Flora-Eigentümer Klausmartin Kretschmer und die Stadt interpretieren den Vertrag völlig unterschiedlich. Ein Experte beurteilt die verzwickte Lage. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Hamburg. Der Konflikt um die Rote Flora wird immer mehr zu einem Kampf um die Deutungshoheit über den Kaufvertrag von 2001. Nachdem der Eigentümer Klausmartin Kretschmer auf das Kaufangebot der Stadt über 1,1 Millionen Euro nicht eingegangen war und der Senat daraufhin angekündigt hatte, das besetzte Kulturzentrum am Schulterblatt nun mit juristischen Mitteln zurück in den Besitz der Stadt bringen zu wollen, ist Kretschmers Berater Gert Baer in die Offensive gegangen und hat die Haltung der Stadt Punkt für Punkt zurückgewiesen.

Doch was steht eigentlich in dem Vertrag, der den Verkauf des alten Theaters für 370.000 Mark (190.000 Euro) an Kretschmer regelte? Wer legt ihn wie aus? Und was sagt ein unabhängiger Experte dazu? Das Abendblatt dokumentiert die wichtigsten Punkte:

Muss die Besetzung des Gebäudes noch geduldet werden?

Im Vertrag steht: „Dem Käufer ist bekannt, dass das Grundstück vom Verein ,Flora e. V. Verein zur Förderung der Lebensfreude im Stadtteil’ als Stadtteilkulturzentrum auf der Basis einer Duldung genutzt und so übergeben wird.“ Und: „Das erweisliche Eigentum der Nutzer ist vom Verkauf ausgeschlossen.“ Baer sagt, dass Kretschmer diese Regelung zwölf Jahre lang akzeptiert habe. „Diese Duldung durch Herrn Kretschmer ist aber Ende 2013 schriftlich beendet worden, da eine Zusammenarbeit mit den linksextremistischen Besetzern nicht möglich war und aus dem Gebäude heraus in den letzten Jahren kriminelle Handlungen begangen worden sind.“ Da Kretschmer und ihm Hausverbot erteilt wurde und die Besetzer keine Zusammenarbeit mit dem Eigentümer wünschten, sei „die Basis für eine Duldung“ nicht mehr gegeben. Mit anderen Worten: Die Besetzer müssen das Gebäude räumen. Die Stadt fühlt sich hingegen an die Zusage gegenüber den Rot-Floristen gebunden und will ihnen das Gebäude weiterhin zur Verfügung stellen. Ob dieses dann in eine Stiftung eingebracht wird, ob mit oder ohne Vertrag, ist alles noch offen. Die Besetzer sagen, ihnen sei es egal, wem das Gebäude gehört.

Was sagt der Experte? Jörn Axel Kämmerer, Professor für öffentliches Recht an der Bucerius Law School: „Wenn die Umstände, die Herr Kretschmer beschreibt, zutreffen – was zu beurteilen ich mir nicht anmaßen will –, spricht manches für die Annahme, dass die Geschäftsgrundlage der Duldung entfallen ist. Ein Eigentümer muss sich nicht gefallen lassen, dass er einerseits von einem Nutzer praktisch Hausverbot erhält, ihm aber verwehrt ist, aus Nutzungen wenigstens die laufenden Kosten zu bestreiten.“

Darf der Besitzer die Flora umbauen oder einen Neubau errichten?

Im Vertrag steht unter 9.1: „Alle Um-, Aus- und Erweiterungsbauten sowie dekorative Herrichtungen bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verkäufers.“ Da diese Zustimmung der Stadt nicht vorliegt, ist eigentlich alles gesagt. Doch es folgen einige widersprüchliche Einschränkungen. Etwa: „Dem Käufer ist bekannt, dass eine über die derzeitige Bebauung des Grundstücks hinausgehende Bebauung zunächst ausgeschlossen ist…“ Aus dem Wort „zunächst“ schließen Kretschmer und Baer, dass inzwischen doch etwas möglich ist. Daher haben sie Anfragen an das Bezirksamt Altona über einen Neubau gestellt, inklusive Gastronomie und Einzelhandel.

Verwirrend wird es in Punkt 9.3: Sollte das Grundstück doch über das jetzige Maß hinaus bebaut werden, „ist der Käufer verpflichtet, an den Verkäufer einen Nachleistungsbetrag zu zahlen.“ Dieser bemesse sich aus der Differenz des aktuellen Verkehrswertes (540.000 Euro) zum dann neu geschaffenen, könnte also in die Millionen gehen. Baer leitet daraus das Recht von Kretschmer ab, dass er „das Grundstück bebauen und auch einer anderen Nutzung zuführen darf“, wenn er dafür nur einen entsprechenden Ausgleich zahle.

Die Stadt sieht es völlig anders. Kretschmer und Baer benötigten für bauliche Veränderungen die schriftliche Zustimmung der Stadt, so Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde. „Und diese Zustimmung werden sie keinesfalls bekommen. Insofern wird Herr Baer gar nicht in die Verlegenheit kommen, gegenüber der Stadt eine Nachzahlung leisten zu müssen.“ Diese Haltung teilt Professor Kämmerer im Prinzip: Der Vertrag regele ausdrücklich, was nicht erlaubt ist, und die Klausel 9.3 beschreibe, welche Folgen sich ergeben können, wenn das nicht beachtet werde. Folglich könne diese „nicht als ein Recht zu bauen verstanden werden“.

Hat die Stadt weiterhin ein Wiederkaufsrecht?

Im Vertrag wird der Stadt das Recht eingeräumt, die Flora für 190.000 Euro zurückzukaufen, wenn der Eigentümer gegen Bestimmungen des Vertrags verstößt. Dieses Recht war zusätzlich im Grundbuch eingetragen. Weil es dort nach zehn Jahren gelöscht wurde, sei ein Rückkauf „völlig ausgeschlossen“, argumentiert Baer. Aus Sicht der Stadt gilt der Rückkauf-Passus weiterhin. Das unterstützt Professor Kämmerer: „Der Grundbucheintrag ist gelöscht, aber nicht das Wiederkaufsrecht, das im Vertrag vereinbart wurde.“

Verhält sich Flora-Eigentümer Kretschmer vertragswidrig?

Das ist die kniffligste Frage. Da Kretschmer und Baer für sich ein Baurecht sehen, leiten sie daraus auch das Recht ab, Bauanfragen stellen zu dürfen. Die Stadt könne ihnen keinen Vertragsbruch vorwerfen. Diese Sichtweise teilt Professor Kämmerer: „Allein mit der Bauvoranfrage und einem möglichen Bauvorbescheid hat der Investor nicht gegen den Kaufvertrag verstoßen.“ Dafür müsse er mindestens eine Baugenehmigung beantragen oder halt die Bagger anrollen lassen.

Der Senat interpretiert hingegen die Vorstöße Kretschmers, die im Dezember zu einer Demonstration mit Hunderten Verletzten geführt hatten, als angekündigten Vertragsverstoß. Man werde nicht zusehen, wie ein Investor die Stadt „in Aufruhr versetzt“, hieß es. Dass Kretschmer das Kaufangebot abgelehnt und stattdessen einen Neubau angekündigt habe, zeige, dass er „sein vertragswidriges Verhalten fortsetzen“ wolle.

Wie könnte der anstehende Rechtsstreit ausgehen?

Das ist völlig offen. Professor Kämmerer beschreibt die verzwickte Lage so: „Beide Parteien, Kretschmer, aber auch die Stadt, haben sich schon beim Kauf einvernehmlich auf eine Situation eingelassen, die – Stichwort ,Duldung der Besetzung‘ – im Grunde außerhalb der Rechtsordnung stand.“ Da habe keine rechtliche Klärung, sondern eher eine Verbrämung stattgefunden. „Es erstaunt mich, dass beide Seiten nun ganz unbefangen meinen, dass das Recht ihnen bei der Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen wie selbstverständlich zur Seite stehen muss.“