Wolfsburg. Bei Volkswagen brennt die Luft: Auf der Betriebsversammlung wird der Vorstand ausgepfiffen, doch für Daniela Cavallo hagelt es Beifall.

Mit einer Kampfrede, die den VW-Vorstand scharf kritisierte, reagierte VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo auf die vom Autobauer angekündigten und angedrohten Einschnitte. In ihrer Rede, die sie auf der Betriebsversammlung im Werk Wolfsburg hielt, sagte Cavallo: „Volkswagen krankt eben nicht an seinen deutschen Standorten und an den deutschen Personalkosten. Sondern Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht.“ Rumms.

Gesessen haben dürfte aber nicht nur dieser Giftpfeil, sondern auch die Transparente von zahlreichen Mitarbeitern, mit denen sie gegen die jüngsten Sparpläne protestierten. 10.000 Beschäftigte in Halle 11 und rund 5000 vor den Groß-Bildschirmen vor der Halle sorgten quasi von Beginn an für eine aufgeheizte Stimmung wie im Fußballstadion. Tausende skandierten „Wir sind Volkswagen, ihr seid es nicht“, als die Vorstände auf der Bühne Platz nahmen. Rund 20 Minuten ertrugen die Unternehmensleiter die ohrenbetäubende Kulisse weitgehend regungslos mit eisernen Mienen.

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VW will die bis 2029 bestehende Beschäftigungssicherung kündigen. Damit wäre der Weg frei für betriebsbedingte Kündigungen. Zugleich stehen laut VW zwei deutsche Werke auf der Kippe. Der Grund: Das Unternehmen kommt mit seinen Sparvorgaben nicht so voran wie geplant. „Wir haben noch ein Jahr, vielleicht zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen“, sagte Konzern-Finanzchef Arno Antlitz vor mehr als 10.000 Beschäftigten im VW-Werk. „Aber diese Zeit müssen wir nutzen.“

Cavallo in Wolfsburg: Sparen darf bei VW kein Selbstzweck sein

Der Vorstand setze die falschen Schwerpunkte, entgegnete Cavallo – man wolle das angeschlagene Unternehmen allein durch den Sparkurs kurieren. Das sei aber der falsche Ansatz. Stattdessen müsse die Führungsriege die Frage beantworten: Wie kommen wir für die Zukunft wieder in die Rolle der Technologieführerschaft? Cavallo: „Und davon ableiten müssen wir alles andere. Aber nicht mit Sparen als Selbstzweck. Sondern alles um uns herum, in den Werken, in der Verwaltung, in der Technischen Entwicklung, muss auf das eigentliche Ziel ausgerichtet sein: Innovation vor dem Wettbewerb an die Kundschaft bringen!“

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo während eines Pressetermins in Wolfsburg. Auf der Betriebsversammlung attackierte sie den VW-Vorstand.
VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo während eines Pressetermins in Wolfsburg. Auf der Betriebsversammlung attackierte sie den VW-Vorstand. © dpa | Fernando Martinez

Cavallos Rede wurde immer wieder von Szenenapplaus unterbrochen. „Vorstände kommen und gehen“, sagte sie. „Die IG Metall und die Belegschaft bleiben. Wir sind die VW-Familie und eine Familie lässt niemanden allein zurück.“ IG Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger schenkte dem Vorstand zum Ende seiner Rede symbolisch einen roten Wecker – eingestellt auf fünf vor zwölf.

Gröger ließ das Geschenk in IG Metall-Optik auf dem Rednerpult stehen, an das nach ihm Konzern-Finanzvorstand Arno Antlitz trat, und drohte: „Wenn der Vorstand den Weckruf nicht hören sollte, dann können wir auch mit 10.000 Metallern vorbeikommen und das übernehmen.“ Antlitz setzte um 10.46 Uhr zu seiner Rede an und kam in einem erneut aufbrausenden, gellenden Pfeifkonzert zunächst nicht zu Wort. Hunderte skandierten „Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen“.

VW-Manager Antlitz konnte minutenlang nicht mit Rede beginnen

Eine Minute später konnte er dann seine Rede mit dem Satz „Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen“ fortsetzen, worauf hin er aber umgehend wieder nicht zu Wort kommen konnte. Als der Manager kurz das Rednerpult verließ, dachten die Beschäftigten schon, er würde aufgeben. Aber Antlitz holte sich nur eine Wasserflasche. Ab etwa 10.53 Uhr war es dem Konzernfinanzvorstand dann möglich, seine Rede zu beginnen. Sie wurde fortan nur noch vereinzelt durch Zwischenrufe wie „Wenn Ihr so weitermacht, dann schaffen wir das bestimmt nicht!“ oder „Guckt mal in eure Taschen, wo das Geld ist“ unterbrochen.

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Neben Antlitz und VW-Markenchef Thomas Schäfer trat später unplanmäßig auch der Vorstandsvorsitzende Oliver Blume ans Rednerpult. Blume stammt selbst aus der Region. Er machte deutlich, dass er die Emotionen gut nachvollziehen könne und wirkte selbst berührt. Zugleich rechnete der Top-Manager aber vor, dass die Kernmarke seit 15 Jahren jährlich 1,5 Milliarden Euro aus dem Cash Flow benötige – das sei wie eine am Monatsende leere Familienkasse. Wenn dann der Fernseher noch kaputtgehe, müsse die Oma oder der reiche Onkel einspringen. Dieser Geldgeber sei im Falle der Kernmarke jahrelang das Chinageschäft gewesen.

Cavallo: „Kein Geld mehr, um Straßenbeleutung anzuschalten“

Markenchef Thomas Schäfer unterlegte das Volkswagen-Beben mit vier Kernforderungen der Unternehmensseite. Die Reduzierung der Personalkosten um 20 Prozent reiche ebenso wenig aus wie der Abbau entlang der demographischen Kurve mit Alterteilzeit und Abfindungen. Die bisherige Zahl der Auszubildenden könne nicht mehr fortgeschrieben werden. Die Zuhörer wirkten nach diesen Aussagen kurze Zeit geschockt. Es sei der falsche Weg, die Belegschaft zu verprellen. „Ohne diese Belegschaft werden wir aus dieser Krise nicht herauskommen. An die Mitglieder im Vorstand: Wo ist denn Ihr Konzept dafür?“

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Cavallo skizzierte auch, welch dramatische Folgen Entlassungen und Werksschließungen nicht nur für die VW-Beschäftigten hätten. Nach Bekanntwerden des Abgas-Betrugs 2015 seien in den Kommunen der VW-Standorte die Gewerbesteuer-Einnahmen versiegt. „Manche Städte, bei denen unsere Werke liegen, haben so große Steuereinbußen gehabt, dass kein Geld mehr da war, um nachts die Straßenbeleuchtung anzuschalten. In den Schulen hat man die Reinigungsintervalle anpassen müssen.“

Inzwischen hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Krise bei Volkswagen eingeschaltet. Dem Kanzler sei die Bedeutung von VW als eines der größten Unternehmen der Autoindustrie klar, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Er werde die Entwicklung ganz genau verfolgen, jedoch sei es Sache des Unternehmens, die Probleme zu lösen – da mische sich die Bundesregierung nicht ein.