Duisburg/Essen. IG Metall in großer Sorge um Thyssenkrupp. Vor Tor 1 in Duisburg steht nun eine Mahnwache. SPD in NRW ruft nach der Landesregierung.
Im Schatten der Duisburger Konzernzentrale von Thyssenkrupp Steel, direkt neben Tor 1, steht jetzt wieder eine Mahnwache – wie im Jahr 1997 bei der historischen Übernahmeschlacht von Krupp und Thyssen, als sich in der Belegschaft ebenfalls Angst um Arbeitsplätze verbreitete. „Eine Mahnwache – sowas macht man nicht bei jeder kleinen Krise“, sagt Olaf Vopel, der Vize-Betriebsratschef des Stahlstandorts Duisburg Hamborn/Beeckerwerth, während er vor dem Zelt steht, an dem sich Thyssenkrupp-Beschäftigte versammelt haben. Abwechselnd wollen Arbeitnehmervertreter in den kommenden Tagen von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr am Abend vor dem Werkstor ausharren, um ein Zeichen zu setzen. „Hier geht es um was“, sagt Vopel.
Auch die Führung der IG Metall zeigt sich tief besorgt um Thyssenkrupp. Wenige Stunden nachdem Vorstandschef Miguel López erneut seine Geschäftsprognose nach unten korrigiert hat, äußert sich Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschef des Konzerns, mit drastischen Worten. Unter López habe die Thyssenkrupp-Aktie rund 50 Prozent an Wert verloren. „Das ist dramatisch“, sagt Kerner unserer Redaktion. „Große Ankündigungen in Richtung Kapitalmarkt haben bei Thyssenkrupp Tradition, doch die Realität holt uns immer wieder ein. Das ist erschreckend.“ Kerner fügt hinzu: „Ich habe von der Senkung der Prognose aus den Medien erfahren.“
Kurz zuvor hatte sich der Thyssenkrupp-Vorstand noch pessimistischer als ohnehin schon mit Blick auf das laufende Geschäftsjahr geäußert. Bei der Umsatzentwicklung geht der Vorstand im Gesamtjahr nun von einem Rückgang zwischen sechs bis acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr aus. Besonders bitter: Bei der wichtigen Kennziffer „Free Cashflow“ – ohne Berücksichtigung von Firmen-Deals – sei ein Minus von 100 Millionen Euro zu erwarten, so der Vorstand. Vor der Korrektur der Prognose wollte das Management um López noch einen positiven Wert im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich erreichen. Kurzum: Es fließt weiterhin Kapital aus dem Unternehmen ab. Mehr Geld geht aus der Kasse raus, als reinkommt.
Aktie von Thyssenkrupp stürzt ab
Der Thyssenkrupp-Vorstand verweist zur Begründung auf ein „anhaltend herausforderndes Marktumfeld“ und zeigt sich wenig optimistisch: „Eine kurzfristige Marktstabilisierung im laufenden Geschäftsjahr sei derzeit nicht absehbar.“ Bereits Mitte Mai hatte Konzernchef López bei der Vorlage der Quartalszahlen seine Erwartungen gesenkt.
An der Börse verzeichnet Thyssenkrupp nach der Korrektur der Gewinnprognose massive Einbußen. Die Aktie verliert am Freitag zwischenzeitlich mehr als sieben Prozent an Wert. Bei einem Kurs von knapp 3,60 Euro kommt der gesamte Thyssenkrupp-Konzern noch auf einen Marktwert von rund 2,25 Milliarden Euro. Damit ist das Unternehmen schon nahe am historischen Tiefstand vom 18. März 2020, als ein Wertpapier des Traditionskonzerns nach Angaben der Deutschen Börse nur 3,28 Euro gekostet hat. Zum Vergleich: In guten Zeiten mussten Anleger ein Vielfaches auf den Tisch legen – beim Rekord am 30. Oktober 2007 sogar 46,92 Euro.
Marc Tüngler: „Negativserie will einfach nicht abreißen“
„Die Negativserie will einfach nicht abreißen“, kommentiert Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), die Zahlen. „Besonders misslich ist die Prognose des Free Cashflows, die Kennzahl also, die zeigt, ob auch tatsächlich Geld mit dem Geschäft generiert wird. Die hat sich vom Positiven ins Negative gedreht, was bei den Anlegern die Alarmglocken läuten lässt.“ Tüngler sieht entsprechend großen Handlungsbedarf bei Vorstandschef López: „Die Zahlen offenbaren erneut, dass für die Stahlsparte zügig eine große, befreiende Lösung gefunden werden muss“, sagt Tüngler.
López strebt für die traditionsreiche Stahlsparte mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund sowie Südwestfalen ein Bündnis mit dem tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky an. Mit seinem Unternehmen EPCG hat Kretinsky bereits 20 Prozent der Anteile an Deutschlands größtem Stahlkonzern übernommen. Später könnte er auf 50 Prozent aufstocken. Von den Arbeitnehmervertretern wird der Deal kritisch beäugt.
Die Krise von Thyssenkrupp hat auch eine politische Dimension – nicht zuletzt angesichts einer milliardenschweren staatlichen Förderung für den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg. Für den 16. September organisiert die NRW-Landesregierung einen „Stahlgipfel“ in der Duisburger Mercatorhalle, zu dem unter anderem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) erwartet werden.
„Dafür sorgen, dass NRW Stahlstandort bleibt“
Sarah Philipp, die Vorsitzende der NRW-SPD, dringt auf mehr Eile. „Die Zeit der Entscheidungen bei Thyssenkrupp ist längst angebrochen“, sagt sie unserer Redaktion. Ein „Stahlgipfel“ Mitte September komme zu spät. „Das Wasser steht dem nordrhein-westfälischen Stahlstandort bis zum Hals. Es ist zu spät, wenn die Landesregierung die Pumpen erst in fast zwei Monaten anwirft“, mahnt die SPD-Landeschefin. „Der Ministerpräsident und die Wirtschaftsministerin müssen jetzt alle wichtigen Akteure an einen Tisch bringen und dafür sorgen, dass NRW Stahlstandort bleibt.“
In der Thyssenkrupp-Belegschaft gibt es die Sorge, dass Konzernchef López nun seine Sparanstrengungen in der Stahlsparte verstärken könnte. „Aktienkursmäßig hat er versagt“, sagt Arbeitnehmervertreter Vopel mit Blick auf López. Bereits vor einigen Wochen hat das Management harte Einschnitte bei Thyssenkrupp Steel angekündigt. Die Produktionskapazitäten sollen sinken – von derzeit rund 11,5 Millionen Tonnen auf neun bis 9,5 Millionen Tonnen jährlich. Tausende Arbeitsplätze könnten damit wegfallen. „Unsere Angst ist, dass López jetzt zum zweiten Mal mit dem Rasenmäher drüberfahren will“, sagt Vopel, während er vor dem Zelt der Mahnwache an Tor 1 in Duisburg steht. „Jede Tonne weniger bedeutet: weniger Arbeitsplätze. Aber wir werden uns wehren.“
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