Essen. Das Ruhrgebiet setzt alles auf eine Karte: Wasserstoff-Pilotregion mit grüner Industrie. Woran es noch hakt, sagen Bürger, Konzerne und Minister.
Das Ruhrgebiet will die erste grüne Industrieregion werden. Doch der dafür nötige Aufbau einer Wasserstoffversorgung stößt auf viele Widerstände – bürokratische, finanzielle und logistische. Von der Beschaffung grünen Wasserstoffs über den Leitungsbau bis zur Förderung gibt es etliche Probleme zu lösen. Was gerade erst beginnt, aber vielerorts hinzukommen wird: Auch die Bürgerinnen und Bürger müssen mitmachen. Auf sie warten Baustellen und Lärm sowie viele neue Leitungen und Großanlagen.
„Eine große Aufgabe wird sein, die Zivilgesellschaft bei der Transformation mitzunehmen. Es wird viel zu erklären geben“, sagt Michael Hübner, Geschäftsführer des Vereins Hy Region Rhein-Ruhr, der WAZ. Duisburgs Wirtschaftsförderer Rasmus Beck konkretisiert: „Am Ende wird es auch Eingriffe in die Umwelt geben. Dort, wo bisher eine Brache war, stehen dann vielleicht Elektrolyseure, die Platz verbrauchen, in die Höhe ragen und die Schaffung vergleichsweise weniger Arbeitsplätze im Betrieb nach sich ziehen, aber dafür viele Jobs in der Industrie sichern“, prophezeit er.
Schwerpunktthema Wasserstoffhochlauf im Ruhrgebiet - unsere Themen:
- Wasserstoff-Hochlauf: Das kommt auf die Menschen im Ruhrgebiet zu
- Bürgerinnen und Bürger in Oberhausen sorgen sich um die Sicherheit und um ein Naturschutzgebiet
- Muss Wasserstoff stinken? Das sagt der TüV Nord zur Sicherheit der H2-Leitungen
- Wie der Bund die Genehmigungen beschleunigen will, sagt uns Justizminister Marco Buschmann
- Das Nebeneinander der Initiativen kann Zeit und Jobs kosten, sagt Westenergie-Chefin Katherina Reiche
Wo die Planungen bereits laufen, kollidieren sie bereits zum Teil mit den Wünschen der Bevölkerung. So haben zum Beispiel Anwohner in Oberhausen Sicherheitsbedenken, weil eine Wasserstoff-Pipeline für den Thyssenkrupp-Stahlstandort Duisburg in ihrer Nähe gebaut werden soll. Sorgen gab es auch um ein Naturschutzgebiet an der Stadtgrenze zu Dinslaken. Mögliche Einsprüche und Widerstände in den Genehmigungsverfahren drohen allerdings den Wasserstoff-Hochlauf im Ruhrgebiet zu verzögern, der vielen Unternehmen jetzt schon viel zu langsam geht.
Justizminister Buschmann verspricht beschleunigte Verfahren
„Bei den Genehmigungsverfahren brauchen wir mehr Tempo“, sagt Karola Geiß-Netthöfel, Direktion des Regionalverbands Ruhr (RVR) und sieht „vor allem die Bundesregierung gefragt, neue Regelungen zu schaffen, die die Verfahren erleichtern“. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht die Ampel in der Bringschuld, die ein „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ plant. „Lange Planungsverfahren schweben wie ein Damoklesschwert über wichtigen Projekten. Sie sorgen für Ungewissheit und hohe Kosten“, weiß Buschmann.
Der WAZ sagte der Minister, sein Haus habe etwa die Verwaltungsgerichtsordnung novelliert. „Denn fast jedes große Investitionsprojekt landet bei Gericht. Hier geht es jetzt schneller“, so Buschmann. Mit der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, die Zeit kostet, will er „pfleglich umgehen“, aber verhindern, „dass diese Möglichkeiten nicht missbraucht werden – etwa durch Kräfte, die die Planung nicht verbessern, sondern in die Länge ziehen oder ganz sabotieren wollen“. Auch deshalb befürwortet Buschmann beschleunigte Beteiligungsverfahren: „Bei den Wasserstoff-Pipelines müssen alle Einwände innerhalb von zehn Wochen ab Klageerhebung dem Gericht vorgetragen werden.“
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Mehr Tempo fordert auch Katherina Reiche, Chefin des Eon-Tochterkonzerns Westenergie und Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates. Sie sieht allerdings ein Hauptproblem in der mangelnden Abstimmung der vielen Fördertöpfe und der einzelnen Projekte in der Region. „Obwohl es hier vielversprechende Projekte gibt, besteht das Problem darin, dass sie unkoordiniert nebeneinander existieren. Die Folge: Ineffizienz, Informationsasymmetrie, Zeitverlust“, sagte Reiche der WAZ. Nur wenn jetzt die gesamte Wertschöpfungskette hochgefahren werde, könne es gelingen, „Industrie und Arbeitsplätze im bevölkerungsreichsten Bundesland zu erhalten“.