Essen. West-Firmen sollen von DDR-Haftarbeit profitiert haben. Der Möbelriese will in den Härtefallfonds zahlen. Das erhöht den Druck auf Aldi

Sie mussten im Akkord Kameras montieren, Strumpfhosen nähen und unter menschenunwürdigen Bedingungen auf engstem Raum mit Gewalttätern leben: Politische Gefangene waren in der DDR dazu gezwungen, im Gefängnis zu arbeiten. Von der billigen Haftarbeit sollen auch westliche Handels- und Kaufhäuser profitiert haben.

Als erstes Unternehmen kündigt jetzt Ikea Deutschland an, Gelder für die Opfer bereitstellen zu wollen. Das weckt bei Opferverbänden die Hoffnung, dass der Druck auf Aldi Nord und Aldi Süd im Ruhrgebiet steigt. Denn auch gegen sie gibt es Vorwürfe, von der Zwangsarbeit profitiert zu haben.

Ikea Deutschland will sechs Millionen Euro in Härtefallfonds einzahlen

Ikea habe sich konsequent für die Aufklärung eingesetzt, wird Deutschland-Chef Walter Kadnar in einer Mitteilung vom Dienstag zitiert. „Wir bedauern zutiefst, dass auch Produkte für Ikea von politischen Häftlingen in der DDR produziert wurden“, so der Ikea-CEO. „Wir haben den Betroffenen unser Wort gegeben, uns an einer Unterstützung zu beteiligen.“ Diese Zusage löse man nun ein. 2012 war bekannt geworden, dass DDR-Zwangsarbeiter in den 70er- und 80er-Jahren Vorprodukte für Ikea hergestellt haben. Zu den bekanntesten Ikea-Produkten gehört das Billy-Regal.

Strumpfhosen aus DDR-Zwangsarbeit bei Aldi
Strumpfhosen der Marken „Sayonara“ und „Iris“ sollen im berüchtigten DDR-Frauengefängnis Hoheneck produziert worden sein. Opferverbände werfen Aldi Nord und Süd vor, diese Produkte verkauft zu haben. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Konkret hat sich die deutsche Ikea-Tochter mit einem Jahresumsatz von 6,4 Milliarden Euro (2023) jetzt dazu bereit erklärt, sechs Millionen Euro an einen geplanten Härtefallfonds einzahlen zu wollen. Der Fonds soll Opfer der SED-Diktatur, insbesondere politische Häftlinge, bei wirtschaftlichen Notlagen unterstützen. Der Deutsche Bundestag wird in den nächsten Wochen über die Einrichtung des Fonds entscheiden, er sollte zunächst mit einer Million Euro ausgestattet werden.

Opferverbände hoffen auf Nachahmer und nehmen Aldi ins Visier

Was die Insassen im DDR-Gefängnis erleben mussten, könne man nicht ungeschehen machen, sagte die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke am Dienstag. „Wir können ihnen aber heute mit Respekt begegnen und sie insbesondere in Notlagen unterstützen.“ Für diesen Weg habe sich Ikea entschieden. „Dafür bin ich ausgesprochen dankbar.“

Strumpfhosen aus DDR-Zwangsarbeit bei Aldi
 „Wir wünschen uns, dass weitere Firmen dem Vorbild Ikeas folgen“, sagt Dieter Dombowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Opferverbände sprechen von einem Meilenstein und hoffen auf Nachahmer: Die heutige Entscheidung sei wegweisend, sagte Dieter Dombrowski von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft und lobt Ikea für die Gesprächsbereitschaft in den zurückliegenden Jahren. „Wir wünschen uns, dass weitere Firmen dem Vorbild Ikeas folgen.“

Damit verwies Dombrowski auf die Discounter Aldi Nord mit Sitz in Essen und Aldi Süd in Mülheim, die laut einer Vorstudie der Humboldt-Universität ebenfalls von der DDR-Zwangsarbeit profitiert haben sollen. Sie sollen Strumpfhosen der Marken „Sayonara“ und „Iris“ verkauft haben, die in dem berüchtigten DDR-Frauenknast Hoheneck auch von politischen Gefangenen gefertigt worden sind.

Die Opferverbände hatten erst im Sommer vor der Firmenzentrale von Aldi Nord in Essen Gespräche mit den Unternehmen eingefordert. Diese betonen auch heute, dass sie „die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für die Produktion von Gütern einzusetzen“, zutiefst bedauern. Wegen des großen zeitlichen Abstands zu den Vorkommnissen sei es nicht möglich, weitere Erkenntnisse beizutragen, um bei der Aufklärung zu unterstützen.

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