Essen. Wasserstoff soll Kohle und Gas ersetzen. Doch weiterhin fehlt die Infrastruktur. Was Wirtschaftsförderer von Vizekanzler Habeck fordern.
Wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine NRW-Amtskollegin Mona Neubaur am 16. September zum Wasserstoff-Kongress „Hy Summit“ nach Duisburg kommen, werden sie sich auf bohrende Fragen der Ruhrwirtschaft und der Revierstädte gefasst machen müssen. Denn die Unzufriedenheit über den schleppenden Fortgang der Transformation zu einer CO2-armen Energieversorgung produzierender Unternehmen wächst.
Das Ruhrgebiet hat alles, was die künftige Wasserstoff-Welt ohne Kohle, Gas und Erdöl braucht: Unternehmen, die viel Wasserstoff benötigen, die ihn produzieren und in Pipelines befördern. Hier sitzen aber auch zahlreiche Institute, die sich wissenschaftlich mit der Transformation beschäftigen und sie zu einem Exportschlager machen können. Doch die vor einigen Jahren entfachte Aufbruchstimmung, das Revier zur international führenden Wasserstoff-Region zu machen, ist Ernüchterung gewichen.
Die anfängliche Jubelstimmung ist vorbei
„Wasserstoff ist ein wichtiger Teil der Zukunftsplanung. Nicht nur in Dortmund, sondern im gesamten Ruhrgebiet gibt es genügend Anwendungsfälle. Es hakt aber an der Umsetzung der Projekte. Nach der anfänglichen Jubelstimmung ist inzwischen bei allen Beteiligten eine deutlich realistischere Einschätzung eingetreten“, sagt der Dortmunder Wirtschaftsförderer Friedrich-Wilhelm Corzilius.
Dortmund ist neben Essen, Bochum, Duisburg, Mülheim und dem Kreis Unna eines von rund 50 Mitgliedern im Verein Hy Region Rhein-Ruhr, der das Thema Wasserstoff voranbringen will und den Hy Summit vom 16. bis 18. September ausrichtet. Die Wirtschaftsförderer der drei Ausrichterstädte sind sich einig, dass die Transformation viel mehr Tempo benötige.
„Es gibt eine große Verunsicherung durch politische Rahmenbedingungen“, sagt Rasmus Beck. Der Geschäftsführer der Duisburg Business & Innovation GmbH benennt klar, woran es gerade hapert: „Niemand weiß, wann genügend Wasserstoff zu welchem Preis zur Verfügung stehen wird. Deshalb gibt es auf dem Papier viele Projekte, aber noch zu wenig Unternehmen sind bereit unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen konkret mit ihren Investitionen loszulegen.“
Duisburg wird mit Thyssenkrupp Steel den mit Abstand größten Wasserstoff-Verbraucher haben, wenn in einigen Jahren im Norden der Stadt der erste grüne Stahl ohne den Einsatz von Koks hergestellt werden soll. Der Bedarf ist aber auch in der Konzernstadt Essen groß. „In Essen arbeiten rund 13.000 Beschäftigte in der Energie- und Chemieindustrie, für die Wasserstoff relevant sein wird“, sagt André Boschem, Geschäftsführer der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft, und zählt exemplarisch die Glashütten Gerresheimer und Verallia, aber auch das Chemiewerk Goldschmidt von Evonik auf. „Diese Betriebe verbrauchen sehr viel Energie und sind darauf angewiesen, Wasserstoff-Projekte für die Zukunft mitzudenken“, so Boschem.
Wasserstoff: Anschubfinanzierung durch den Staat
Nach seinen Angaben wird Essen aber voraussichtlich erst im Jahr 2032 an die nationale Wasserstoff-Pipeline angeschlossen. „Bis dahin müssen wir andere Wege der Distribution nutzen“, meint der Wirtschaftsförderer. Was jetzt dringend geschehen müsse, erläutert der Dortmunder Friedrich-Wilhelm Corzilius: „Der Hochlauf von Wasserstoff kann nur mit Hilfe von verlässlichen Rahmenbedingungen und finanzieller Unterstützung gelingen.“ Boschem drückt es noch konkreter aus und fordert „eine Anschubfinanzierung durch den Staat“, ohne die das Ruhrgebiet keine führende Rolle bei der Wasserstoff-Transformation spielen könne.
Sie wird Milliarden verschlingen. „Wir wissen inzwischen, dass Gasnetze mit Wasserstoff befüllt werden können. Die Ertüchtigung wird aber viel Geld kosten“, verweist Rasmus Beck auf die im Ruhrgebiet bereits vorhandenen Pipelines. Wasserstoff wird aber auch in Form von Ammoniak mit Schiffen ins Ruhrgebiet kommen. Damit sie anlanden können, entsteht im Duisburger Hafen gerade unter hohen Sicherheitsanforderungen die erste sogenannte Cracker-Anlage. Beck verweist darauf, dass die Cracker nur auf Industrieflächen mit hohen Abstandsgeboten gebaut werden dürfen. Geeignete Standorte sind im Ruhrgebiet rar gesät.
Grüner und blauer Wasserstoff
Einen Hebel, die Transformation zu beschleunigen, vermuten die Wirtschaftsförderer in der Güte des einzusetzenden Wasserstoffs. „Wir sehen in blauem Wasserstoff ein großes Potenzial als Übergangstechnologie, solange grüner Wasserstoff knapp und sehr teuer ist“, sagt Julia Jakobi, die neue Geschäftsführerin des Vereins Hy Region Rhein-Ruhr. Die Strategie der Bundesregierung, gleich zu Beginn ausschließlich auf grünen Wasserstoff zu setzen, der rein aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, ist nicht nur im Ruhrgebiet umstritten. Bei blauem Wasserstoff wird das entstandene CO₂ unterirdisch gelagert. Die Methode ist in Deutschland umstritten, in anderen Ländern aber längst Praxis.
André Boschem geht noch einen Schritt weiter: „Aus Essener Sicht haben wir von der Stunde Null an gefordert, dass wir beim Hochlauf alle Farben von Wasserstoff zulassen sollten. Wir haben in Deutschland einfach nicht die Kapazitäten, um so viel grünen Wasserstoff zu produzieren, wie wir ihn brauchen.“ Die Diskussion mit den Ministern Habeck und Neubaur im September verspricht spannend zu werden.
>>> Hy Region Rhein-Ruhr
Der Verein Hy Region Rhein-Ruhr versteht sich als das zentrale Netzwerk für die Wasserstoffwirtschaft in der Region. Mit dem Übertragungsnetzbetreiber Amprion hat der an die Duisburger Wirtschaftsförderung angedockte Verein unlängst das 50. Mitglied aufgenommen.
Neue Geschäftsführerin von Hy Region ist Julia Jakobi, die zuvor für die Wirtschaftsförderung Bottrop gearbeitet hatte. „Wir wollen Investitionen bündeln und gemeinsam dafür Akzeptanz schaffen. Als Verein bieten wir den Projekten eine Bühne“, sagt die Expertin für Kreislaufwirtschaft.
Der diesjährige Hy Summit findet vom 16. bis 18. September in Duisburg, Dortmund und Essen statt. Info und Anmeldung unter www.hy-summit.de.
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