Verfassungsschutzchef Manfred Murck analysiert die linke Szene rund um die Rote Flora. „Die Szene sollte auch kein Interesse daran haben, solche Taten zu tolerieren.“
Hamburg. „Die Größe, die Vehemenz, die da sichtbar wurde, die war in der Tat außergewöhnlich“ – mit diesen Worten bewertet der Hamburger Verfassungsschutzchef Manfred Murck die gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um die Rote Flora Ende Dezember. Doch von „neuen Formen der Gewalt“ könne nicht die Rede sein, schränkte Manfred Murck in einem Vortrag im Polizeipräsidium ein – obwohl mehr als 4700 gewaltbereite Linksextreme aus ganz Deutschland den Weg ins Schanzenviertel gefunden hatten.
Zu unterscheiden sei, wie sehr diese Gewaltformen in den unterschiedlichen Gruppen innerhalb des linksextremen Spektrums akzeptiert, sogar gewollt seien, sagt Murck weiter. Grundsätzlich bewege sich die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten seit Jahren auf ähnlichem Niveau – man spreche von rund 800 Straftaten bundesweit. „Es gibt Schwankungen, aber keinen Befund, dass die linksextremistische Gewalt massiv angestiegen ist. Die Polizei hatte es schon immer mit dieser Gewalt zu tun“, so Manfred Murck. Ähnlich sehe es bei der Zahl der gewaltorientierten Linksextremen aus. Bundesweit werden 7100 gezählt, in Hamburg sei mit 620 Personen knapp ein Zehntel der gewaltorientierten Linksradikalen erfasst.
Relativ neu sei jedoch das Aufkommen gewaltorientierter linksextremistischer Gruppen, die zuletzt in den 1980er-Jahren Auftrieb hatten: Sogenannte Anti-imperialistische Gruppen, die in den vergangenen Jahren wieder in Hamburg aktiv geworden seien. Zusammen mit den zahlenmäßig deutlich stärkeren Linksautonomen bilden sie die Gruppe der Linksextremisten. Den Anti-Imperialisten werden etwa 60 der insgesamt 620 Hamburger Linksextremisten zugeordnet. In ihrer Gewaltausrichtung und der Akzeptanz von Gewalt unterschieden sie sich spürbar von den Autonomen, so Manfred Murck.
Dies würde sich insbesondere in der Militanz-Debatte widerspiegeln, die bei den Autonomen – deren Zentrum die Rote Flora sei, und die mit der Ablehnung des Kapitalismus auf ein „herrschaftsfreies Leben“ zielten – eine große Rolle spiele. Mit ihr gebe es eine fortlaufende Diskussion über die Notwendigkeit und Rechtfertigung von Gewalt. Im Gegenzug dazu werde die Anwendung von Gewalt von den Anti-Imperialisten, denen insbesondere die Gruppen Rote Szene Hamburg (RSH) und Sozialistische Linke (SOL) zugerechnet werden, und die sich als „Advokaten der ausgebeuteten Dritten Welt“ betrachten, nicht infrage gestellt.
Nach der schweren Verletzung eines Polizisten der Davidwache am 28. Dezember hätten auch Vertreter der autonomen Szene betont, „dass direkte Angriffe auf Leib und Leben nicht zu rechtfertigen und nicht konsensfähig seien“, sagte Murck. Dazu gebe es im Internet eine anhaltende Diskussion. Denn Angriffe auf Polizisten würden aus autonomer Sicht zuweilen als gerechtfertigt betrachtet, aber nicht, wenn es um „Leib und Leben“ gehe.
Die Polizei werde zynischerweise als Sache – in der Szene „Team Green“ genannt – angesehen, der kein Schaden zugefügt werden könne, weil die Beamten aus Sicht der Szene so geschützt seien „wie Robocops“. Für die Anti-Imperialisten gehöre der Kampf gegen die Staatsmacht klar zum Weltbild und werde auch entsprechend vorbereitet. Sichtbar sei diese Haltung zu Gewalt im Lager der Autonomen insbesondere bei der Diskussion um den Verlauf der Schanzenfeste geworden, so der Verfassungsschutzchef. Als Reaktion darauf, dass die auf das Fest folgenden Auseinandersetzungen ab 2009 immer stärker von „unpolitischen, erlebnisorientierten Jugendlichen“ bestimmt worden waren, sei das Fest in diesem Jahr gar nicht mehr veranstaltet worden.
Gewalt ohne politische Diskussion sei nicht erwünscht, so Murck in seinem Vortrag. „Einfach nur Randale ist nicht akzeptiert.“ Die in den vergangenen Wochen auf bekannten linken Foren verbreiteten Gewaltfantasien und Angriffstaktiken, die brutale Angriffe auf Polizisten vorzeichneten, verordnet Manfred Murck deshalb auch eher im Lager der Anti-Imperialisten.
Murck betonte, „die gewaltorientierte linksextremistische Szene war und ist nicht homogen und als klar abgrenzbar zu verstehen“. Zudem gab und gebe es ein größeres Umfeld von Sympathisierenden. Studien aus den 1980er- und 1990er-Jahren hätten aufgezeigt, dass bis zu 20Prozent der Bevölkerung – und dabei ein überaus meinungsbildender Anteil – Verständnis für gewaltsame Aktionen der linken Szene hat, auch wenn diese Sympathisanten selbst keine Gewalt ausüben würden. Zudem herrsche mitunter auch die Ansicht vor, dass die Polizei „nicht immer unschuldig an einer Eskalation“ sei.
Angesichts dieser Erkenntnisse und der Tatsache, dass die „militante Herausforderung des Staates“ auch in Zukunft zum linksextremistischen Repertoire gehören werde, plädierte Murck dafür, dass sich die Polizei darauf sowohl „mental und einsatztaktisch“ einstellen müsse. Solche Konflikte sollten weder nach außen noch im Inneren, mit zusätzlichen Verhärtungen einhergehen. Auch Solidarisierungseffekte mit Gewaltbereiten sollten möglichst vermieden werden. Voraussetzung dafür sei insbesondere ein angemessenes Maß an Differenzierung.
Mit Blick auf Erkenntnisse über Kleingruppen, deren Aktionen sich an der Schwelle des Terrorismus bewegten, erklärte Manfred Murck: „Zumindest in weiten Teilen der autonomen Szene finden terroristische Gewalt und Strukturen keine Unterstützung.“ Und Murck betonte angesichts drohender Verhärtungen weiter: „Die Szene sollte auch kein Interesse daran haben, solche Taten zu tolerieren.“