Berlin. Volkswagen steckt in der Krise, neue Zölle belasten die Industrie. Ein führender Wirtschaftswissenschaftler sagt, was jetzt droht.
Die deutsche Wirtschaft steckt in der Flaute. Selbst bedeutende Autohersteller kämpfen mit Absatzproblemen, VW droht mit massivem Stellenabbau. Neue Zölle könnten zum Handelshemmnis für die Exportnation Deutschland werden. Wie steht es um die wirtschaftliche Zukunft? Ist der Welthandel in Gefahr? Droht Massenarbeitslosigkeit? Der renommierte Handels- und Arbeitsmarktforscher sowie Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Gabriel Felbermayr, gibt eine Einschätzung zur aktuellen Lage – und stellt überraschende Prognosen auf.
Die USA und EU bestrafen die Einfuhr von E-Autos aus China mit höheren Zöllen. Ist dies ein vernünftiger Schritt für den Welthandel?
Gabriel Felbermayr: Die USA hat Zölle in der Höhe von 100 Prozent verhängt und bricht dabei internationale Abmachungen. Die EU wendet hingegen internationales Handelsrecht an. Die EU-Zölle auf chinesische E-Autos sind keine Strafzölle, sondern Ausgleichszölle. Sie sollen illegitime Subventionen Chinas ausgleichen. Von Bestrafung kann also keine Rede sein. Wer das regelbasierte Welthandelssystem schützen will, muss auf Einhaltung der Vereinbarungen bestehen, gerade gegenüber großen Mächten wie China oder USA. Daher sind die Zölle der EU ok, jene der USA nicht. Am besten wäre es aber, wenn es die tatsächliche Verhängung von Zöllen gar nicht braucht, sondern unfaires Verhalten bereits im Vorfeld unterbleibt. Das erfordert eine glaubwürdige Drohkulisse, was wiederum bedeutet, dass manchmal auch Zölle zur Anwendung kommen müssen.
Wird die Globalisierung durch immer neue Handelsbeschränkungen zum Auslaufmodell?
Felbermayr: Die Globalisierung, so wie wir sie kannten, ist vorbei. Die eigentliche Ursache dafür ist die Rückkehr von geopolitischen Rivalitäten zwischen den beiden dominierenden Großmächten USA und China. Schon seit der großen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 strebt China eine geringere Abhängigkeit vom Westen an. Seit Präsident Obama ist auch die USA globalisierungsskeptischer. Es gab den Versuch, Bündnisse gegen China zu schmieden: mit Europa und mit den Pazifikanrainern. Ersteres scheiterte an Europa, zweiteres verwarf Präsident Trump als erste Amtshandlung. Er setzte auf höhere Zölle und fand viele Nachahmer in der ganzen Welt. Die Globalisierung findet weiter zwischen „befreundeten“ Staaten statt und dort, wo es keine Zölle gibt – im Dienstleistungshandel.
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Welche Folgen hat dies für Deutschland und Europa?
Felbermayr: Die deutsche Wirtschaft, besonders die Industrie, hat sich über Jahrzehnte sehr erfolgreich an die Bedingungen der Weltwirtschaft angepasst. Sie hat in Osteuropa und teilweise auch in China kostengünstige Zulieferer gefunden. Mit Technologieführerschaft und Spezialisierung hat sie lukrative Nischen erobert. Aber Spezialisierung funktioniert nicht mit hohen Zöllen oder anderen Beschränkungen. Insofern ist das deutsche Modell bedroht – den Niederlanden, Österreich, Norditalien, teilweise Skandinavien geht es ähnlich. Bedrohlicher als Zollbarrieren ist aber, wenn in immer mehr Branchen die Technologieführerschaft verloren geht, ohne dass in anderen Sektoren Ersatz entsteht.
Die Industrie schwächelt, VW steckt in einer tiefen Krise. Kriege erschüttern die Welt. Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Inwieweit werden sich diese Konflikte und Umwälzungen auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirken?
Felbermayr: Für den deutschen Arbeitsmarkt sind die Blockbildung in der Weltwirtschaft und die technologischen Umwälzungen ganz offensichtlich keine guten Nachrichten. Sie bedrohen vor allem die besonders wertvollen Industriejobs. Die Industrie war viele Jahrzehnte lang der Wachstumsmotor Deutschlands und hat mit seinen Produktivitätssteigerungen auch die Löhne in den anderen Sektoren mit nach oben gezogen. Wenn die Industrie schrumpft und das reale Wachstum in Deutschland zurückgeht, bleiben auch die Reallöhne zurück. Künstliche Intelligenz könnte Produktivitätsgewinne in den Dienstleistungssektor tragen. Das würde die Lohnentwicklung verbessern, hat aber eine Schattenseite: Je stärker die Produktivität anzieht, umso eher gehen Beschäftigungsverhältnisse verloren.
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Drohen Entlassungswellen oder sogar Massenarbeitslosigkeit?
Felbermayr: Wenn große Unternehmen, wie etwa VW, oder ganze Branchen, wie etwa die Autoindustrie, den Anschluss nicht mehr finden, dann werden sie schrumpfen müssen. Das kann auch abrupt passieren, in Form von Entlassungswellen, die in den besonders betroffenen Industrieregionen die Arbeitslosigkeit temporär in die Höhe treiben. Weil das Durchschnittsalter der Belegschaft in vielen Industriebetrieben relativ hoch ist, wird ein guter Teil der Anpassung aber durch Nichtnachbesetzen von Pensionierungen erfolgen können. Angst vor dauerhafter und deutschlandweiter Massenarbeitslosigkeit würde ich allerdings nicht haben – der demografische Wandel sorgt für ein knappes Arbeitsangebot. Vielmehr Sorgen mache ich mir um den allgemeinen Wohlstand und Lebensstandard, der auch bei Vollbeschäftigung stagnieren oder gar sinken kann.
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