Bochum/Essen. Der Bund will mitgebrachte Passfotos abschaffen - zum Leidwesen von Fotostudios wie Picture People aus Bochum. So wollen sie überleben.
Christian Hamer hält mit seinem Ärger nicht lange hinterm Berg: „Das ist so bitter und so unnötig“, macht sich der Chef der Bochumer Fotostudio-Kette „Picture People“ Luft. „Wenn es nur halb so schlimm wird, wie befürchtet, dann wird es böse.“ Hamer spricht von Arbeitsplatzverlust, einem Insolvenzszenario für die gesamte Branche und viel Frust.
Was den Gründer von „Picture People“, einem Ruhrgebiets-Familienbetrieb mit inzwischen 500 Beschäftigten und rund 70 Studios in drei Ländern, so aus der Fassung bringt, ist ein neues Gesetz der Bundesregierung. Sie will Passbilder fälschungssicherer machen.
Ab Mai 2025 sollen die Einwohnermeldeämter deshalb nur noch digitale Fotos für neue Pässe akzeptieren. Ausgedruckte Bilder vom Fotografen werden nicht mehr angenommen. Der bequemste Weg sollen 8000 Selbstbedienungsterminals sein, die die Bundesdruckerei direkt in den bundesweit rund 5500 Pass- und Ausweisbehörde aufstellen will. Das Angebot erinnert an ähnliche Geräte zum Selberfotografieren, die viele Menschen bereits heute aus den Meldeämtern kennen.
Fotostudios können zwar weiterhin Passbilder machen. Sie müssen dazu aber neuste Sicherheitsstandards des Bundes erfüllen, um die Bilder digital zu versenden. Und: Sie rechnen angesichts der direkten staatlichen Konkurrenz mit einem massiven Umsatzeinbruch.
Umsatzeinbruch erwartet: Bis zu 80 Prozent der Foto-Händler könnten dicht machen
Die Sorge vor einer regelrechten Insolvenzwelle geht um. Denn Passbilder waren lange eine solide Einnahmequelle für Studios und Foto-Händler, die in ihren Geschäften auch Waren wie Geräte oder Rahmen vertreiben. Passbilder machen bis zu 50 Prozent der Gewinnmarge von Foto-Händlern aus, sagt Stephan Uhlenhuth von Europas größtem Einkaufsverbund „Ringfoto“.
Vor allem kleineren Betrieben sei das Ausmaß der Veränderung oft noch klar: Der Branchenvertreter erzählt von Informationsveranstaltungen, auf denen Geschäftsinhaber spontan Existenzängste äußerten. Sie befürchten, dass ein Großteil der Kunden nur noch die Automaten im Amt nutzen und damit ihre Geschäftsgrundlage wegfalle.
Passbilder weiter im Studio: Verbund investiert Millionensumme in eigenen digitalen Speicher
Auch Fotostudios erwarten massive Probleme: Zu „Picture People“ kommen nach Angaben der Geschäftsführung etwa 50 Prozent der Kunden wegen Passfotos. Sie machten 30 Prozent des Umsatzes aus. „Aus den Passfotos entstehen ja auch neue Aufträge“, sagt Hamer. „Die Leute sehen unsere Fotografen, unsere Arbeit, buchen dann ein Familienporträt oder etwas anders. Wenn das nicht mehr ist, fällt vieles weg.“
Fotografen und Betriebe wollen sich nicht geschlagen geben. Sie haben bundesweit nach Lösungen gesucht, um weiterhin Passbilder anbieten zu können. Der Einkaufverbund Ringfoto etwa hat für seine rund 1000 angeschlossenen Händler ein eigenes System entwickeln lassen, mit dem Fotografen nach den strengen Sicherheitsvorgaben des Bundes digitale Passbilder an die Ämter übermitteln können. Es soll auch anderen Fotostudios angeboten werden. Das Verfahren klingt kompliziert und geht weit über das hinaus, was die Branche eigentlich tut. Es zeigt, wie existenziell die Veränderung ist.
Keine mitgebrachten Passfotos mehr
Das „Gesetz zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen“ soll Manipulationen an Passbildern eindämmen. Dabei geht es um das sogenannte Morphing, mit dem man mehrere Bilder technisch zu einem neuen verschmelzen und damit manipulieren kann. Schon 2020 wollte die damalige Große Koalition nur noch digitale Bilder aus Foto-Terminals in den Einwohnermeldeämtern zulassen. Nach heftigem Protest der Foto-Branche besserte der Bund nach. Im April 2024 veröffentlichte er eine Verordnung, nach der Fotografen digitale Passfotos besonders geschützt übermitteln können.
Selbstbedienungsterminals wird es auch künftig wohl nicht überall geben. Den Kommunen steht laut Bundesinnenministerium frei, die Geräte der Bundesdruckerei zu nutzen. Bestellt seien 8000 Stück – Städte könnten auch eigene Lösungen nutzen - die Sicherheitsstandards sind hoch. Das Ministerium geht davon aus, dass Bürger es als Vorteil ansähen, wenn sie direkt in der Behörde auch ihr Passbild machen müssen. 6 Euro kostet die Nutzung der Terminals der Bundesdruckerei. Steuermitteln würde nicht aufgewendet – übersetzt: Die Gebühr zahlt der Bürger selbst.
Im Kern laden die Fotografen die Bilder an einen besonders gesicherten digitalen Speicherort (Cloud) verschlüsselt hoch, in dem die Bilder bis zur Unkenntlichkeit zerlegt und erst wieder zusammengesetzt werden, wenn das Amt sie abruft. Fotografen müssen sich vor jedem einzelnen Hochladen gesondert identifizieren. Kunden erhalten einen ausgedruckten QR-Code, der im Rathaus zum Scan und Upload des Passfotos genutzt werden kann.
„Passfotos vom Fotostudio sind hochwertiger. Anders als bei den Terminals können sie außerdem bis zu ein halbes Jahr lang und innerhalb dieser Zeit für Pass und Personalausweis genutzt werden.“
Der Einkaufsverbund hat eine einstellige Millionensumme in das System investiert, das bei Problemen selbst am Wochenende innerhalb von zwei Stunden wieder online sein muss. Die Fotografen zahlen für die Nutzung einmalig eine niedrige dreistellige Summe an Ringfoto. Auch andere große Firmen entwickeln dem Vernehmen nach eigene Cloudlösungen auf Grundlage der Bundes-Sicherheitsstandards.
Stephan Uhlenhuth wirbt unumwunden für die Qualität des Fotografenhandwerks: „Passfotos vom Fotostudio sind hochwertiger“, sagt der Vertreter von Ringfoto. „Anders als bei den Terminals können sie außerdem bis zu ein halbes Jahr lang und innerhalb dieser Zeit für Pass und Personalausweis genutzt werden.“
Picture People baut Unternehmensfotografie aus
Trotzdem ist die Sorge groß, dass Kunden sich für den bequemeren Weg entscheiden und eher im Selbstbedienungsterminal ihr Bild machen als beim Profi. Die ganze Branche stehe auf der Kippe, so die Sorge.
Picture-People-Chef Hamer will nichts schönreden. „Die Masse wird diesen einfacheren Weg gehen.“ Pauschal habe Picture People alle Mietverträge für seine Studios in Deutschland gekündigt, um mit den Vermietern über Nachlässe zu verhandeln.
Das Unternehmen werde weiter Bestand haben, das sei sicher, so Hamer über seine Bochumer Erfolgsgeschichte. „Aber ich mache mir Sorgen, in welcher Größe wir weitermachen und ob wir weiter in A-Lagen zu finden sein werden.“ Statt der vielen Geschäfte in stark frequentierten Shoppingcentern und Innenstädten seien Flagshipstores in geringerer Anzahl denkbar – dann aber mit bis zu einem Fünftel der derzeitigen Belegschaft.
Hamer will das verhindern und baut deshalb das Geschäft mit Unternehmensfotografie aus. Die Arbeit ergänze den Bereich zum klassischen Familienporträt schon wegen der versetzten Tageszeiten perfekt, zu der sie angefragt werde, so Hamer. „Familienporträts machen wir eher nachmittags und am Wochenende, Businessfotografie findet eher vormittags statt.“ Besondere Angebote wie die Iris-Fotografie, also hochauflösende Fotos des Auges, sollen ebenfalls stärker beworben werden. In seinen Filialen mache er seinen Beschäftigten sehr klar: „Das ist unsere einzige Chance hier“, so Hamer.
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