Essen. Ein Stahl-Bündnis von Thyssenkrupp mit Tata aus Indien scheiterte. Mit dem Tschechen Kretinsky startet Thyssenkrupp einen neuen Anlauf.

Als der damalige Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger an einem sonnigen Tag im Juli 2018 mit Tata-Boss Natarajan Chandrasekaran durch den Brüsseler Leopoldpark spazierte, schien es, als habe der Essener Traditionskonzern nach langer Suche endlich einen Partner für sein anspruchsvolles Stahlgeschäft gefunden. Die Fusion sei „eine gute Nachricht“, schwärmte Hiesinger. Der Chef des indischen Großkonzerns Tata, der gemeinsame Sache mit dem Thyssenkrupp-Vorstand machen wollte, plauderte derweil locker über seinen jüngst zurückliegenden Besuch in der Essener Villa Hügel. Doch nur wenige Stunden danach warf Hiesinger bei Thyssenkrupp die Brocken hin – und einige Monate später scheiterte dann auch das geplante Stahlbündnis, zu dem rund 48.000 Beschäftigte und Werke in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden gehören sollten.

Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp hatten ohnehin gefremdelt mit der Fusionsidee. Letztlich war es dann ein Veto der europäischen Kommission, das die deutsch-indische Partnerschaft beendete. Die EU-Wettbewerbshüter wollten den Zusammenschluss nur unter Auflagen genehmigen. Doch das Thyssenkrupp-Management lehnte eine Trennung vom Dosenblech-Hersteller Rasselstein in Andernach ab. So blieben Hiesingers Pläne für einen neuen fusionierten Stahlriesen in Europa lediglich Wunschdenken.

Da schien es, als habe Thyssenkrupp einen geeigneten Partner für das Stahlgeschäft gefunden: Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran und der damalige Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger erläuterten Anfang Juli 2018 in Brüssel ihre Fusionspläne.
Da schien es, als habe Thyssenkrupp einen geeigneten Partner für das Stahlgeschäft gefunden: Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran und der damalige Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger erläuterten Anfang Juli 2018 in Brüssel ihre Fusionspläne. © Lars Heidrich / FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Dass ein Verbot der Stahlfusion in Ordnung ging, hat nun der Europäische Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg entschieden – mehr als fünf Jahre nach der Zeremonie von Thyssenkrupp und Tata in Brüssel. Damit endet ein langer Rechtsstreit. Schon im Juni 2022 hatte ein zuständiges Gericht eine Klage von Thyssenkrupp gegen das Veto der Kommission abgewiesen. Der EuGH bestätigte dies mit seiner aktuellen Entscheidung, wie der Revierkonzern auf Anfrage mitteilte.

Zwar ist das Thema Tata bei Thyssenkrupp längst abgehakt, doch das Essener Management nimmt derzeit einen neuen Anlauf für ein Stahl-Bündnis – und von diesen Plänen lässt sich der Vorstand auch durch die EuGH-Entscheidung nicht abbringen. Diesmal strebt der amtierende Thyssenkrupp-Chef Miguel López aber keine Fusion mit einem weiteren Stahlkonzern an, sondern hofft auf ein Gemeinschaftsunternehmen mit einer Firma des tschechischen Multi-Unternehmers Daniel Kretinsky, der unter anderem in der Energiebranche mitmischt.

Thyssenkrupp setze weiterhin auf „eine eigenständige Aufstellung“ von Thyssenkrupp Steel, betont das Management um López als Reaktion auf die EuGH-Entscheidung. Im Juli hat Thyssenkrupp bereits einen 20-Prozent-Anteil vom Stahlgeschäft an das Kretinsky-Energieunternehmen EP Corporate Group (EPCG) verkauft. Derzeit laufen Verhandlungen von Thyssenkrupp mit EPCG zu einem Verkauf von zusätzlichen 30 Prozent am Stahlgeschäft mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Werken unter anderem in Duisburg, Bochum, Dortmund sowie Südwestfalen. Das Ziel sei eine Gemeinschaftsfirma mit „gleichberechtigten“ Partnern, beteuert der Thyssenkrupp-Vorstand.

Thyssenkrupp-Chef Miguel López strebt für die Stahlsparte ein weitreichendes Bündnis mit dem tschechischen Unternehmen EPCG an.
Thyssenkrupp-Chef Miguel López strebt für die Stahlsparte ein weitreichendes Bündnis mit dem tschechischen Unternehmen EPCG an. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die weitere Reaktion von Thyssenkrupp auf die EuGH-Entscheidung klingt fast schon ein wenig trotzig. „Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass das Gericht die von uns vorgebrachten Klagegründe nicht hinreichend berücksichtigt hat“, so das Thyssenkrupp-Management. „Insbesondere der Beweismaßstab zur Klärung der Frage, ob der Zusammenschluss zu einer signifikanten Beeinträchtigung des Wettbewerbs geführt hätte, wurde aus unserer Sicht falsch angelegt und beurteilt. Angesichts der schwierigen Lage in der europäischen Stahlindustrie halten wir die von der Europäischen Kommission angesetzten Maßstäbe zur Beurteilung von Beeinträchtigungen eines wirksamen Wettbewerbs für nicht angemessen.“

Sollten sich Thyssenkrupp und EPCG einig werden, könnte bald schon erneut eine Prüfung der EU-Behörden anstehen – wenn auch unter anderen Vorzeichen.

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