Berlin/Bremerhaven. Kai Bordel sagt, was ein gutes Fischbrötchen ausmacht, wie nachhaltig der Fisch ist – und warum Nordsee Geschäfte mit Russland macht.
Burger, Pizza, Pasta, Döner – Schnellrestaurants gibt es viele. Die Restaurantkette Nordsee allerdings weist ein Alleinstellungsmerkmal auf: als Schnellrestaurantkette für Fisch. Das Unternehmen aus Bremerhaven beschäftigt mittlerweile rund 5700 Mitarbeiter und hat allein in Deutschland 308 Filialen. Nordsee-Chef Kai Bordel spricht im Interview über die Altersstruktur der Gäste, Veränderungen bei der Frischetheke – und über den Handel mit Fischen aus Russland.
Was dem Engländer sein Fish and Chips ist, ist dem Deutschen sein Backfischbaguette. Stimmt das?
Kai Bordel: Ja, das würde ich unterstreichen. Das Backfischbaguette ist ähnlich wie der Bremer, unsere Fischfrikadelle, des Deutschen liebstes Kind. Das hat sich in unserer 128-jährigen Geschichte nicht geändert. Aber auch der Bismarckhering ist beliebt. Neue Produkte wie unser Spicy Tuna Baguette und insbesondere die Garnelenbox werden zudem von jüngeren Kunden stark nachgefragt.
Was ist das Geheimnis eines guten Fischbrötchens?
Bordel: Am wichtigsten wird immer bleiben, dass es gut schmeckt. Dafür ist eine gewisse Frische nötig.
Die Inflation hat den Deutschen zuletzt zu schaffen gemacht. Bleibt der schnelle Fisch bei Nordsee bezahlbar?
Bordel: Die globalen Entwicklungen haben für Druck auf die Einkaufspreise gesorgt. Hinzu kommt, dass in den vergangenen fünf Jahren die Löhne um fast 30 Prozent gestiegen sind. Last but not least war die kurzfristige Wende der Politik Ende letzten Jahres, doch gegen eine Entfristung der Mehrwertsteuer zu votieren und für den In-Haus-Verzehr von zwischenzeitlich 7 Prozent auf 19 Prozent Mehrwertsteuer zurückzukehren, ein harter, millionenschwerer Schlag ins Kontor.
Was heißt das für die Preise?
Bordel: Diese Entwicklungen beziehungsweise Entscheidungen kommen auch beim Endkunden an. Wir haben also in den vergangenen drei Jahren die Preise erhöhen müssen – aber wir haben uns nicht aus dem Markt herausgepreist. Unsere Gäste nehmen die Preiserhöhungen an. Weder hat sich die Anzahl der Produkte reduziert, die die Kunden pro Besuch kaufen, noch werden stärker als bisher günstigere Produkte gewählt. Sie wissen also offensichtlich unsere Qualität zu schätzen!
Wo spüren Sie den Druck neben den Lohnkosten?
Bordel: Manche Produkte sind schwieriger zu beschaffen. Ein Beispiel: Vor einem Dreivierteljahr war Lachs exorbitant teurer, weil die Lieferketten schlanker geworden sind und sich Bezugsquellen reduziert haben. Entsprechend war die Verfügbarkeit knapp und der Preis ging nach oben.
Sind das noch Spätfolgen aus der Corona-Pandemie?
Bordel: Zu Covid-Zeiten waren die Lieferketten gestört, dann kam der Ukraine-Krieg, der Russland als Beschaffungsmarkt eingeschränkt hat. Beides hat sich auf die Einkaufspreise ausgewirkt.
Wie wichtig ist Russland als Beschaffungsmarkt?
Bordel: Russland ist für die Fischindustrie und für das Fischgeschäft ein wichtiger Beschaffungsmarkt.
Beziehen Sie derzeit noch Fisch aus Russland?
Bordel: Wir ordern lange vor, sichern uns Mengen. Natürlich ist das ein sensibles Thema, mit dem wir uns intern beschäftigen. Wie groß der Anteil von Russland-Produkten an unserem jetzigen Gesamteinkauf ist, kann ich nicht mitteilen.
Ein Rückzug aus dem russischen Markt ist für Sie kein Thema?
Bordel: Nein, aktuell ist ein Rückzug aus Russland als Beschaffungsmarkt kein Thema. Aber wir beobachten die Entwicklung genau. Die EU befasst sich mit weiteren Sanktionen gegenüber russischer Ware. Wir verhalten uns gesetzeskonform und werden entsprechend reagieren, sollten solche Vorgaben kommen. Aus russischen Gewässern stammt ein beachtlicher Anteil an Weißfischen, der nicht einfach kompensiert werden kann. Dennoch befassen wir uns stetig mit möglichen Alternativen, ohne Kompromisse in Qualität und Nachhaltigkeit einzugehen.
„Aus russischen Gewässern stammt ein beachtlicher Anteil an Weißfischen, der nicht einfach kompensiert werden kann.“
Wer in Ihre Restaurants geht, sieht vor allem ältere Menschen, die sich den Fisch als Tellergericht bestellen. Täuscht dieser Eindruck?
Bordel: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Viele unserer sehr langjährigen Kunden freuen sich immer wieder auf den Besuch unserer Restaurants, gerade zur Mittagszeit. Das ist doch großartig und ein stetiger Vertrauensbeweis. Im Snack- beziehungsweise im Take-away-Bereich, der nicht unbedeutender ist, sieht das anders aus. Hier sind wir beliebt über alle Generationen mit unseren unterschiedlichen klassischen Angeboten und auch neueren Innovationen.
Woran liegt das?
Bordel: Über Generationen kommen Familien zur Nordsee, und die Älteren erinnern sich daran, dass sie schon vor ein paar Jahrzehnten gekommen sind. Wir müssen nun dafür sorgen, dass genug nachkommen.
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Reicht veggie und vegan, um die jüngeren Kunden anzusprechen?
Bordel: Nein, das reicht nicht. Wir nehmen die Interessen unserer Kunden ernst und wollen auch Veganern, Vegetariern oder Pescetariern ein Angebot machen. Fakt ist allerdings, dass diese Produkte weniger stark nachgefragt sind, als man annehmen könnte. Junge Zielgruppen können wir aber mit digitalen Angeboten gewinnen. Unsere Nordsee-App ist beliebt. In zwei neuen Filialen in den Hauptbahnhöfen Düsseldorf und Hannover haben wir zudem erste Selforder-Terminals installiert. Das zieht jüngere Kunden an, die in Ruhe eine Auswahl treffen können.
Selforder-Terminals gibt es bei Ihren Wettbewerbern schon länger. Warum kommen Sie damit erst jetzt?
Bordel: Wir müssen selbstkritisch sagen, dass wir zu zögerlich waren. Viele unserer Kunden sind wie oben erwähnt über 50 Jahre alt, und wir hatten möglicherweise eine Art Schwellenangst, dass es diese Kundschaft überfordern könnte. Jetzt wollen wir den Ausbau beschleunigen.
Werden sich die Terminals langfristig auf die Personalstärke in den Läden auswirken?
Bordel: Zunächst einmal erhöhen die Terminals den Umsatz. Wir ziehen neue Kundenschichten an, aber auch bisherige Kunden ordern häufig mehr. Selforder-Terminals können helfen, die Qualität der Produkte weiter zu steigern. Denn wenn am Terminal geordert wird, kann das Gericht direkt frisch zubereitet werden und liegt nicht mehr am Tresen aus. Und dadurch ermöglichen sich auch Effizienzgewinne.
Verbraucherschützer monieren, dass Selforder-Terminals dazu anregen, Dinge zu kaufen, die man eigentlich gar nicht wollte.
Bordel: Ich glaube an die Selbstbestimmtheit des Verbrauchers. Es ist doch Normalität in der Gastronomie, dass man auf die Produktpalette aufmerksam macht und den Gästen anbietet, noch etwas zu trinken oder ihnen einen Nachtisch schmackhaft zu machen. Am Ende trifft jeder seine individuelle Entscheidung.
Werden Sie perspektivisch die Bargeldzahlung in den Geschäften abschaffen?
Bordel: Ein signifikanter Teil unseres Geschäfts funktioniert heute noch über Bargeld. Die Bargeldbedeutung ist im internationalen Vergleich immer noch deutlich höher in Deutschland, was ich immer wieder überraschend und ehrlich gesagt auch ein wenig bezeichnend finde. Selbst an unseren Selforder-Terminals haben wir Möglichkeiten eingerichtet, dass man an der Kasse bar bezahlen kann. Wir wollen die Wünsche unserer Kunden nach Bargeldzahlung nicht ignorieren.
„Selbst an unseren Selforder-Terminals haben wir Möglichkeiten eingerichtet, dass man an der Kasse bar bezahlen kann. Wir wollen die Wünsche unserer Kunden nach Bargeldzahlung nicht ignorieren.“
In den USA experimentieren Fast-Food-Ketten mit Bestellungen mit Künstlicher Intelligenz. Wird das bei Ihnen auch so werden?
Bordel: KI hat unter anderem den Vorteil, dass man dem Verbraucher ein für ihn maßgeschneidertes Menü anbieten kann. Das kann eine sinnvolle Entwicklung sein. Es ist aber nichts, was wir auf der Agenda haben und in Kürze anstreben.
Welche Veränderungen planen Sie in den nächsten Jahren in den Filialen?
Bordel: Wir wollen aus unseren zwei neuen Filialen in Düsseldorf und Hannover Lerneffekte gewinnen. Erst danach können wir entscheiden, in welcher Geschwindigkeit wir dieses neue Format multiplizieren.
Ist die weitere Expansion im Ausland ein Thema?
Bordel: Da sind wir opportunistisch. Wenn wir das Gefühl haben, dass ein Franchisenehmer einen neuen Markt erschließen will, der zu uns passt, dann freuen wir uns auf eine Zusammenarbeit und die internationale Expansion unserer Marke. Jüngst hat ein Franchisenehmer beispielsweise in Rumänien fünf Restaurants eröffnet und ist damit sehr erfolgreich. Klar ist aber, dass unsere Kernmärkte Deutschland und Österreich bleiben.
Passen Drive-in-Restaurants zu Nordsee?
Bordel: Historisch sind wir in Innenstadtlagen und in Einkaufszentren gewachsen. Wir haben zusätzlich noch Filialen in einigen Bahnhöfen und Outlet-Centern. Drive-throughs werden häufig als Gesamtprojekte auf der grünen Wiese in Randlagen hochgezogen. Das passt nicht zu uns und ist bisher kein Thema.
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Was macht die starke Expansion der großen US-amerikanischen Restaurantketten mit dem kleinen deutschen Player Nordsee?
Bordel: Im Marktsegment Fisch sind wir mit Abstand der größte Player. Aber ja, wir treten auch gegen Burger, Pizza und Pasta an. Wir müssen den Fisch als Alternative stärker ins Bewusstsein der Menschen tragen. Wenn die Leute mehr an Fisch denken, dann kommen sie auch zur Nordsee.
Sie bieten teils sehr hochpreisige Produkte an. Wie passt das in das Konzept des Schnellrestaurants?
Bordel: Neben Snacks und Tellergerichten haben wir eine dritte Kategorie, den Einzelhandel. Noch immer verkaufen eine große Anzahl an Restaurants frischen Fisch, frische Meeresfrüchte und Räucherfisch an Frischetheken. Aber dieser Geschäftsbereich wird kleiner. Hier suchen wir nach Alternativen. Zum einen nehmen solche Theken viel Platz ein, zum anderen sind sie arbeitsintensiv. Es dauert recht lange, eine Eistheke vorzubereiten, der Schwund ist beim Frischfisch höher und man benötigt gut ausgebildete Mitarbeiter für die Zubereitung. In Geschäften wie am Münchner Viktualienmarkt oder in der Kärntner Straße in Wien sind die Theken beliebt. An anderen Standorten müssen wir über Umnutzungen nachdenken.
Bowls sind besonders in. Kommt so etwas auch bald bei Nordsee auf die Speisekarte?
Bordel: Salate bieten wir seit jeher an, wir nennen sie nur nicht Bowl. Wenn wir weniger Frischfischtheken haben, gibt es Platz für Neues. Ein Salatangebot als To-go-Variante kann wichtiger werden.
Planen Sie darüber hinaus Ergänzungen im Angebot?
Bordel: Küstenbackfisch „Deluxe“ und Fischfilet mit Räucherlachs-Topping auf Blattspinat sind unsere Neuheiten, auf die sich unsere Gäste im Herbst und Winter freuen können.
Experten warnen vor einer Überfischung der Weltmeere und vor der nachhaltigen Zerstörung des Ökosystems Ozeane. Kann man als Verbraucher noch guten Gewissens Fisch essen?
Bordel: Davon bin ich fest überzeugt. Ohnehin halten Verbraucher das Essen von Fisch für gesünder als das Essen von Fleisch. Uns ist es wichtig, die Themen Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein nach außen zu tragen. Deswegen haben wir ja auch entsprechende Zertifizierungen für den Fisch, der bei uns verkauft wird.
Kabeljau aus Nord- und Ostsee gilt als überfischt, findet sich bei Nordsee aber auf der Speisekarte. Lachs aus Aquakulturen gilt auch nicht als nachhaltige Alternative, Garnelen haben eine schlechte CO2-Bilanz: Wie verträgt sich das mit dem Nachhaltigkeitsanspruch von Nordsee?
Bordel: Sehen Sie es mir nach, dass ich nicht zu jeder einzelnen Fischart etwas sagen kann. Ich kann Ihnen sagen, dass wir MSC-, ASC-, GlobalGap- und weitere Zertifizierungen haben. MSC und ASC sind Einrichtungen, die seinerzeit von der Naturschutzorganisation WWF ins Leben gerufen wurden und nachhaltigen Fischfang sowie nachhaltige Fischzucht auf der Agenda haben. Das ist uns wichtig. Kabeljau aus der Nordsee macht nur einen sehr kleinen Anteil bei Nordsee aus und ist MSC-zertifiziert. Kabeljau aus der Ostsee (Dorsch) wird seit Jahren nicht mehr bei Nordsee eingesetzt.
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Gab es ein Produkt, das Sie in letzter Zeit wegen Bedenken von Ihrer Speisekarte geschmissen haben?
Bordel: Ich kann mich an keines erinnern.
Bemerkt Nordsee denn eine besondere Nachfrage nach Fisch mit Nachhaltigkeitssiegeln?
Bordel: Es mag den gesellschaftlichen Anspruch nach nachhaltig gefangenem oder gezüchtetem Fisch geben, aber im täglichen Geschäft ist das nur selten ein Thema. Die Zertifizierung eines einzelnen Fischs ist für den Gast offenbar nicht besonders wichtig; zumindest äußern er oder sie das in unseren Restaurants selten.
Sie waren vorher bei Nike. Was kann man von Sportkleidung über Fisch lernen?
Bordel: Dass das Produkt überzeugt, ist eine notwendige Bedingung, die erfüllt sein muss. Egal, was man verkauft, man sollte aber immer den Konsumenten in den Mittelpunkt stellen. Er entscheidet sicherlich nicht nur nach der Güte und dem Geschmack des Produktes, sondern auch über die Emotionen, die er oder sie zur Marke aufbauen kann. Es geht also immer darum, Gästen ein inspirierendes Erlebnis zu liefern und idealerweise sogar mit Ihnen ein persönliches Verhältnis aufzubauen, was in der digitalen Welt von heute meiner Meinung nach – möglicherweise entgegen vieler anderer Meinungen – nicht schwieriger geworden ist.
Wie oft essen Sie selbst bei Nordsee?
Bordel: Ich gehe immer, wenn ich beruflich unterwegs bin, in eine unserer Filialen essen. Groß geworden bin ich mit dem Alaska-Seelachsfilet mit Kartoffelsalat und Mayonnaise und dem Bismarckbrötchen. Das esse ich nach wie vor sehr gerne. Die Remoulade zum frittierten Fisch darf auf keinen Fall fehlen.
Zur Person
Kai Bordel ist seit November 2022 CEO von Nordsee. Der gebürtige Bochumer war zuvor als Manager bei Nike international tätig, ehe er Managing Director von Starbucks in Deutschland wurde. Der 58-Jährige wohnt in München.
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