Essen. Bei der Thyssenkrupp-Hauptversammlung regt sich Kritik an der 1,8 Millionen Euro schweren Antrittsprämie für Kurzzeit-Vorstand Schulte.
Die Zusage für ein 1,8 Millionen Euro schweres „Handgeld“ für Thyssenkrupp-Finanzvorstand Jens Schulte löst kritische Fragen von Investoren aus. Die zur Deutschen Bank gehörende Fondsgesellschaft DWS will die Antrittsprämie für den Manager, der Thyssenkrupp bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen will, zu einem Thema bei der Hauptversammlung machen. Auch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sieht die finanziellen Zusagen für den scheidenden Thyssenkrupp-Finanzchef kritisch.
Der Wunsch von Vorstandsmitglied Schulte, sein erst kürzlich angetretenes Mandat vorzeitig zu beenden, habe zu „großer Verwunderung“ geführt, sagte DWS-Manager Hendrik Schmidt unserer Redaktion. „Insbesondere die Antrittsprämie in Höhe von 1,8 Millionen Euro wirft große Fragen an den Aufsichtsrat auf“, betonte Schmidt.
Jens Schulte, der erst im Juni 2024 vom Spezialglas-Hersteller Schott zu Thyssenkrupp gewechselt war, hatte Ende vergangenen Jahres angekündigt, schon nach wenigen Monaten im Konzern wieder gehen und den Posten des Finanzchefs der Deutschen Börse übernehmen zu wollen. Damit verliert der angeschlagene Essener Stahl- und Industriegüterkonzern eine seiner wichtigsten Führungskräfte.
Auch Thyssenkrupp-Personalchef Oliver Burkhard gibt nach der Hauptversammlung seinen Posten im Konzernvorstand auf und konzentriert sich auf seine Aufgabe bei der Marine-Sparte. Bemerkenswert: Jens Schulte, der sich auf dem Absprung befindet, soll sich übergangsweise um die Personalthemen von Thyssenkrupp kümmern. Das Unternehmen, zu dem insgesamt fast 100.000 Beschäftigte gehören, plant den Abbau oder die Ausgliederung von rund 11.000 Arbeitsplätzen in der Stahlsparte. Im vergangenen Geschäftsjahr hat Thyssenkrupp einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro verbucht.
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm bedauert „raschen Abschied“
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm sagt bei der virtuellen Hauptversammlung laut vorab veröffentlichter Rede, er bedaure den „raschen Abschied“ von Jens Schulte, „auch wenn wir die berufliche Chance, die er für sich sieht, respektieren“. Wer neuer Finanzchef von Thyssenkrupp werde, entscheide der Aufsichtsrat „im Rahmen eines geregelten Prozesses“. Wann genau Schulte ausscheiden wird, ist noch offen.
Das vertragliche zugesicherte Handgeld für Schulte in Höhe von 1,8 Millionen Euro zum Amtsantritt verteidigte das Unternehmen schon Ende vergangenen Jahres auf Anfrage unserer Redaktion. „Ein sogenannter ,Sign-on-Bonus‘ ist bei Vorstandswechseln nicht ungewöhnlich und tritt dann ein, wenn neue Vorstände beim bisherigen Unternehmen höhere Bezüge in Anspruch nehmen durften beziehungsweise bei einem Wechsel auf Leistungen verzichten, die ihnen beim alten Arbeitgeber zugeflossen wären“, teilte Thyssenkrupp mit. Dies sei beim Wechsel von Schulte zu Thyssenkrupp der Fall gewesen. Im aktuellen Geschäftsbericht des Konzerns heißt es, die erste „von insgesamt drei Teilzahlungen zu je 600.000 Euro“ habe der Manager bereits erhalten.
Tüngler bezeichnet Handgeld als „unanständig“
Aktionärsschützer zeigten sich verärgert. „Dass Thyssenkrupp jetzt schon wieder einen neuen Finanzvorstand suchen muss, schadet dem Unternehmen“, sagte Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Mit Blick auf den Antritts-Bonus für den scheidenden Finanzchef fordert Tüngler Konsequenzen. „600.000 Euro als Handgeld einzustecken und dann kurz danach zum nächsten Arbeitgeber gehen zu wollen, ist unanständig“, urteilt er. „Das Handgeld muss der Aufsichtsrat zurückfordern – und zwar vollumfänglich. Die Grundlage für die Zahlung hat sich aufgelöst.“
Unter der Führung von Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López hatte es bereits etliche Wechsel auf Spitzenpositionen gegeben. López selbst erklärte unlängst, von den 150 Top-Managern im Konzern seien rund 40 Prozent nicht mehr da. Sämtliche Chefs der Konzernsparten – abgesehen von Marine-Chef Burkhard – sind während der Amtszeit von López ausgetauscht worden. „Wir stellen fest: Führungskräfte verlassen in Scharen das Unternehmen – teils unsanft hinausgedrängt, teils freiwillig, weil sie um ihren Ruf fürchten oder einfach genug haben von nicht nachvollziehbaren Entscheidungen und der neuen Führungskultur“, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp. „Diese Ausmaße werden für das Unternehmen langsam gefährlich.“ Das Unternehmen und seine Beschäftigten benötigten „Ruhe, Kontinuität und Konzentration auf die Lösung der großen Herausforderung“, betonte Kerner, nachdem der Weggang von Jens Schulte bekannt geworden war, und fügte hinzu: „Was sie bekommen, ist Führungschaos.“
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