten und letzten Etappe in Den Haag sieht man Harris nun langsam die Erschöpfung der strapaziösen Regatta an. Er ist neben Rosalin Kuiper und Onboard-Reporter Antoine Auriol derjenige, der alle Etappen bestritten hat. „Die vergangenen Monate waren unfassbar intensiv und kraftraubend“, sagt er. „Wir haben eine extrem lange Reise hinter uns.“ Noch kurz vor dem Start zum Ocean Race in Alicante hatte das Team mit den defekten Foils gekämpft. „Es war nicht mal sicher, ob wir pünktlich starten können.“

Ocean Race: Auf letzter Etappe wollen die Segler noch mal alles geben

Dann die kräftezehrenden Tage und Wochen auf See. „Nun müssen wir uns noch einmal motivieren, auf der letzten Etappe nach Genua alles zu geben“, so der Brite. Der dritte Platz ist dem Team Malizia nicht mehr zu nehmen. Auf den ersten oder zweiten Platz zu fahren ist allerdings wiederum schwer. „Aber im Segeln ist irgendwie nichts unmöglich“, sagt Harris und lacht.

Und danach? Danach müsse er sich erst einmal eine ganze Weile von den Strapazen erholen, so der Profisegler. „Ich hätte nicht gedacht, was diese Monate mit meinem Körper alles machen würden.“ Er brauche nun erst einmal Urlaub, bevor er langsam wieder ins Training einsteigen könne. Und in die Planung der nächsten Regatten.

Will Harris Plant bereits die Regatten für den kommenden Herbst

Klar ist schon jetzt, Harris wird auch nach dem Ocean Race weiter für das Team Malizia arbeiten. „Bis zur Vendée Globe im kommenden Herbst werde ich mindestens dabei sein.“ Davor gebe es die eine oder andere Wettfahrt, an der er teilnehmen wolle.

Und schließlich müsse er auch noch an der Verwirklichung seines großen Traumes weiterarbeiten – der Teilnahme an der Vendée Globe 2028. Harris hat die härteste Einhandregatta einmal um die Welt schon seit längerem fest im Blick. „Das ist mein großes Ziel.“

Der große Traum von Will Harris ist die Vendée Globe 2028

Vor der Einsamkeit in den rund 80 Tagen auf See hat er keine Angst, auch wenn er die Arbeit im Team während des Ocean Race sehr genossen hat. „Hier waren wir ja eigentlich immer nur zu zweit in einer Wache. Da musste man schon während des Ocean Race quasi alles alleine an Bord machen“, so Harris.

Ein richtig gutes Team: Rosalin Kuiper, Will Harris (Mitte) und Boris Herrmann an Bord der Malizia - Seaexplorer.
Ein richtig gutes Team: Rosalin Kuiper, Will Harris (Mitte) und Boris Herrmann an Bord der Malizia - Seaexplorer. © © Antoine Auriol / Team Malizia | © Antoine Auriol / Team Malizia

Die kleine vierköpfige Crew sei es auch gewesen, die das Ocean Race so attraktiv für ihn gemacht habe. Und außerdem sei er da draußen ja sowieso nie allein. „Das Team trägt einen durch diese Wettfahrten. Ich bin fest überzeugt davon, dass ich mich nie wirklich allein fühlen werde.“

Aber müsste er für die Vendée Globe 2028 nicht das Team Malizia verlassen? „Nein, warum denn“, sagt Harris. „Warum sollte es nicht im Team Malizia zwei Segler geben, die an der Vendée teilnehmen? Eine Idee, die bereits im Team angekommen zu sein scheint. „Ich kann mir das sehr gut vorstellen“, sagt auch Boris Herrmann dem Abendblatt. „Dass Will eines Tages im Namen von Malizia für die Vendée Globe startet.“